Sommerszenen vom Untergang einer unheilen Welt

Der DEFA-Film „Verbotene Liebe“ von Helmut Dziuba
Erstveröffentlichung am 31.07.2020
Der DEFA-Regisseur Helmut Dzuiba nahm sich des Stoffs der Erzählung „Der Sündenfall“ von Helmut H. Schulz an. Der Stoff basiert auf einer wahren Begebenheit zu Anfang der 1960er Jahre. Der literarische Text war lange unveröffentlicht, verboten geblieben.
Der DEFA-Streifen „Verbotene Liebe“ – Georg und Barbara im Kornfeld
©DEFA-Stiftung/Herbert Kroiss

Das Vorspiel

Als Dziuba beginnt, sich mit dem Stoff der „Verbotenen Liebe“zu beschäftigen, war sein Gegenwartsfilm „Erscheinen Pflicht“ auf die Leinwände der DDR gelangt. Das war 1984 – und die Irritationen waren erheblich. In der sogenannten „Spielstelle Eins“, dem Kino der abgeschirmten Regierungs-Waldsiedlung in Wandlitz, haderte der Staatsratsvorsitzende und Parteichef, Erich Honecker – und war ob der politischen Unbotmäßigkeit des Gezeigten ungehalten: Ein Mädchen, aus der Kindheit gerissen, sucht nach dem Tod des Vaters, eines SED-Provinzfürsten, im Vereinsamungsprozess einer Funktionärsfamilie nach Orientierung vor der Kulisse einer verstörenden Wirklichkeit. Szenen von schmerzhafter Offenheit, Wahrheit des DDR-Alltags, ein Lebensgefühl junger Menschen zwischen Anpassung und Suche nach neuen Wegen zu einem sinnerfüllten Dasein. Die Jury beim Nationalen Spielfilmfestival der DDR in Karl-Marx-Stadt wird unter Druck gesetzt, einen Preis zu verhindern und der FDJ-Zentralrat, der den Film noch kurz vorher als besonders wichtig eingestuft hatte, zog seine Referenz zurück. So war das damals. Dzuiba greift in einer solchen Situation jedoch erneut nach einem „heißen Eisen“, nimmt sich des Stoffs der Erzählung „Der Sündenfall“ von Helmut H. Schulz an. Der Stoff basiert auf einer wahren Begebenheit zu Anfang der 1960er Jahre. Der literarische Text war lange unveröffentlicht, verboten geblieben. Dziuba ist bis dahin erfolgreich, besonders mit seinen Kinderfilmen: „Als Unku Edes Freundin war“, DDR 1980; „Sabine Kleist, 7 Jahre“, DDR 1982; „Jan auf der Zille“, DDR 1986 – er ist beim Publikum beliebt, von der Kritik hoch angesehen – und er ist erfahren im Umgang mit den Parteischranzen im Kulturapparat der DDR. Dziuba reicht bei den zuständigen Behörden ein fertiges Drehbuch und die Anträge auf Drehgenehmigung ein, erhält schließlich nach mehr als drei Jahren Wartezeit die Zusage für die „Verbotene Liebe“.

