Wohnungssuche in Treptow-Köpenick

Frau Meyer muss weg oder Für wen wird in Treptow-Köpenick eigentlich gebaut?
Wohnungen in Treptow-KöpenickNach der Arbeit geht Franziska Meyer mit ihren zwei kleinen Satansbraten meistens noch auf den Spielplatz. Besonders gerne besucht Sie neuerdings die schönen neuen Spielplätze im schicken neuen Wohnquartier in ihrer Nachbarschaft direkt an der Dahme in Grünau. Den Namen kann sie sich nie merken, irgendwas mit Gradzahlen und Himmelsrichtungen. Dass sie inzwischen mehrfach von Quartiersbewohnern aufgefordert wurde, die Spielplätze zu verlassen, da dies private Spielplätze seien, versteht Franziska Meyer nicht. Schließlich steht da nirgendwo ein Schild. Anrufe beim Wohnungsbau-Unternehmen ergaben nur vage Angaben, dass drei Spielplätze öffentlich seien, der vierte Spielplatz sei privat.
Bisher hat sich Franziska Meyer sehr wohlgefühlt, und mit den neu hinzu gezogenen Bewohnern gab es immer einen guten Kontakt, im Bürgerhaus Grünau trifft man sich regelmäßig. Scheinbar ändert sich gerade das Zusammenleben von Alteingesessenen und den neuen Bewohnern. Rainer Hölmer hielt in einem Interview mit dem Maulbeerblatt den Bau des Luxusquartieres an der Regattastraße für unproblematisch und sah keine drohende Verdrängung, da ja auf dem Gelände bisher keine Menschen gewohnt haben. Frei nach dem physikalischen Motto: Wo kein Körper ist, kann kein anderer verdrängt werden. Indirekte Formen der Verdrängung wie unerwünschte Spielplatzbesucher zählen nicht dazu. Und das ist nur die Spitze des wohnungsbaupolitischen Eisbergs in Treptow-Köpenick. Franziska Meyer ist vor ca. fünf Jahren aus Friedrichshain nach Grünau gezogen. Mit Nachwuchs, steigenden Mieten und den ganzen Partypeople war Fhain nicht mehr so attraktiv. Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Kreuzberg  oder Nord-Neukölln waren weit weg und die Mieten auch überhaupt noch kein Thema – jedenfalls nicht in Grünau oder überhaupt südöstlich vom inneren S-Bahn-Ring.

Das V-Wort und das M-Wort

Aber auf einmal und ganz plötzlich ist es ein Thema und zwar ein ganz schön dringendes nicht nur in Grünau, sondern überhaupt in ganz Treptow-Köpenick. Was in Alt-Treptow schon vor ca. vier, fünf Jahren losging, findet jetzt im ganzen Bezirk statt. Sollen halt alle etwas von der Verdrängung haben. Was mit dem Spielplatz-Gerangel angefangen hat, geht in den eigenen vier Wänden von Franziska Meyer weiter: die derzeit absolut trendige Mieterhöhung. Ihr Vermieter hatte auf Grundlage des aktuellen Mietspiegels die Miete um 15 Prozent erhöht. Der Mietspiegel war dabei sehr hilfreich – für den Vermieter, nicht für Frau Mayer. Denn die Miete ist in ihrem Kiez gestiegen, zum Beispiel durch den Bau von luxuriösen Wohnquartieren. Das schlägt sich auch im Mietspiegel nieder. Ganz legal die Miete alle drei Jahre um 15 Prozent zu erhöhen, weil die Gegend teurer wird, ist eine feine Sache für die Vermieter.
Vier von zehn Haushalten tragen eine prekär hohe Belastung.
Franziska Mayer wird schmerzlich bewusst, dass sie inzwischen selbst von Veränderungen auf dem Berliner Mietmarkt betroffen ist. Grünau ist leider keine einsame Insel. Und es ist nicht so, dass ihr Gehalt alle zwei Jahre automatisch um 15 Prozent steigt. Und sie ist nicht allein: Durschnittlich steigen Einkommen in Berlin dem Amt für Statistik zufolge um 2,6 Prozent im Jahr. Und die Hans-Böckler-Stiftung stellte kürzlich fest, dass Arbeitnehmer in großen Städten inzwischen mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens für die Kaltmiete ausgeben müssen. Das heißt, „vier von zehn Haushalten tragen eine prekär hohe Belastung“ durch die Miete. Frau Meyer macht, was sie bisher immer gemacht hat, wenn es zu teuer wurde: sich eine neue Wohnung suchen – mit durchschnittlichem Einkommen, alleinerziehend und zwei Kindern.

