Der Betsaal – ein Schlachthaus

Zur „Köpenicker Blutwoche“ im Jahr 1933
Adolf Hitler resümierte: „Ziel der Gesamtpolitik allein: …Völlige Umkehrung der gegenwärtigen innenpolitischen Zustände in Deutschland… Wer sich nicht bekehren läßt, muss gebeugt werden. Ausrottung des Marxismus mit Stumpf und Stiel. … Beseitigung des Krebsschadens der Demokratie!“

Hermann Göring, konkretisierte das Programm der neuen Herren am 3. März 1933: „Meine Maßnahmen werden nicht angekränkelt sein durch irgendwelche juristischen Bedenken. Meine Maßnahmen werden nicht angekränkelt sein durch irgendeine Bürokratie. Hier habe ich keine Gerechtigkeit zu üben, hier habe ich nur zu vernichten und auszurotten, weiter nichts! … Einen solchen Kampf führe ich nicht mit polizeilichen Mitteln. Das mag ein bürgerlicher Staat getan haben. Gewiß, ich werde die staatlichen und polizeilichen Machtmittel bis zum äußersten auch dazu benutzen, meine Herren Kommunisten, damit Sie hier nicht falsche Schlüsse ziehen, aber den Todeskampf, in dem ich Euch die Faust in den Nacken setze, führe ich mit denen da unten, das sind die Braunhemden.“ Und die meinten das ernst, und die zogen das auch durch, die braunen Hemden, die nationalen Sozialisten.

Am 4. Februar 1933 erließen sie die „Verordnung zum Schutz des deutschen Volkes“. Unter dem Vorwand, Gefahr abzuwehren, wurden sozialdemokratische und kommunistische Versammlungen verboten. Dann brennt am 27. Februar in Berlin der Reichstag. Der Kommunist Marinus van da Lubbe soll ihn angezündet haben. Hitler lässt mit einer „Notverordnung zum Schutze von Volk und Staat“ das Land in einen permanenten Ausnahmezustand versetzen. Jedermann konnte von nun an ohne Anklage, ohne Beweise und ohne einen Rechtsbeistand verhaftet werden.

Noch einmal lässt Hitler am 5. März 1933 Reichstagswahlen abhalten. Die NSDAP erreicht nicht die erwartete absolute Mehrheit. Für Hitler votieren 43,9 % der Deutschen. Die KPD erhält 12,3 % der Stimmen. Am 23. März 1933 erlässt der Reichstag mit der erforderlichen die Verfassung ändernden Mehrheit das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, das sogenannte „Ermächtigungsgesetz“, mit dem Reichkanzler Adolf Hitler nahezu uneingeschränkte Machtbefugnis übertragen wird. Im Mai desselben Jahres werden die freien Gewerkschaften ausgeschaltet und ihre Funktionäre eingesperrt. Wortwörtlich geht es jetzt Schlag auf Schlag, im ganzen Land und auch in Köpenick. Hatten bei den Reichstagswahlen im März noch über eine Million Berliner links gewählt, darunter 14 614 Köpenicker ihre Stimme der KPD gegeben und weitere 12 539 Köpenicker für die SPD gestimmt, so folgte nun, worauf Hitlers Kamarilla so lange gewartet: der Tag Abrechnung! Jetzt wollten sie, die Braunhemden: ausrotten, mit Stumpf und Stiel, was ihnen fremd und feind.


Was die Braunhemden suchten, fanden sie hier im Südosten Berlins zuhauf: Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftler.

Viele linke Arbeiter und ihre Funktionäre lebten in den lebensreformerischen Vorstadtsiedlungen, den Laubenkolonien und Zeltstädten, den Horten der linken Arbeiterschaft. Rund 160 000 Berliner Familien bewohnten solche Lauben in den unzähligen Kolonien, von denen viele schon vor 1933 ins zerstörerische Visier der Nationalsozialisten gerieten. Die Bedeutung der Arbeitersiedlungen und Laubenkolonien für das linke Arbeitermilieu war den Nationalsozialisten wohl bewusst.

In der Nacht zum 21. Juni besprachen sich die Köpenicker SA-Führer im Gebäude des hiesigen Amtsgerichtsgefängnisses, wo Sturmbannführer Herbert Gehrke sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Am frühen Morgen schlugen sie zu: hunderte Köpenicker SA-Kämpfer, unterstützt durch den schlagwütigen Maikowski-SA-Sturm aus Charlottenburg. In der Siedlung am Elsengrund, nahe dem S-Bahnhof Köpenick, nahm der Terror seinen Anfang. Die braunen Schlägertrupps riegelten die Siedlung ab. Systematisch gingen sie in Häuser und Wohnungen, prügelten ihre Gegner, trieben sie auf die Straße, verluden sie und brachten sie ins Amtsgericht oder zum Lokal „Demuth“ in der damaligen Elisabethstraße (heute Pohlestraße) und an vier weitere, zur Marter ihrer Opfer vorgesehene, Orte.