Der Film

Georg Kalisch ist Oberschüler und gerade achtzehn geworden. Barbara Behrend, dreizehn, hat ihm das Lieben gezeigt. Georgs Vater, wie ihn Rolf Dietrich zeigt, ist Funktionär am Ort. Barbaras Vater, Peter Sodann, ist Kleinbauer und versoffen. Der Vorhang in seiner Küche lässt wissen: „Sauberkeit ziert allezeit“. Peng. Irgendwann haben die beiden Alten begonnen, aus einstiger Nachbarschaft eine gepflegte Feindschaft zu kultivieren. Als Georg strafmündig wird, greift der alte Behrend zum Strafgesetzbuch § 148 und zeigt Georg wegen des Missbrauchs seiner Tochter an. Er ist im Recht. Aber ist das gerecht? Dziuba stellt die gültige Gesetzgebung nicht infrage, fragt aber, ob die normativen Prinzipien einer Gesellschaft jedenfalls auf die Beziehungen zwischen Menschen übertragen werden müssen. Auf junge Menschen in ihrer Selbstfindung, in ihrem ersten Lieben zumal. Das Romeo-und-Julia Motiv, es blickt durch. Den „Mut zu bewahren, sich unsinnigen gesellschaftlichen Zwängen zu widersetzen, sich untereinander solidarisch zu verhalten“, ist zeitlos aktuell. Barbara und Georg bekennen sich zu ihrer Liebe, Mitschüler solidarisieren sich. „Freiheit für Georg“, rufen sie, als das Gesetz Georg in die Schranken weist. Der dogmatische Schuldirektor, Dietrich Körner, stellt sich gegen die Kinder; eine Lehrerin, die unverwechselbare Gudrun Ritter, zeigt Verständnis für die jungen Leute. Und Markus, Georgs Freund. Der Flieger werden will, Offizier der Nationalen Volksarmee, die Heimat schützen.
„Bewusstsein lässt sich nicht verordnen.“
Der Film zeigt die Szenen des „Sündenfall“. Gedreht wurde bei Genschmar. Landschaft: Oderbruch, Heideland. Der Boden, den Barbara und Georg betreten, ist berührt, zerfurcht, der Garten Eden ein morbides Gehöft. Kameramann Helmut Bergmann schaut auf alles sehr nah. Das zwölfjährige Mädchen Barbara: leidenschaftlich, mit großen fragenden Augen und ohne Scheu. Julia Brendler, 1976 in Schwedt an der Oder geboren in ihrer ersten Hauptrolle vor der Kamera. Als Barbara geht sie auf schlanken Sommerbeinen im blauen Kinderkittel, später schmaler Hüftrock, dann auch hauteng, blaue Jeans. Motive einer Kinderfreundschaft: gemeinsamer Schulweg und erste unschuldige Berührungen. Ein Badeunfall, bei dem Georg die Barbara vor dem Ertrinken rettet. „Ich will, du wirst mein Mann“, lässt Barbara den Georg wissen. Nur wenige Sommer danach: das Refugium im Gewitterregen, die alte Scheune, die Totale: wogendes Korn, Reife, freies Land; im Halbdunkel der Scheune: entdeckt Tropfen auf glatter Haut, Kinderfinger gleiten durch schwarze, nasse Haarsträhnen, Mädchenhaut, Jungenhaut, gleitet herunter, sachte, zärtlich, vertraute Nacktheit fremd und neu entdeckt, mythische Verklärung. Schnitt. Die Entdeckung ihrer Liebe, macht sie zum „Fall“ – und zur charakterlich-sittlichen Herausforderung für die gesamte Umgebung: Verwandte, Freunde, Lehrer, Richter. Beispielbilder: Aus dem „Ehrenbuch“ der Schule streichen sie den Georg. Auf Anweisung. Tribunale. Originalschauplätze als Drehorte: Da ist der alte Musikraum, dort der Speisesaal – und hier der Schulhof, Platz der Fahnenappelle und der Wehrkundeübungen, das ist die Ho-Chi-Minh Oberschule, Peter-Hille-Straße, 1162 Berlin, Hauptstadt der DDR. Statisten im Film, in der Wirklichkeit auch Hauptdarsteller: die Direktorin, der Parteisekretär. Sie wissen, was hier gespielt wird. Dieses Spiel ist auf der anderen Seite der Kamera ihre Wirklichkeit: Disziplinierung, FDJ-Ausschlussverfahren, Abitur-Relegierung.