Es wird voll

Nicht nur bei sich in Grünau, grundsätzlich hat Franziska Meyer das Gefühl, es leben in Treptow-Köpenick immer mehr Menschen und es wird immer mehr gebaut. Die Zahlen sprechen für sich. „Zum 30.06.2017 ist die Zahl der Treptow-Köpenickerinnen und Treptow-Köpenicker auf 262.543 gestiegen. Der Bezirk erreicht im ersten Halbjahr mit +3.000 den höchsten Zuwachs in Berlin“ verkündet das Bezirksamt. Natürlich müssen die vielen Menschen alle irgendwo wohnen. Aber das ist gar kein Problem, denn auch im Wohnungsbau ist Treptow-Köpenick derzeit Spitzenreiter: Laut statistischem Landesamt Berlin-Brandenburg gab es zum Jahresende 2016 2885 neu gebaute bzw. neu sanierte Wohnungen. Das ist ein Anstieg um satte 2,1 Prozent (der Berliner Durchschnitt liegt bei 0,7 Prozent). Von den bis Ende 2016 fertig gestellten Wohnungsbauvorhaben sind 2252 Neubauten. Na, der Bezirk macht doch richtig was für die Neuankömmlinge, denkt sich Franziska Mayer. Dann entspannt sich der Mietmarkt und vielleicht ist ja auch eine Wohnung für sie dabei. Also schaut sich Frau Mayer das Wohnquartier an der Dahme mit den schönen Spielplätzen genauer an: Es gibt dort auch noch freie Wohnungen. Mit 315.000,- Euro für 3 Zimmer, ca. 68 m² wäre sie schon dabei. Ein ähnliches Bauprojekt gibt es in Wendenschloss. Dort plant die kanadische IBI Group auf dem Gelände Marienhain ca. 1.100 neue Wohnungen. Auch geplant sind Kita, Gastronomie sowie öffentlich nutzbare Grünflächen. Bezirksstadtrat für Bauen, Stadtentwicklung und Umwelt, Rainer Hölmer begrüßte jedenfalls das Bauprojekt:
„Neuer Wohnraum wird im Bezirk dringend benötigt, wenn er dazu noch in so attraktiver Lage entsteht, ist das umso erfreulicher.“
Schaut man sich das schöne Werbeprospekt vom Marienhain an, entsteht dort scheinbar auch ein Quartier mit hochwertigen, sprich ziemlich teuren Wohnungen – und wie öffentlich die Grünflächen in der Praxis sein werden, muss sich erst zeigen. Vielleicht doch nicht ganz ihre Preisklasse, denkt sich Frau Meyer.

Klein, aber nicht fein

In Oberschöneweide zum Beispiel wird auch so einiges gebaut. Rund um die HTW gibt es Bauvorhaben mit so vielversprechenden Namen wie Spreepolis oder Bambus Campus. Das sind in der Regel 1-2-Zimmerappartments komplett möbliert und Dienstleistungen wie Waschsalon, Fitnessraum und Sauna inklusive. Die Bauprojekte werden unter dem Label Studentisches Wohnen vermietet. Diese sogenannte Form des Mikrowohnens klingt zunächst niedlich, sei aber ein teures All-Inklusiv-Wohnen auf Zeit, so die Einschätzung von Olaf Liebig, der sehr aktiv im Kieznetzwerk Oberschöneweide ist und die Entwicklung des Wohnungsbaus schon lange verfolgt:
„Berlin generiert haufenweise Jobs in Zukunfts- und Umwelttechnologien, Neue Medien, Kreativwirtschaft etc. Die Leute kommen von überall, und längst nicht nur aus Deutschland. Und sie treten ihre Jobs innerhalb kürzester Zeit an. Für sie ist das praktisch. Sie müssen sich nicht um Möblierung, Strom, Internet und sonstiges kümmern. Und sie können sich die Miete leisten. Die Nähe zur Wista spielt da sicher auch eine Rolle.“
Die Wohnungen würden auch zum Zwecke der Wertanlage verkauft. So entstehe ein Ungleichgewicht bei Neubauten und es werden Flächen vergeben, die eigentlich zum Bau dringend benötigter günstiger Familienwohnungen nötig wären. Letztendlich stehen diese Art von Bauprojekten dem Erhalt der sozialen Struktur in den extra seit März 2017 ausgewiesenen Milieuschutzgebieten Ober- und Niederschöneweides entgegen. Denn wie der Name „Mikrowohnen“ schon sagt: viel zu klein für Franziska Meyer und ihre zwei Kinder.

