Interview mit der Band Silly

Ungeschminkt und frei von Angst
Silly also: Älteren DDR-Kindern ist die Band zumindest ein Begriff. Sie war immer irgendwie da. Wie die eigensinnige Großcousine, die auf Familientreffen nie fehlen durfte. Die man ein bisschen schräg fand, aber auch sehr mochte, immer ein bisschen too much mit ihren langen hoch toupierten Haaren.
Silly Bandkollegen fröhlich und frei von Angst
„Die Sillys sahen immer aus wie die Heizer der Apokalypse“, beschrieb Jim Rakete ihren Look einmal liebevoll. Mit vielen Alben haben sie berührt, manchmal waren sie ein bisschen nervig, manchmal überraschend anders. Auf jeden Fall waren sie immer ein Stück Heimat – und für viele eine Legende mit fast 40 Jahren Bandgeschichte.
Für die Dokumentation „Frei von Angst“ hat Sven Halfar die Bandmitglieder Rüdiger „Ritchie“ Barton, Uwe Hassbecker, Anna Loos und Hans-Jürgen „Jäcki“ Reznicek zwei Jahre bei den Tourvorbereitungen begleitet: das kreative und familiäre Miteinander der Band, aber auch die anstrengenden Proben, denn Silly ist eine diskussionsfreudige Band. Und Lampenfieber gibt es auch noch nach 40 Jahren Tournee- und Bühnenerfahrung. Das Ergebnis waren mehr als 200 Stunden ungeschnittenes Material, in der sich die Musiker sehr nah und ungeschminkt zeigen. „Frei von Angst“ ist aber auch ein Film über Erinnerungen, die Suche und das Ankommen. Die Ambivalenz zwischen der prägenden Bandhistorie und der Suche nach neuen Wegen merkt man allen Bandmitgliedern an. Silly musste sich in den letzten Jahren von vielem befreien, nicht nur Anna Loos, sondern die ganze Band. Der Film zeigt diesen Prozess sehr feinfühlig: Sich frei zu machen von einem viel zu engen geografischen Korsett und nicht zuletzt von dem starken Label und Mythos Tamara Danz. „Keiner konnte sich vorstellen, Silly wieder aufleben zu lassen“, sagt Ritchie Barton über die Zeit zwischen 1996–2005 im Film. Gut, dass sie es doch getan haben: Den Neuanfang zu wagen und sich dabei treu zu bleiben, ist der Band sehr gut gelungen. Im Vergleich zum Plakat geht es im Film hinter den Kulissen ja doch meistens sehr kuschelig zu. Was war die Idee für das Filmplakat? Loos: Na, in dem Film ist es ja nicht nur immer nett und kuschelig, wir haben ja auch viel gestritten, es wird viel Historie aufgearbeitet. Nach einer gemeinsamen Idee mit dem Regisseur haben wir ihn „Frei von Angst“ genannt und deshalb ist es auch das Plakat geworden. Es gibt im Film diese Szene mit dem Fotoshooting. Wir waren eigentlich auf der Suche nach einer Vierfachbelichtung für ein Coverfoto. Da sollten die Motive Angst, Wut, Trauer und Freude drin sein. Das sollten unsere vier Gesichter sein. Das war technisch nicht wirklich umsetzbar. Dieser Titel „Frei von Angst“ ist nicht nur das Motto der Doku. Wir wollten es so machen, wie wir sind. Das heißt, wir möchten kein Blatt vor den Mund nehmen, wir möchten so reden wie wir reden. Wir wollen eigentlich nicht merken, dass ein Doku-Team um uns herum ist. Sven hat entschieden, dass er ganz kleine Kameras nimmt. Manchmal war er ganz alleine da mit einer kleinen Kamera. Wenn dann eine Frage aus der Ecke kam, waren wir ganz unvorbereitet und mussten ad hoc reagieren. Aber auch „Frei von Angst“, weil wir uns beim Musikmachen immer wieder von allen Ängsten lösen müssen, damit man überhaupt kreativ weitermachen kann: also sowohl im kreativen Prozess, als auch in der Produktion und der Umsetzung. Am Ende mündet es ja darin, rauszugehen auf die Bühne, sich frei zu machen und Spaß zu haben und den Leuten was zu geben. Man sieht in dem Film auch sehr schön, dass Ihr immer wieder Eure Komfortzone verlassen musstet, zum Beispiel die Szene, in der Du (Ritchie Barton) singen sollst ... (alle lachen) Barton: Zum Beispiel, ja. Es gibt auch nichts Vergleichbares vorher, wo wir jemanden so nah uns rangelassen haben. Warum wurde aus einem anderen Dokumentarfilm die Szene, in der Tamara Danz, Ritchie Barton und Uwe Hassbecker über ihre Dreiecksbeziehung erzählen, reingenommen? Barton: Das hat Sven so gewählt, wir haben es dann auch nicht abgelehnt. Hassbecker: Man kann die Geschichte der Band ja nicht erzählen, indem man nur die letzten elf Jahre erzählt, die wir mit Anna zusammen sind. Loos: Also man hätte das schon machen können, aber ihr habt es anders entschieden. Hassbecker: Ja, wir haben es anders entschieden. Wir wollten die komplette Geschichte der Band erzählen und wenn Du irgendwo anfängst, kannst Du nicht an einer Stelle aufhören. Eine Geschichte wirft wieder neue Fragen auf usw. Loos: Sven Halfar war vorher kein Silly-Fan. Er hat die Band während einer Dokumentation für den MDR kennengelernt. Da haben alle Vertrauen in ihn gefasst. Sven hat sich sehr viel mit der Bandgeschichte beschäftigt und für sich beschlossen, zu erzählen was er erzählen möchte und was nicht. Wir haben uns da komplett rausgehalten. Natürlich hatte auch jeder seine eigenen Vorstellungen. Ich auch und habe gesagt: Lass uns bitte nur die letzten elf Jahre machen, lass uns mal diesen ganzen alten Quatsch weglassen. Am Ende hat er es so gemacht, wie er es für richtig hielt. Es ist sein Blick auf die Band. Es gibt bis jetzt noch keinen Silly-Film, der diese ganze Geschichte beleuchtet. Eine geschichtsträchtige Band zu sein, ist manchmal auch eine Last. Das sieht man auch in dem Film und das finde ich ganz toll. Hassbecker: Es gibt ja auch viele Leute, die jetzt nicht unbedingt Silly-Fans sind, die uns noch gar nicht kennen, die sich den Film auch als Filmfreunde ansehen wollen. Loos: Den Umstand, dass eine Frau mit zwei verschiedenen Männern zusammen war und dass sie immer noch alle miteinander Musik machten, fand Sven faszinierend. Wir sind jetzt elf Jahre unterwegs. Da haben andere sich schon viermal getrennt und vier neue Bands gegründet. Barton: Wir haben bisher nie zugelassen, speziell diese private Geschichte öffentlich zu behandeln. Hassbecker: Na ja, doch ... Barton: Ja, mit einer einzigen Ausnahme. Das war der Film von Peter Kahane. Da haben wir aber auch lange mit uns gerungen, bevor wir das gestattet haben. Er musste einiges vorlegen und wir mussten erst Vertrauen in ihn finden. In diesem Film wurde es dann das zweite Mal thematisiert, aber es stand nicht so im Mittelpunkt. Wir wussten ja nicht, ob das überhaupt drin landet. Hassbecker: Letztendlich ist Tamara Danz ein Teil von uns. Es ist wie eine Familie oder eine Partnerschaft. Es trifft auf uns bzw. auf mich zu: Tamara ist gestorben. Was ich dabei gelernt habe: Das Leben geht weiter und man hat keine Zeit zu verschenken. Man hat einen neuen Partner und trotzdem ist der alte immer da. Ihr Bild hängt an der Wand und wird auch nicht abgehängt. Trotzdem gehe ich einen Schritt weiter, denn ich habe auch nur dieses eine Leben. Und so ist es auch im übertragenen Sinne für uns als Band. Dass wir weitergemacht haben, war die richtige Konsequenz. Apropos nur ein Leben: Haben Sie Angst vor dem Alter? (nachdenkliches pffff in der Runde) Barton: Eher Angst, dass man mal krank wird. Ich meinte auch eher in dem Sinne, ob man alles im Leben gemacht hat, was man wollte. Wenn man sich die Frage nicht stellt, dann scheint man ja ganz zufrieden zu sein? Hassbecker: Nee, zufrieden ist was anderes. Dann würden wir uns alle zurücklehnen und ausruhen. Aber wir versuchen ja immer einen Schritt weiter zu gehen. Noch eine Platte zu machen und wieder weiter und dann die Idee und die Idee. Das treibt uns ja nach wie vor. Reznicek: Wie ich auch im Film schon sagte: Man muss mich von der Bühne tragen. Liebe junge Kollegen, das tut mir leid. (lacht) Barton: Es gibt ja international so viel Vorbilder, die im wahrsten Sinne des Wortes Musik bis zum letzten Tag gemacht haben, solange es Leute gibt, die es interessiert und die zuhören. Der Begriff Heimat wird politisch gerade sehr vereinnahmt bzw. neu definiert. Was bedeutet Heimat für Euch? Reznicek: Wherever I laid my head that‘s my home (lacht). Ja, wir kommen ja alle von woanders her, nicht aus Berlin. Also, was ist jetzt meine Heimat? Hat es mit "zu Hause" zu tun, ist es an einen Ort gebunden? Ich glaube, dass Eure Fans auch in Eurer Musik Heimat finden. Barton: Ja, das wollte ich gerade