Andi und Strauss

Der Hohenzollerndamm ist wohl im Westen

Ganz ehrlich, bevor ich Taxifahrer wurde, da hatte ich nicht den geringsten Plan von Berlin, mal von Köpenick abgesehen. Wohl kannte ich den Weg nach Prenzlauer Berg und den zum Alexanderplatz, aber nicht den Weg vom Alexanderplatz zum Prenzlauer Berg. Zu Zeiten der Zweistaatlichkeit Deutschland gab es doch sowieso nur eine Richtung und die hieß Osten, Süden oder Norden. Später, als die Mauer gefallen und ich mit Freunden unterwegs war, verließ ich mich darauf, dass wenigstens einer der Weggefährten den Weg zum Ziel kannte. Das war eigentlich immer der Fall, ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, irgendwo nicht angekommen zu sein. Sollte es dennoch mal vorgekommen sein, so spielte das Ergebnis wohl keine große Rolle.

Als ich in den Neunzigern mal ein wenig klamm war und vom Geld verdienen keinen Plan hatte, da erwog sich mein allzeit besorgter Vater, mir eine Stelle zu besorgen. Koste es was es wolle warf er mir den Berliner Kurier oder ähnliches Schmierblatt mit Stellenanzeigen auf den Tisch und sagte freundschaftlich: „Hier, Kamerad Schnürschuh: Arbeit.“ Dankbar, voll Begeisterung und wie üblich zu dieser Zeit etwas verkatert, schwang ich den Hörer ans Ohr und wählte die Nummer zum Text, der da lautete: Mitarbeiter gesucht für leichte Baustellentätigkeit, gute Bezahlung. Personalbüro Fies und Fotzig oder so ähnlich.Ist schon so lange her. Na klar, kommense nur gleich vorbei morgen wegen des Vertrages, dann könnense auch schon anfangen. Mit olle Sachen, versteht sich, nicht im feinsten Zwirn. Das Personalbüro Fies und Fotzig befand sich an der Frankfurter Allee, der Vertrag war flott unterzeichnet es gab 11 D-Mark die Stunde, Brutto gleich Netto, ich war ja Student damals. Aber was willste denn bei 11 DM noch abziehen. Und gleich ‘nen Vorschuss. Herr Fotzig lebte damals wohl schon auf den Bahamas und bezahlte mit seinem guten Namen und Frau Fies gab mir die Adresse der Baustelle. Weberbank, irgendwo Hohenzollerndamm Ecke Kranzerstraße. Bei Herrn Strauss melden. Also schwang ich mich auf meine alte XT 600 und ballerte los, erstmal zurück nach Schöneweide, von da aus zur Stadtautobahn Anschluss Gradestraße und ab: linke Spur. Topspeed. Hohenzollerndamm raus. So war das damals, als der Papst noch katholisch war.

Endlich auf der Baustelle angelangt, fragte ich mich zu Herrn Strauss durch, den niemand zu kennen schien. Die Firma Fies und Fotzig kannte natürlich auch keiner. Frustriert schwang ich mich wieder auf die gute alte XT, die ich neben einem Bauwagen abgestellt hatte. Gerade als das treue Bike ansprang, öffnete sich die Tür des Bauwagens und ein etwas verschlafener, dicklicher kleiner Mann in beigefarbener Latzhose blinzelte in die Julisonne. Letzter Versuch: Bist Du Strauss, fragte ich den Kleinen, was der bejahte. Schnell waren die Formalitäten geklärt und schnell war mir klar, dass Strauss mit dem Job als Baustellen-Hilfsvorarbeiter die höchste Stufe seiner Karriereleiter erklommen hatte. Egal, er hatte diese herzliche Art, die Menschen mit einem IQ von unter 70 innewohnt, erklärte mir schnell, worum es ging, wofür man auch kein Architekt sein musste. Mit Presslufthämmern sollte ein alter Öltank aus dem Beton entfernt werden. Wenn‘s weiter nichts ist, leichte Baustellentätigkeit, wohl bemerkt. Wir arbeiteten wie die Bekloppten von der Mittagssonne an bis weit nach Feierabend und als ich nach getaner Arbeit endlich nach Haus kam, da war ich, der das Arbeiten so nicht gewöhnt war, völlig fertig mit der Welt. Als am nächsten Morgen gegen 6 der Wecker klingelte, musste ich mich entscheiden, Wecker killen und aufstecken oder wieder ran an die Arbeitsfront. Naja, den Wecker habe ich heute noch und Sträusschen freute sich aufrichtig, mich wiederzusehen. An diesem Tag lernte ich dann Andi kenne, den 2. Hilfsvorarbeiter der Baustellenhilfsarbeiter- Brigade. Andi sah um die Fresse aus wie Meister Röhrichs Geselle Eckat in 3D, trug ausschließlich kurzärmlig und beinfreie Beinkleider und hatte ordentlich aufgepumpte Oberarme mit den klassischen Knast-Tattoos Anker, Kreuz und Grabhügel. Er war nicht ganz so helle wie Vorarbeiter Strauss und übernahm deswegen gern Arbeiten, auf die wir anderen keinen Bock hatten. Als es darum ging, mit einem Schneidbrenner eine alte Ölleitung zu durchtrennen, da musste die Obrigkeit bei Andi nicht „Bitte bitte“ sagen, sondern nur betonen, wie wichtig und gefährlich diese Arbeit war. Bis zum Frühstück war der Job getan und für die wohlverdiente Pause wurde die Arbeit unterbrochen. Andi bot sich an, Frühstück zu holen, was im O-Ton so klang: „Ick geh mal bein Bäcka, soll ick wen watt mitbing?“ „Klar“, rief Sträusschen über den geschäftigen Hohenzollerndamm, „bring mich ma ne Bewichste mit“. Let me exlain to you: „Bewichste“ means Streuselschnecke mit Zuckerguss. Nicht auszudenken, was er gebrüllt hätte, wenn er eine mit Pflaumenmus gefüllte gewollt hätte …

Als ich den dritten und vierten Tag wieder pünktlich zur Arbeit erschien, da hatte ich mir sogar den Respekt von Andi verdient und in der zweiten Arbeitswoche wurde mir von allen Kollegen der höhere Bildungsgrad nachgesehen. Nach drei Wochen hatte ich aber endgültig die Fresse voll, für die Scheißfirma Fies und Fotzig zu arbeiten und fuhr mit meiner XT lieber an den Müggelsee zum Baden als zur Arbeit an den Hohenzollerndamm, Geld ist schließlich nicht alles.

Noch heute muss ich mir beim Bäcker auf die Zunge beißen, um nicht eine Bewichste zu bestellen, wenn ich eine Streuselschnecke will. Und wann immer ich die Weberbank an der Kranzer Straße passiere, frage ich mich, was aus Andi und Strauss wurde; wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie wahrscheinlich noch heute. Moral der Geschicht: Herr Fotzig hat nicht die gute Frau Fies geheiratet, sondern eine hübsche, zielstrebige Blondine mit Namen Hinter und trägt heute einen wundervollen Doppelnamen.


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