Wird am Hindukusch unsere Freiheit verteidigt? Teil 5

Interview mit Thomas Kasper – Erweiterte Fassung

10.5.2013 - Kunduz: Welche Sehnsüchte, Hoffnungen und Ängste haben die Afghanen?
Die Afghanen haben die Nase voll von Armut und Gewalt. Angst hat man offensichtlich weniger vor der Rückkehr der Taliban, als vor einem Bürgerkrieg nach dem Abzug der internationalen Kräfte, weil dann nämlich die Einflusszonen der einzelnen Stämme, Clans und Warlords wieder neu aufgeteilt werden. Sehnsüchte? Essen, Wohnung, Normalität. Es gibt, besonders in Kabul, so viel Elend, abgemagerte bettelnde Straßenkinder, ganze Familien, die im Müll nach Nahrung suchen.

Gestern habe ich mir zwei Grillspieße auf dem Markt gekauft. Plötzlich stand da ein zerlumpter Junge, vielleicht 7 Jahre, so alt wie meine Tochter und wollte mir Feuerzeuge verkaufen. Dabei starrte er die ganze Zeit auf meine Fleischstückchen im Fladenbrot. Ich habe sie ihm gegeben und hab mir neue geholt. Das ist für mich das Unverständliche, dass es nach 12 Jahren und Milliarden von Dollars, die in dieses Land gepumpt wurden, es nicht gelungen ist, die Armut wirkungsvoll zu bekämpfen.

 

11.5.2013 - Kunduz: Welche realen Chancen siehst Du für die Zukunft des Landes?
Afghanistan hat ähnliche wirtschaftliche Probleme wie Südeuropa. Es wurde in den vergangenen Jahren viel Infrastruktur errichtet, ohne eine leistungsfähige wirtschaftliche Basis zu schaffen. Anders als in Spanien und Griechenland müssen die Afghanen das Geld für neue Straßen und Flughäfen nicht zurückzahlen. Das Problem ist aber ähnlich: viel Infrastruktur, keine wirtschaftliche Grundlage und damit keine Arbeitsplätze.

Reale Chancen? Das Land teilen. Es gäbe genügend natürliche Grenzen. Die durch willkürliche Gebietsaufteilungen im 19. Jh. zusammengewürfelten Völker Afghanistans haben wenig miteinander zu tun. Sie können sich auf Grund völlig verschiedener Sprachen nicht einmal mit einander verständigen. Der Norden ist geografisch, kulturell und ethnisch völlig anders, als der Süden, der wieder anders, als der Westen des Landes. Irrsinn, dies mit einer Zentralregierung, einer überaus korrupten dazu, aus Kabul regieren zu wollen.

12.5.2013 - Faizabad: Die Bundeskanzlerin war gerade zu Besuch, was würdest Du sie ganz persönlich fragen, was ihr zu Afghanistan sagen?
Am Freitag waren die Kanzlerin und der Verteidigungsminister in Kunduz. Angela Merkel war gut drauf. Sie hatte offensichtlich Spaß an der Veranstaltung. Fröhlich grüßte sie jeden, sogar mich, obwohl ich keine Uniform trage und sichtbar nicht zum Spaßprogramm gehörte.

Für die Kanzlerin wurden viele Dinge vorbereitet und der Gast hatte seine Kurzweil, ein wenig erinnerte es an Animationsprogramm im Pauschalurlaub. Schon frühmorgens um 5 Uhr wurden wir von Gedröhn der Kampffahrzeuge geweckt. An verschiedenen Ecken des Lagers nahmen die Einheiten Aufstellung. Auf dem Aufmarschplatz standen Kampfeinheiten, die später der Kanzlerin von ihrem gefährlichen Einsatz erzählten.

An einer anderen Stelle stand eine Kolonne für den Rücktransport von Kampftechnik nach Deutschland bereit. Die Botschaft an Kanzlerin und den Wähler in der Heimat: Wir ziehen uns hier planmäßig zurück. Ein Hauptmann flüsterte mir zu: Potemkinsches Dorf, alles inszeniert. Um 8.30 Uhr kommt die Kanzlerin. Ehrenhain, Truppenküche mit Frühstücksei und Rede.

Später ist sie endlich bei dem Trupp, der schon am frühen Morgen Aufstellung an den Fahrzeugen genommen hatte. Es ist brütend heiß. Als Merkel gerade dabei ist, die Soldaten einzeln zu begrüßen, bricht plötzlich einer der Männer zusammen. Kreislaufversagen, die Kanzlerin ist nur einen halben Meter entfernt. Wir haben es gefilmt. Immerhin, Merkel, ganz Mutti der Nation, ist besorgt und will sich gleich kümmern, aber da sind andere schneller, helfen dem zusammengebrochenen Soldaten wieder hoch. Die Kanzlerin geht weiter zum nächsten Kämpfer. Kennen wir das nicht aus DDR-Zeiten, liebe Angela Merkel? Aufstellung nehmen, um sinnentleerte, inszenierte Jubelfeiern zu absolvieren?