Auf dem sogenannten Heuboden des SA-Lokals „Demuth“ vollzog sich eine Folterorgie: Der damals 32-jährige Kommunist Paul Wilczoch wurde mit brennenden Fackeln ins Gesicht geschlagen, seine Wunden mit Teer begossen. Karbolineum, ein flüssiges Insektenbekämpfungsmittel, schütteten sie, dem um einen Trunk Bittenden, in den Hals. Um die Schreie der Misshandelten zu übertönen, ließ der SA-Mann Bruno Demuth den Motor seines Motorrads stundenlang im Hof des Lokals laufen.


Der Betsaal des Amtsgerichtsgefängnisses glich einem Schlachthaus

Die Wände bedeckt von Blutspritzern und die Lachen von Blut so groß, dass es unter der Tür zum Betsaal hinausgequollen sein soll. Späteren Ermittlungen zufolge sollen die nationalen Helden ihren Opfern auch Hoden und Nasen abgeschnitten haben. Die Misshandelten mussten während der infernalischen Orgie das Deutschlandlied singen und sinnlos herummarschieren. Einige sollen gezwungen worden sein, sich gegenseitig totzuschlagen, um dem eigenen Tod zu entgehen.

Traurige Berühmtheit erlangte das SA-Lokal „Seidler“, in der Mahlsdorfer Str. 62/65, im Ortsteil Uhlenhorst. Eine Reihe führender Sozialdemokraten wurde dorthin verschleppt und misshandelt. Hier und anderswo gehören zu den Opfern einfache Arbeiter, aber auch prominentere Gegner der neuen Macht, wie Johannes Stelling, SPD-Parteivorstandsmitglied, Reichstagsabgeordneter und früherer Ministerpräsident von Mecklenburg. Oder der Sozialdemokrat Paul von Essen, Funktionär des Reichsbanners, Zusammenschluss demokratischer Parteien und Gewerkschaften zur Verteidigung der Weimarer Republik. Und Karl Pokern, Aktivist im Rotfrontkämpferbund und in der Roten Hilfe, der im Amtsgerichtsgefängnis festgehalten und zu Tode gefoltert wurde.


Die Tragödie der Familie Schmaus

Abends dringen SA-Sturmmänner in das Haus Alte Dahlwitzer Straße 2 ein, angeblich, um auftragsgemäß eine Durchsuchung bei dem sozialdemokratischen Gewerkschaftsfunktionär Johannes Schmaus durchzuführen. Als Johann und seine beiden erwachsenen Söhne abgeführt werden sollen, zieht einer der Söhne, Anton, eine Pistole und erschießt zwei der Angreifer. Anton Schmaus kann zunächst fliehen, wird jedoch später von SA-Leuten gefasst und stirbt an den, ihm in der Haft zugefügten, Misshandlungen im Polizeikrankenhaus. Seinen Vater, Johann, prügeln sie noch am 21. Juni zu Tode – und hängen den Leichnam im Schuppen seines Hauses auf. Und Katharina Schmaus, die Ehefrau und Mutter, wird nach dem Tod ihres Mannes Johann gezwungen, Boden und Treppenhaus des Amtsgerichtsgefängnisses zu reinigen. Revolutionstage, braune.

In Säcken verschnürt, in umliegende Gewässer geworfen, fand man die Gebeine der zahlreichen Opfer, angeschwemmt bei der Grünauer Fähre oder am Ufer der Spree. Andere Leichname schmissen sie in den Schmöckwitzer Forst und den Wald bei Müggelheim. Zeitenwende. Wer heute den S-Bahnhof Köpenick verlässt und in nördlicher Richtung geht, gelangt zum Stellingdamm. Von dort führt ein Weg zur Schmausstraße, zum Essenplatz und zur Janitzkystraße. Andernorts in Köpenick finden sich Pohle-, Spitzer-, Aßmann- und Karl-Pokern-Straße. Manchem werden die Namen nichts mehr sagen. Wer sie aber kennt, weiß sie als einige unter denen, die in der „Köpenicker Blutwoche“ ihr Leben ließen.

P.S. Im Jahr 1950 fand unter großer Anteilnahme vom 5. Juni bis 19. Juli vor dem Landgericht Ost-Berlin ein Prozess gegen 61 Angeklagte wegen Beteiligung an den Verbrechen vom Juni 1933 statt. Das Gericht verurteilte 15 Angeklagte zum Tode, 13 zu lebenslänglicher Haft, sieben zu 25, und zwei zu 20 Jahren, acht zu 15, drei zu zwölf Jahren, fünf weitere zu zehn Jahren Zuchthaus sowie vier zu fünf Jahren Zwangsarbeit.

Die Zahl der Todesopfer? Manche sagen es waren 24, manche sprechen von 91, dazu bis zu 70 Vermisste: Niemand hat es je erfahren – und nicht zu messen ist das Leid.


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