Deutschland glüht wie Eisen

Die Seeschlacht am Skagerrak
„Du Wind musst wehen, du Sonne musst lachen, du Wasser musst blinken... / Dass er sich dem Kampf mit der See zuschwöre, wie der Knabe Hannibal dem Kampf mit Rom! / Denn navigare necesse est…!“ So dichtete er – und so tat er auch, der Johann Wilhelm Kinau, wir kennen ihn oder vielmehr seinen Dichternamen: Gorch Fock.

Foto: gemeinfrei | U.S. Navy photo NH 46839 from the U.S. Navy Naval History and Heritage Command

 

Gorch Fock, der Held, zog in den Krieg. Das war 1915. Und seiner Freundin schrieb er: „Deutschland glüht jetzt wie Eisen.“ Als Infanterist stiefelte er durch Serbien und Russland und lag im Fleischwolf vor Verdun. Dem entkam er – und einen Wunsch erfüllt obenauf, als man ihn vom kaiserlichen Heer zur kaiserlichen Marine übertreten und auf dem vorderen Mast des Kleinen Kreuzers „SMS Wiesbaden“ Dienst als Ausguck für seine Kaiserliche Majestät und das Vaterland tun ließ.

Mit dem Dienst und seinem Leben war es vorbei am 31. Mai. An diesem Tag im Jahre 1916 starb der Dichter und ging unter in den bleizerwühlten Fluten der Nordsee. Seefahrt ist not. Aber die Not dieses Tages, dieses Ausmaß hatte niemand je zuvor gesehen.

Wie eine Herde Riesentiere der Urwelt schoben [Schlachtschiffe] sich durcheinander, mit langsamen Bewegungen, schemenhaft, unwiderstehlich … Plötzlich erspähe ich in meinem Sehrohr große Schiffe“, hielt ein deutscher Offizier fest. „Dunkle Kolosse … hoch- und breitbordige Riesenschiffe.“ Dann setzte infernalischer Donner ein. Tonnenschwere Geschosse zerrissen die Luft, die See – und alles, was sich darauf befand.

16:26 Uhr: Eine
Detonation zerriss
die Queen Mary.

Was war geschehen? Seit Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte die deutsche Hochseeflotte meist untätig im Hafen gelegen, fast zwei Jahre lang Drill und Langeweile für die Matrosen, während Kameraden zu Land in den Schützengräben kämpften. Die deutschen Admiräle konnten den britischen Überseehandel weder entscheidend stören noch die Seeblockade der Royal Navy brechen. Das British Empire und seine Grand Fleet versperrten den Deutschen den Zugang zum Atlantik. Eingesperrt in der Nordsee lag die Kaiserliche Hochseeflotte, jedem Schiff drohte die Vernichtung.

Stabschef der deutschen Flotte, Adolf von Trotha, wollte mit waghalsigen Vorstößen deutscher U-Boote, Torpedoboote und Schlachtkreuzer die schweren Geschwader der Royal Navy attackieren. Bis in die Mündungen des Humber in Lincolnshire und vor den schottischen Rosyth stießen die deutschen Seekrieger vor. Britische Küstenstädte wurden beschossen, es gab Tote unter der Zivilbevölkerung. Doch zu einem wirklichen Gefecht mit der Royal Navy kam es lange nicht.

Ende Mai 1916 sollte der Royal Navy eine Falle gestellt werden, mit Rückendeckung von Kaiser Wilhelm II. Der wachte penibel darüber, dass die unter Großadmiral Alfred von Tirpitz seit 1898 mit viel Geld aufgebaute „schwimmende Wehr“ des Kaisers für die Briten mehr als nur ein „Risiko“ sein sollte. Flottenadmiral Reinhard Scheer hatte den Plan zur Attacke ausgeheckt: Nahezu die gesamte Kaiserliche Hochseeflotte lief am 31. Mai 1916 aus, um Handelsschiffe im Skagerrak anzugreifen – und die Navy zum Handeln zu zwingen. Doch die deutsche Admiralität hatte die Rechnung ohne den britischen Geheimdienst gemacht: Die britische Funklaufklärung erfasste die Vorbereitungen und die Admiralität in London schickte die Grand Fleet, um die Deutschen Schiffe rechtzeitig zu stellen.

Winston Churchill, Erster Lord der britischen Admiralität, schärfte dem Befehlshaber der britischen Flotte, Admiral John Jellicoe, ein, er sei der einzige Mann im ganzen Empire, der den Krieg an einem Nachmittag verlieren könne. Weder die deutsche noch die britische Seite hatte die Skagerrak-Schlacht so geplant.

Dann stoppten Deutsche Torpedoboote gegen 14 Uhr am Eingang des Skagerraks den dänischen Dampfer „N.J. Fjord“. Das rief die britischen Kreuzer „Galatea“ und „Phaeton“ auf den Plan. Als die Armada des Empire herbeigefahren war, begann das Gefecht – den Deutschen als Schlacht am Skagerrak zum Begriff geworden, den Briten the Battle of Jütland – das Ergebnis: die größte Seeschlacht aller Zeiten.