Ich würde sie gern fragen, wie sie die irrsinnige Verschwendung deutscher Steuergelder in Afghanistan den Menschen zu Hause erklären will. Der Militäreinsatz verschlingt viele Milliarden Euro, genauso wie der zivile Wiederaufbau. Es wurden beispielsweise viele Schulen gebaut, die dort wo sie sind, keiner braucht. Gestern waren wir an einer Berufsschule, mit Klassenräumen, Studentenwohnheim, Sanitäranlagen. Das Ding steht leer, keine Nutzung.

Es wurden Flugplätze in Faizabad und Mazar gebaut, auf denen keine Flieger landen. Die Entwicklungshelfer der GIZ – der staatlichen Organisation, die in aller Welt bundesdeutsch finanzierte Projekte umsetzt – verbrauchen enorme Summen für ihre eigene Verwaltung und Vergütung. Ich traf in Kabul einen GIZ-Mitarbeiter, der seit vier Monaten im 5-Sternehotel Serena wohnt, weil er noch kein Haus für sich gefunden hat. Das ist so üblich. Ein Zimmer kostet dort 200 US$ pro Nacht. Kosten für Flüge, üppige Gehälter, Sicherheit und die Büros kommen noch hinzu – Millionensummen sind verbraten, bevor überhaupt ein einziges Entwicklungshilfeprojekt begonnen wird.

Während in Deutschland das Drohnen-Debakel hochkocht, haben wir hier herausgefunden, dass im Feldlager Kunduz, das am 31.10.2013 schließt, völlig unsinniger Weise ein High-Tech-OP-Saal gebaut wird. Kosten 9 Millionen Euro. Der OP-Saal wird fertiggestellt, aber nie in Betrieb gehen. Technologisch ist er völlig überdimensioniert. Ein Interviewpartner, der in Afghanistan im zivilen Bereich seit Jahren Krankenhäuser baut, erklärte uns, dass die Kliniken so einfach wie möglich gebaut würden. Beispielsweise werden keine Fahrstühle, sondern nur Rampen eingebaut. Fahrstühle zu unterhalten wäre technologisch zu kompliziert. Und nun baut die Bundeswehr einen ultramodernen OP-Saal. Es wäre als würde man ein Raumschiff im Mittelalter parken, sagte mir ein Informant. Die Presse-Offiziere verweigern erwartungsgemäß die Drehgenehmigung. Nicht einmal von außen dürfen wir die Baustelle filmen.

Uns wurde etwas von Vertragsstrafen und dass man halt zu Ende bauen müsse erzählt und von 1,5 Millionen Euro Baukosten. Doch ich konnte Fotos vom Inneren des OP-Saals auftreiben. Unsere Informanten sprechen von 9 Millionen. Die mir zugespielten Fotos zeigen, dass dort jetzt bereits Geräte stehen, die allein schon 1,5 Millionen kosten. Jetzt ist unsere Anfrage plötzlich beim Einsatzführungskommando in Potsdam. Dort sollen wir uns die nötigen Informationen abholen. Das werden wir auch machen und wir werden über Bundestagsabgeordnete direkt beim Verteidigungsministerium nachfragen. Mal sehen, wie sich die Sache weiter entwickelt.

Natürlich gibt es auch Entwicklungshilfeprojekte, die funktionieren. Kleinkraftwerke in den Bergen von Badakhshan oder Bewässerungsvorhaben, die gut laufen. Aber in der Summe ist die Kosten-Nutzen-Rechnung komplett aus dem Ruder gelaufen. Dies beschreibt beispielsweise sehr anschaulich der Leiter des Kabuler Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, Tinko Weibezahl, in unserem Film.

Wie erklärt Frau Merkel den Menschen in Deutschland, dass hier in Afghanistan Milliarden an Steuergeldern verbrannt werden? Während an den Schulen in Berlin die Hausmeister fehlen, weil gespart werden muss und die Lehrer in den Pausen, anstatt Zeit für die Kinder zu haben, Klopapierrollen verteilen und Glühbirnen auswechseln müssen, wissen deutsche Entwicklungshelfer in Afghanistan gar nicht mehr wohin mit dem Geld. Diesen Sinnzusammenhang würde ich mir gerne mal erklären lassen.


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