6,50 Euro kalt pro Quadratmeter – eine Legende?

Also sucht Franziska Mayer weiter. Wie sieht es denn mit geförderten Neubauwohnungen in Treptow-Köpenick aus? Wie viel bauen hier kommunale Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften? Eine ganze Menge eigentlich: Bezirksbürgermeister Oliver Igel schwang in letzter Zeit häufig den Spaten für den Baustart kommunaler Wohnungsbauunternehmen. So fand zum Beispiel im Februar 2016 gemeinsam mit Anne Keilholz und Ingo Malter, den Geschäftsführern der STADT UND LAND Wohnbauten-GmbH der Spatenstich für 90 neue Mietwohnungen am Amtsgraben in Köpenick statt. Anne Keilholz verkündete:
„Für rund 20 Prozent der neuen Wohnungen werden wir Fördermittel gemäß Wohnungsbauförderungsbestimmungen 2015 beantragen und entsprechend günstige Wohnungen für 6,50 €/m² nettokalt monatlich anbieten.“
Frau Meyer guckt mal nach: Also die preiswerten Wohnungen mit WBS sind schon alle vergeben. Und sonst liegt die Miete für eine neue gebaute Dreiraumwohnung am Amtsgraben um die 78 qm zwischen 998 € und 1.023 € warm. Frau Meyer wäre also mit durchschnittlich 10 Euro kalt pro Quadratmeter dabei.

Wo sind sie denn nun, die 6,50-€-kalt-pro-qm-Neubau-Wohnungen?

Die Wohnungsbaugenossenschaft GWG "Berliner Bär" e.G. hat derzeit überraschenderweise keinen freien Altbestand. Die Wohnungen in beiden Neubauprojekten der „Berliner Bär“ e.G. in Oberschöneweide und Hirschgarten sind auch alle vergeben. Die Wohnungen werden übrigens für 8 Euro kalt pro qm vermietet. Ähnlich sieht es bei der Köpenick Nord e.G. aus: Derzeit sind zwei Neubauwohnungen im Angebot für 9 bis 10 Euro kalt pro qm. Dann gibt es ja noch die Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE: Sie hat derzeit auch nichts frei. Aber auch hier gibt es schicke Neubauprojekte, das Powerhouse in Adlershof zum Beispiel. Im Angebot sind 2-3-Zimmerwohnungen zwischen 52 qm und 80 qm. Hier gibt es erst gar keine Angaben zur Kaltmiete, sondern gleich alles ganz powermäßig warm für satte 12,5 Euro/qm. Das wären für eine 3-Zimmerwohnung für Meyer und ihre Kinder rund 1000,00 Euro warm. Und so weiter und so fort. Franziska Meyer fragt sich mittlerweile, für wen denn eigentlich in Treptow-Köpenick gebaut wird? Bezirksbürgermeister Oliver Igel sieht durchaus Handlungsbedarf und auch die Notwendigkeit des geförderten Wohnungsbaus.
„Degewo und STADT UND LAND bauen derzeit jeweils weit über 1000 Wohnungen im Bezirk, immer mit einem signifikanten Anteil an geförderten Wohnungen. Dadurch entsteht eine gute Mischung. Es werden jedoch auch Eigentumswohnungen gebaut. Keine Luxusimmobilien, sondern solche, die sich Normalverdiener leisten können wie ein Lehrer-Ehepaar, mit fester Anstellung, das Anfang 40 ist.“
Nun arbeiten ja nicht alle Menschen als Lehrer und sind in einer komfortablen Doppelverdienersituation. Manche haben zusätzlich auch noch Katzen, Einhörner oder Kinder zu versorgen, Leute wie Franziska Meyer zum Beispiel. Schafft die Wohnungsbaupolitik genügend Angebote für preiswertes Wohnen, um die soziale Durchmischung zu erhalten und die Verdrängung und Entstehung von gated communities, wie es sich scheinbar in Grünau an der Regattastraße abzeichnet, zu verhindern?