Im Film

Die Mitschüler – warum ordnet sich die FDJ-Gruppe diesem „Befehl“ unter, obwohl so viele zweifeln, dass es richtig ist, den Lohn für frühere Leistungen mit einem Federstrich zu tilgen? Einstimmigkeit wird hergestellt. Doppelzüngigkeit und Anpassung. „Freiheit für Georg! Der Georg soll her!“ singen die Schüler – begehren auf, als der Georg aus Ehrenbuch und Schulregister bereits getilgt ist. Lehrerin Laube singt erst mit. Und dann sagt sie: „Ihr seid doch ganz schöne Scheißkerle!“ Eine Gesellschaft im Verfall tiefer Schizophrenie? Und Sprachlosigkeit im Ausbruch von Gewalt, als die Dorfjugend von Barbara, nun Freiwild für sie, Besitz ergreifen will. Hör zu, Georg, sie wollen „nur die Kleene haben. Wir lassen dir ’ne andere zum Bumsen hier. Reg dich nicht uff!“. Die Kerle, sie jagen Barbara, vergewaltigen sie in der Scheune, in ihrer, in Barbaras und Georgs Scheune, zünden die Scheune an. Barbara kann sich retten. Lehrerin Laube, Aufbaugeneration, Neulehrer, den neuen Menschen schaffen: „Ich versteh es nicht. Waren alles mal Schüler von uns.“
„Über die Liebe und den Tod reden wir nicht.“
„Bewußtsein läßt sich nicht verordnen“, wird hier gesagt. Und: „Das Lernen bringen wir ihnen bei. Über die Liebe und den Tod reden wir nicht.“ So viele Träume. Barbara dabei von Thälmann begleitet: „Ein Leben ohne Hoffnung ist wie ein Vogel ohne Schwingen. Ein Leben ohne Liebe ist wie ein Himmel ohne Sterne.“ Und Dziuba: „Wir Älteren sollten die Jungen nicht nur von uns Vorgedachtes nachvollziehen lassen, müssen ihnen zubilligen, aktiv sein zu wollen, im produktiven Sinne unbequem. Sonst erziehen wir drei Kategorien von Jugendlichen: Die Jasager, die Resignierenden und die ziellos Aggressiven. Durch unseren Film wollen wir den Jugendlichen Mut machen, Anstöße geben zum Nachdenken, zum Widerspruch auch ...“ So war es damals noch – und vor allem zu spät. Denn es ist Zeitenwende. Für Barbara und Georg. Für ein Land. Dem der Film zeigt, was nicht gezeigt werden durfte. Lüge, Gewalt, Niedertracht zwischen den Menschen der sozialistischen Gesellschaft am Ende ihrer Tage. Jahrelang rang Dzuiba um die Abnahme des Szenariums, das für ihn die Fortsetzung seines Films „Erscheinen Pflicht“ war, dem man „resignative Melancholie“ vorgeworfen hatte. Dann kann er drehen. Im Mai 1989 ist das Set an der POS Ho Chi Minh in der Peter-Hille-Straße aufgebaut. Doch erst am Vorabend des 40. Jahrestages der DDR, am 6. Oktober 1989, bekommt Dzuiba die Freigabe für seine bereits fertige Arbeit. Doch da ist die DDR fertig mit sich selbst. Zum Jahrestag werden in den Straßen von Berlin Menschen zusammengeknüppelt, die nicht mehr mitfeiern wollen, eine Jugend, die nun ohne Fahnenappelle, ohne Fackelzüge und ohne Staatsbürgerkunde leben will.
„Ihr seid doch ganz schöne Scheißkerle!“
Am 19. April 1990 wird der Film im Berliner Kino „International“ aufgeführt. Da weiß Dzuiba, dass sich „das brave Stimmvieh der reglementierten FDJ-Versammlungen“ verselbständigt hat. Und der Film (vorerst) wohl keinen mehr interessieren wird … Und so wurde die „Verbotene Liebe“ – ungewollt – zum Abgesang auf eine Jugend, der Pionierleiter und Staatbürgerkundelehrer, Parteisekretäre, Mitläufer und Cheflektoren die Träume stahlen. Der Film endet mit Grüßen an Barbara und Georg – aus dem OFF. „Ich habe Eure Hochzeitsanzeige erhalten. Macht man das immer noch so? Für Deine Liebe hast du einen kleinen Preis gezahlt, finde ich. Nun habt ihr euren Sieg. Und wenn ich wieder in meinen eisigen Himmel steige, dann seid Ihr für mich die Erde. Und Eure Liebe auch. Ich grüße Euch, Markus, der Flieger.“ Heimat verloren. Mach‘s gut, Flieger, Markus.

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