Die Royal Navy lief mit fast 40 Schlachtschiffen auf, die kaiserliche Hochseeflotte hielt mit 21 Großkampfschiffen dagegen. Hinzu Dutzende kleinere Einheiten, Kreuzer, Zerstörer und Torpedoboote. Die deutsche Hochseeflotte hatte unter Befehlshaber Reinhard Scheer in Wilhelmshaven die Anker gelichtet. Als Erster ließ Vizeadmiral Franz Hipper gegen zwei Uhr morgens die Kessel auf Volldampf heizen und stieß mit fünf Schlachtkreuzern in See. Dort formierten sich die Schiffe zu einer kilometerlangen Kolonne aus Stahl. Schlachtschiffe mit über 45.000 Mann an Bord.

Am Skagerrak wälzten die Verbände aufeinander. Fassungslos beobachtete der britische Vizeadmiral David Beatty, wie seine Schiffe zusammengeschossen wurden. 16:06 Uhr: Die „Indefatigable“ explodierte in einem Feuerball. „Das Schiff zerstob in Atome, jedes Lebewesen an Bord wurde schon bei der Explosion getötet.“ Über 1000 Tote. 16:26 Uhr: Eine Detonation zerriss die „Queen Mary“. Von 1274 Mann überlebten neun. Über die See zogen Pulverqualm und Rauschschwaden, immer und immer wieder blitzte Mündungsfeuer aus den Geschützen. Schlachtschiff kämpfte gegen Schlachtschiff, kleinere Kreuzer, Zerstörer und Torpedoboote setzten zur Attacke an.

Das Innere der Kriegsschiffe verwandelte sich in Schlachthäuser. „Die Gefallenen, soweit sie oben lagen, waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt“, schrieb ein Matrose über die Zustände in einem Geschützturm des Schlachtkreuzers „Lützow“. Der Geschützführer versuchte einen Mann aus einem Trümmerberg zu befreien. „Ein trauriges Bild. Beide Beine waren in Höhe des Kniegelenks abgerissen, ebenfalls der linke Arm in Höhe des Ellenbogens.“ Industrielles Ausmaß des Tötens.

Die Gesamttonnage der britischen Verluste betrug 115.025 Tonnen, die der deutschen 61.180 Tonnen. Das Ergebnis resultierte „nicht zuletzt aus der größeren Treffsicherheit der deutschen Artillerie sowie der besseren Wirkung ihrer Panzersprenggranaten“. Der Royal Navy wurden drei Schlachtkreuzer und drei schwere Kreuzer versenkt, außerdem acht kleinere Einheiten – insgesamt Schiffe mit einer Verdrängung von 120.000 Tonnen – und wie nebenbei fanden 6094 britische Kämpfer den Tod. Die deutsche Flotte strich aus ihren Mannschaftslisten 2551 Mann.

Im Ergebnis: Die Kräfteverhältnisse in der Nordsee blieben, wie sie waren. Die Seewege blockierte immer noch die Royal Navy, weit überlegen. Die deutsche Kriegsmarine nahm aber den U-Boot-Krieg wieder auf. Die Folge: 1917 traten die USA als weiterer Gegner in den Krieg ein.

Wer hatte gewonnen? Wilhelm II. und viele Deutsche reklamierten den Sieg für sich. „Die Tradition von Trafalgar ist in Fetzen gerissen worden“, schwadronierte Seine Majestät. Die Zahlen schienen ihm Recht zu geben. Doch Admiral Scheer bilanzierte dem Kaiser nüchtern: Selbst „der glücklichste Ausgang einer Hochseeschlacht“ werde „England in diesem Kriege nicht zum Frieden zwingen“. Fortan liefen ihre gigantisch teuren Schlachtschiffe praktisch nicht mehr aus Wilhelmshaven aus, sondern rosteten auf Reede vor sich hin. Die Royal Navy beherrschte nun ungehindert die Nordsee. Alle anderen Weltmeere sowieso.

Zur Erbauung der Heimatfront verfasste Johann Wilhelm Kinau alias Gorch Focker plattdeutsche Kriegslyrik. Und dem Hamburger Bürgermeister, Werner von Melle, teilte er weiland mit, er hoffe, „das größte Hamburg der Zukunft zu erleben, wenn die englische Kette gesprengt ist. Denn ich glaube an den Sieg, sei er auch mit halbzerrissenen Fahnen und mit halblecken Schiffen erkauft!“ Daraus wurde nichts. Wie es hernach in Hamburg aussah, berichtete einer seiner Kameraden, der dem Schlachten entkommen war: „Bis zur Beerdigung wurden die Toten in einem Exerzierschuppen aufbewahrt. Dort lagen sie der Reihe nach, zum Teil ohne Arme, Beine und Köpfe, mit halben Köpfen, den Bauch aufgerissen, und auch mitten durch gerissen oder vollkommen in Stücke gerissen.“ Das Eisen war verglüht. Totenstunde.

P.S. Wüst, roh und von brutaler Unersättlichkeit ist der Krieg – und magisch zieht der Krieg doch Menschen an, erliegen sie seiner morbiden Faszination. Ich teile sie nicht – oder bin mir dessen heute nicht bewusst. Ich wollte ein paar Gedanken zum Frühling niederschreiben, Sentenzen zu einem Vers von Franz Villon. Mein freundlicher Auftraggeber für diesen Beitrag, der Herausgeber dieses Blattes, wünschte sich nun diese martialische Reminiszenz. Er hat sie erhalten. Und ich halte es nun wieder mit Franz Villon und denke mir: „Nichts scheint mir sichrer als das nie Gewisse,/nichts sonnenklarer als die schwarze Nacht./Nur das ist mein, was ich betrübt vermisse,/und was ich liebte, hab ich umgebracht.


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