In der Ruhe liegt das Ich

Aikidomeister Gerhardt Walter

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Seit vierzig Jahren reist Gerhardt Walter, Aikidomeister des 8. Dans, für einige Monate nach Japan, um dort als Laienmönch im Zen Kloster nördlich Kyotos bei Harada Roshi zu leben. Das Maulbeerblatt erhielt eine Audienz im Hause des Meisters in Rahnsdorf und sprach mit ihm über seinen Weg.

Früh schon, regte sich in Gerhardt Walter die kindliche Intuition, der Zweifel am „Funktionieren“ des Menschen. Weder das Kunststudium noch die Arbeit als Art-Direktor, konnten ihn davon ablenken. Er suchte – und fand für sich den Weg des Aiki und des Zen.

Dreißig Jahre lang war Gerhardt Walter Meisterschüler mehrerer japanischer Zen- und Aikido-Meister in Europa und Japan. 1980 wurde aus dem Schüler ein Lehrer, der sich für die Gründung des Instituts Aikido-Zen entschloss. Von dort aus versucht er den Weg der Ruhe, weg von den lärmenden Stimmen im Kopf aufzuzeigen. Der Meister selbst stellt fest: „Wir richten unsere Aufmerksamkeit fortwährend auf die imaginären Inhalte des sprachlichen Denkens. Die abstrakte und gegensätzliche Natur des sprachlichen Denkens aber trainiert und konditioniert unsere Aufmerksamkeit in einer absurden Disziplin, der Sprunghaftigkeit. Dumm ist nur, dass das intuitive Bewusstsein, das wir sind, Stille benötigt.“

Er suchte nach der Fähigkeit den Moment im Hier und Jetzt zu leben, um das schallende Gelächter der inneren Stimmen abzustellen. „Wollen wir unsere Ganzheit spüren, die Welt wahrnehmen wie sie ist, dann müssen wir still sein. Wenn wir all die Geschichten, die wir im Kopf haben relativieren und wenn wir die Leichtigkeit unseres Seins erfahren wollen, dann müssen wir still sein. Balance, Stärke, Offenheit, all das setzt voraus, dass wir eins sind mit uns selbst, auch dafür müssen wir still sein.“

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Mit dieser Erkenntnis im Gepäck, ging er seinen eigenen Weg. Er nahm keine Religion an, keine spezielle Lehre, keine Zeremonien, machte keinen seiner Lehrer zum endgültigen Meister. Doch meisterhaft war die Fähigkeit, die seine blinde Mutter ihm mit auf den Lebensweg gab:„Sie hatte mich gelehrt, mit allen Sinnesorganen zu sehen.“

Mit dieser Gabe, suchte er Zuflucht vor der eigenen Entfremdung. Er suchte nach dem Ende seiner Sprunghaftigkeit. „Denn springt die Aufmerksamkeit von einem Gedankeninhalt zum nächsten, sind wir nicht mehr in uns selbst zuhause, und wir verlieren inmitten der Gegenwart unsere Gegenwärtigkeit.“ Meistens sind wir es also selbst, die uns im Wege stehen, durch das Kreisen unserer Gedanken und die damit einhergehend verzerrte Wahrnehmung der Realität.

Um dem zu entgehen, bedarf es einer gegenläufigen Energie, die den Gedanken etwas Wind aus den Segeln nimmt und das Gedachte in Relation zur Realität stellt. Doch Aikido ist nicht nur mal eben abschalten und entspannen. Aikido ist eine praktische Schulung, die uns die Emanzipation des Bewusstseins vom sprachlichen Denken und Wissen lehrt. Gelingt es, sich die nötige Distanz zum Unwesentlichen zu erkämpfen, kehrt Ruhe ein und was bleibt ist die klare Sicht auf das Selbst – denn in der Ruhe liegt das Ich.


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