Zahnlose Papiertiger mit unerwünschten Nebenwirkungen

Ein Wechsel in eine preiswertere Wohnung scheint für Frau Meyer und ihre Kinder in absehbarer Zeit nicht möglich. Leider gibt es auch keine wirksamen Instrumente, die Frau Meyers Miete im Zaum halten. Der eingangs erwähnte Mietspiegel, ursprünglich als Orientierung für Mieter und Vermieter gedacht, erweist sich aktuell als wunderbares Werkzeug, die Mieten legal satt zu erhöhen. Das hat auch der Senat gemerkt, und Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher plant eine Reform. Auch von Seiten des Berliner Mietvereins gibt es den dringenden Appell, die derzeitigen Mieterhöhungen von 15 auf 6 Prozent alle drei Jahre zu begrenzen und überhaupt das Mietrecht in der kommenden Legislaturperiode durch die Bundesregierung zu novellieren. Nur hilft das jetzt nicht Franziska Meyer, denn die Reformen würde sich frühestens auf den Mietspiegel 2019 auswirken. Dann gibt es noch die 2015 in Kraft getretene Mietpreisbremse. Sie ist in der Theorie ein gut gemeintes Instrument, das aber in der Praxis so gut wie nicht brauchbar ist. Das ist inzwischen aber auch egal, denn das Berliner Landesgericht schätzt seit ganz neulich die Mietpreisbremse eh für verfassungswidrig ein. Was gibt es noch? Die sogenannte Milieuschutzsatzung, auch als „soziale Erhaltungsverordnung“ bezeichnet, gilt jetzt auch in Teilen Treptow-Köpenicks, und zwar in Alt-Treptow, Nieder- und Oberschöneweide. Denn auch das Bezirksamt Treptow-Köpenick hat „die Entwicklungen in verschiedenen Ortsteilen hinsichtlich der Aufwertungstendenzen und Bevölkerungsstrukturveränderungen“ durchaus bemerkt, aber leider zu spät, denn auch in diesen Gebieten steigen die Mieten – Schutz hin oder her.

Wer ist denn jetzt eigentlich schuld an der Misere?

Einmal falsch geplanter Wohnungsbau kann schwer nachjustiert werden, denn „Häuser können immer nur einmal gebaut werden," sagt Andrej Holm, Experte für Stadtentwicklung und Wohnungspolitik in einem Gespräch mit dem DeutschlandfunkKultur. Wo Luxusbauten und Eigentumswohnungen entstehen, könne sich sozialer Wohnungsbau nicht durchsetzen. „Um die Mieten zum Sinken zu bringen, bräuchte es riesige Investitionsprogramme und auch schmerzhafte Eingriffe in den Markt“, so Holm. Und Bauen sei kein Feld, wo die Politik schnell mit Handlungsfähigkeit glänzen könne.
Auch der Senat hat erheblichen Anteil, da der Mietmarkt als entspannt fehleingeschätzt wurde.
Vor allem ist es ein sehr weites und komplexes Baufeld. Die Frage nach dem allein Schuldigen, der die Verantwortung trägt, ist zu einseitig und wird dem komplexen Thema nicht gerecht. In der Berliner Wohnungsbaupolitik agiert das Bezirksamt nicht allein und im rechtsfreien Raum. Auch der Senat hatte an der (Fehl-)entwicklung des Berliner Wohnungsmarktes in den letzten 15 Jahren erheblichen Anteil, da der Mietmarkt als entspannt fehleingeschätzt wurde. Man hatte die Zuzugsentwicklungen im Bezirksamt durchaus erkannt und analysiert und 2014 daraus zehn Leitlinien abgeleitet, um ein nachhaltiges und sozialgerechtes Wohnungsangebot zu sichern. Punkt zehn lautet:
„Förderung und Ausbau des Angebots an preiswertem Wohnraum.“
Baustadtrat Rainer Hölmer schätzte bereits 2015 die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen durchaus problematisch ein. Städtische Wohnungsbaugesellschaften sollten demnach primär ins Boot geholt werden. Erkenntnis und guter Wille waren also vorhanden. Aber in der Praxis sieht es für Franziska Meyer nicht gut aus. Offenbar vermieten selbst kommunale Wohnungsbauunternehmen zu stolzen Preisen. Angesichts zunehmender Diskrepanz zwischen Mieten und Löhnen wird Wohnen immer mehr zu einer dringenden sozialen Frage. Das Bezirksamt muss sich die Frage gefallen lassen, ob Menschen wie Franziska Meyer, die bereits länger hier leben, bei der euphorischen Bauplanung für Neubürgerinnen und -bürger schlicht und einfach vergessen wurden.   Illustration: iStock

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