sagen. Heimat empfindet sicherlich jeder sehr, sehr anders. Heimat ist ein Gefühl. Loos: Für mich ist Heimat da, wo meine Familie ist: Wo meine Kinder, mein Mann und meine Eltern sind. Heimat ist auch da, wo ich herkomme, die Stadt in der ich geboren und aufgewachsen bin. Barton: Ich bin ja 1980 nach Berlin gekommen. Wenn ich dann meine Eltern in Magdeburg besucht habe, da hatte ich so ein Gefühl von Zurückkommen in die Heimat. Aber Heimat ist jetzt schon mehr hier, weil meine Homies und klar, meine Familie hier sind. Hassbecker: Das frage ich mich auch manchmal, weil ich in Leipzig geboren und in Halle groß geworden bin. Aber im Prinzip sind es für mich die Breiten, in denen wir leben. Natürlich spielt Familie eine riesengroße Rolle. Ich muss das jetzt nicht an einer Stadt festmachen. Loos: Ich glaube, wir alle fühlen uns auch als Berliner. Wir alle leben hier schon lange und identifizieren uns mit dieser Stadt. Ich würde auch sagen, dass wir uns als eine Berliner Band sehen. Wir sind hier kreativ und schauen von hier aus auf die Welt. Und die Bandheimat ist auf jeden Fall Berlin. Hassbecker: Und der Südosten von Berlin gehört auch mit dazu. (zustimmendes Gelächter) Versteht Ihr Euch in den heutigen Zeiten als politische Band oder glaubt, einen politischen Auftrag zu haben? Das Album Wutfänger hat ja viele Songs, die sich mit gesellschaftlichen und politischen Themen beschäftigen. Loos: Also Silly ist jetzt keine Band, die eine Platte voller Liebessongs machen würde, weil wir alle keine 18 mehr sind und andere Sachen im Kopf haben als Verliebtsein. Unser Blick auf die Welt und unsere Wahrnehmung ist uns wichtig und wird immer Hauptthema sein. Heutzutage geht es nicht mehr darum, zwischen den Zeilen etwas anderes zu lesen und in Metaphern etwas reinzubauen, was man eigentlich nicht sagen darf. Wenn es heute eine inhaltliche Aufgabe für eine Band gibt, dann ist es die, den Finger in die Wunde zu legen. Reznicek: Trotzdem sind wir keine Politrockband. Barton: Wutfänger ist jetzt wieder ein bisschen mehr „so“ ausgefallen. Wenn man in die Welt guckt, dann drängt es sich ja geradezu auf. Erstaunt und erfreut habe ich neulich festgestellt, dass das von mehreren internationalen Künstlern gefordert und umgesetzt wird. Depeche Mode zum Beispiel, habe ich gelesen, haben ihr erstes wirklich politisches Album gemacht. Die haben vorher niemals Songs gemacht, die in irgendeiner Weise politisch waren. Was aber im Umkehrschluss nicht heißt, dass wir kein Album machen, das ganz privat ist. Loos: Als wir das Album Wutfänger gemacht und inhaltlich ausgearbeitet haben, war uns nicht klar, wie sehr uns die Welle diesen Inhalts wirklich einholt. Als wir damit angefangen haben, waren viele Themen noch gar nicht so auf der Tagesordnung. Und als wir fertig waren, was ja eine lange Strecke vom Produktionsprozess bis zur Platte im Laden ist, dachte ich: Oh, das ist jetzt fast zu viel, was wir auf der Platte haben. Hassbecker: Eine gewisse Haltung zu transportieren, gehört zu uns. Gerade, wenn es irgendwo anfängt zu kokeln, sehe ich das als unsere Aufgabe. Inwiefern hat Anna Euch verändert? Barton: Das können wir schlecht sagen. Loos (lacht): Ich glaube, gar nicht. Barton: Vielleicht haben wir sie verändert. Loos: Ich glaube, dass man sich immer durch Begegnungen mit Menschen verändert und man lernt auch voneinander. Ich habe mich dank der Jungs unglaublich entwickelt. Das hätte ich ohne Jäcki, Hasi und Ritchie nicht gekonnt. Als ich dazugekommen bin, habe ich gesagt: Los, lass uns ein Album machen! Und die Jungs haben erstmal drei, vier Jahre lange gesagt: Nee, immer mit der Ruhe, mit ihrer Erfahrung, die sie riesig voraus haben. Sie haben immerhin viele Jahre Musikgeschichte geschrieben – auch für mich. Ich war ja wirklich Fan von Silly. Und wer ist der Perfektionist bei Euch? Alle: Alle ... leider. Reznicek: Das war auch schon immer so. Barton: Diese Band ist nicht einfach (alle lachen).  
Silly – Frei von Angst Ab 16.11. im Kino Union, Bölschestraße 69, 12587 Berlin

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