Leben ohne Maulbeerblatt

Ein psychologischer Ratgeber
Erstveröffentlichung 20.12.2017
Panisch summt und brummt es im Berliner Süd-Osten. Seit vor wenigen Minuten auf Seite 3 verkündet wurde, dass das Maulbeerblatt für längere Zeit nicht mehr erscheinen wird, kommt es zu tumultartigen Ereignissen in Köpenick und Umgebung. Leute rennen auf die Straße, Autos müssen scharf bremsen, ein alter Mann murmelt in seine Pfeife: „Das hätte es früher nicht gegeben“. Halb frisierte Kunden verbleiben einsam im Friseursalon, weil der Meister alles vergessend panisch den Laden verließ und nun fassungslos in den Himmel starrt: Ist das das Ende? Halbgegessene Bockwürste ruhen verlassen auf ihren Imbisstellern. Was soll nun werden? Wieso lasst ihr uns allein?!
Diplom Psychologin Gesine Hörsturz
Collage: Andreas Hartung
Die Redaktionstelefone (es sind insgesamt eines) klingeln heiß. Das Maulbeerteam steht zu seiner Verantwortung und hat keine Krankenkassenkosten gescheut und die Diplompsychologin Gesine Hörsturz* gebeten, den Lesern psychologische Hilfestellung für die kommende Zeit zu geben. Die extremen Reaktionen sind vollkommen natürlich, erklärt sie uns. Und weiter: Die Verarbeitung eines großen Verlustes läuft in mehreren Phasen ab. Hier ihre Tipps und Tricks, um diese durchzustehen.

Phase 1: Verleugnung

„Das kann nur ein Scherz sein!“

Ist es nicht! Und umso schneller Sie sich darauf vorbereiten, umso besser werden Sie den Verlust verkraften. Machen Sie täglich kleine Übungen. Wenn Sie kleine Besorgungen machen, gehen Sie einmal OHNE das Maulbeerblatt aus dem Haus. Das ist ungewohnt. Zu Beginn werden Sie sich etwas nackt und schutzlos fühlen. Keine Angst. Das ist normal. Verlängern Sie diese Phasen täglich um ein paar Minuten bis es ihnen schon bald nichts mehr ausmachen wird, ohne das Maulbeerblatt einkaufen, spazieren oder ihre(n) Geliebte(n) besuchen zu gehen. Jetzt müssen Sie nur noch die sorgsam gepflegte Maulbeerblattsammlung aus dem Keller entsorgen. Ja, das muss sein. Bei ebay-Kleinanzeigen bringt das ein schönes Geld. So können Sie sich den Verlust mit einem kleinen Kurzurlaub versüßen.

Phase 2: Zorn

„Das könnt Ihr nicht machen. Jeden Monat habe ich Euer Pissblatt gekauft!“

Das können Sie wohl. Und überhaupt, was reden Sie in diesem Ton mit mir?! So geht’s ja nun nicht. Begeben Sie sich lieber zu der Bezugsquelle, die ihnen jeden Monat das Maulbeerblatt verkauft hat und lassen Sie dort ihren Ärger freien Lauf. Das tut auch mal gut. Das muss mal raus. Und ganz unter uns: Es scheint sich dabei nicht um eine seriöse Bezugsquelle gehandelt zu haben. Lassen Sie sich bei diesem Versuch bitte NICHT ein Abonnement der Apotheken Rundschau andrehen. Auch von einem Protestengagement in der AfD ist abzuraten. An der Maulbeerblattpause sind definitiv nicht die Flüchtlinge Schuld.

Phase 3: Verhandeln

„Und wenn ich es jeden Monat doppelt so schnell lesen würde?! Ist das ein Deal?“

Ach, erst aufs Maul hauen wollen und jetzt verhandeln, oder was?! Wenn Sie das Maulbeerblatt doppelt so schnell lesen, müsste es auch doppelt so oft produziert werden. Und das ist nun das genaue Gegenteil einer Auszeit. Treffen Sie sich stattdessen mit anderen (ehemaligen) Maulbeerblattlesern und reden Sie über ihren Verlust. Schmieden Sie gemeinsam Pläne für die Zeit danach. Was können Sie mit der neu gewonnen Zeit, die Sie früher fürs Lesen verbraucht haben, anfangen? Wenn Sie nicht wissen wohin damit, werfen Sie doch einen Blick in den neuen Maulbär Veranstaltungskalender. Könnte das vielleicht ein neuer bester Freund werden?! Wenn einem die Frau stirbt, soll man direkt am Abend der Beerdigung in den Puff gehen. (Ähm .. .Frau Hörsturz … Wo haben Sie noch mal GENAU ihr Diplom gemacht?!)

Phase 4: Depression

„Seufz. Ich bin allein“

Wenn Sie trotz alledem im Januar in ein tiefes Loch fallen, machen Sie da weiter, wo Sie bei Phase 3 aufgehört haben: Gehen Sie in den Puff …äh Kino, Theater, Ausdruckstanz. Schauen Sie vorher in den Maulbär-Veranstaltungskalender! Ja, selbstverständlich ist das nicht dasselbe und das Format so ungewohnt. Aber es hilft gegen die Einsamkeit und … äh ja gerne schaue ich mir Fotos von ihnen und ihrer Lieblingsausgabe des Maulbeerblattes an. Ja, ganz herzallerliebst. Wirklich ein hübsches Cover. … seufz … Also, wenn das alles nichts hilft, hauen Sie sich einfach zwei Monate mit Süßigkeiten voll, waschen sich in der Zeit nicht die Haare und schauen drei Serien gleichzeitig.

Phase 5: Akzeptanz

„Maulblatt, wer?“

Auch die Phase 4 geht einmal zu Ende. Und je nachdem, ob Sie nun zwei Monate ungewaschen in einem Berg Schokolade gelegen haben oder regelmäßig im Theater waren, sieht die Welt nun schon ganz anders aus. Die Knospen sprießen, irgendwo wird ein Whiskeyfest oder Theaterfestival organisiert und der Müggelsee lädt dazu ein, knöcheltief in ihm herumzuwaten. Das Maulbeerblatt ist nunmehr eine süße Erinnerung und der neue Maulbär ein treuer Begleiter. Das geht dann gut bis Ende Dezember. Ich hoffe, ich konnte ihnen in dieser schweren Zeit etwas behilflich sein. Falls nicht, rufen Sie bitte den zuständigen Chefradakteur an. Er ist Tag und Nacht für Sie zu sprechen. Bitte reden Sie dann laut und deutlich. Er ist etwas schwerhörig. Am besten, Sie fangen gleich an zu schreien. Bis dahin verbleibe ich Ihre Gesine Hörsturz PS: Zahlen Sie privat oder Kasse? * Diplom noch nicht vorliegend, aber bereits in der Post

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