Sie Schwein, warum grüßen Sie nicht?!

Der Fahrgast von der neuen Partei
Es war eine laue Nacht in einem der letzten milden Sommer der letzten Jahre. Wie so oft war ich mit meiner Taxe am Hackeschen Markt gestrandet. Vor mir in der Reihe die üblichen Verdächtigen, hinter mir auch und um uns herum das bunte Treiben der größten Provinz der Bundesrepublik... Gewollt schräge Vögel, soweit das Auge reicht, neben den Bordsteinschwalben und den Bordstein vollscheißenden Tauben bilden sie eine schöne Kulisse für alle, die das Weltstädtische in Berlin suchen.
Ein Taxi schlittert durch die Nacht.
Illu: Nils Wünsch
Das Geschäft lief nicht gut, der Kaffee war heiß und stark und wenn´s weiter so lau geblieben wäre, hätte ich mit einem frühen Feierabend rechnen müssen wollen gekonnt zu haben, auf Deutsch gesagt. Über die guten, alten Zeiten sinnend fielen mir wohl die Augen zu und der Kopf auf die Brust für ein kleines Express- Nickerchen. Plötzlich schreckte ich hoch, denn ein Etwas oder ein Jemand riss die Tür hinten rechts auf und eroberte sportlich die hintere Sitzbank. Die auf den ersten Blick männlich erscheinende Person schmetterte mir ein zackiges „Guten Abend“ entgegen, steckte den Kopf zwischen die Kopfstützen der Vordersitze und befahl mir in freundschaftlichem Kommandoton die Fahrt nach Schöneberg in die Domenicusstraße. Etwas schlaftrunken war ich noch, erwiderte den Gruß aber in keiner Weise weniger zackig. Von Null auf hundert, das kann ich wohl besser als meine müde, alte Taxe. Der Typ war auch auf den zweiten Blick ein Mensch männlichen Geschlechts, wirklich Zweifel hatte ich daran ja von Anfang an nicht, aber man will ja niemanden vor beurteilen oder gar ausgrenzen, heutzutage. Die Fronten wären geklärt gewesen und da ging sie ab die Lucie wie Schmidts Katze.
Verkehrswidriges Wenden ist Grundvoraussetzung für den Beruf des Taxifahrers und schon waren wir auf der schnellsten Route.
„Ich habe sie ganz bewusst ausgesucht“ eröffnete mir die halbe Portion auf dem Rücksitz, noch ehe wir von der Spandauer auf die Linden abbogen. „Ich fahre nämlich nicht mit jedem. Und schon gar nicht mit diesen, na sie wissen schon, die mit den schwarzen Haaren... dieses Kroppzeug“. Herrschaften dieser Überzeugung nicht zu befördern bedeutet in der Regel, auf 30 Prozent Einnahmen zu verzichten. Was soll´s? Güllefahrer müssen das auch jeden Tag machen. Nase zu und durch. Herz und Schnauze waren in jenem Augenblick nicht meine Begleiter und anstatt dem Kerl trotzig ein „Ich nix verstehen gut - Ich Polska.“ entgegen zu halten, wie es sonst so meine charmante Berliner Art wär, ergab mich in jener lauen Sommernacht der Vorfreude darüber, bald einen frisch gepressten 20 er und ein paar Zerquetschte zu besitzen, ergab mich dem Schicksal in der Form, wie eine Methhure von der Kurfürstenstraße bei einem Ritt auf dem kalten Truthahn sich ihrem übergewichtigem, verschwitztem Freier ergibt. Ich fuhr einfach los und routiniert weiter in Richtung des gewünschten Fahrzieles, gerade so, als wäre nichts passiert. Das Männchen hinten hatte seinen Kopf endgültig zwischen den Vordersitzen geparkt, unmittelbarer Nähe zu meinem rechten Ohr und erzählte ziemlich laut, mit Händen redend und vielleicht auch mit Füßen, die ich ja während des Fahrens nicht sehen kann, wild und frei heraus und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, wie es selber immer wieder verbal unterstrich. Viel ist nicht hängengeblieben von seinem Gefasel. Mir ist mit den Jahren eine Art Dickhaut über die Ohren gewachsen. Der Typ hatte jedoch eine seltsame und unfreiwillig komische Art, sich mitzuteilen, redete in Satzfragmenten statt in ganzen Sätzen, erging sich in politischen Phrasen. Bruchstücke von seinem Gelaber fanden wohl aus diesem Grund den Weg in mein Erinnerungsvermögen. Etwas über die konstituierende Sitzung einer neuen Partei, der er beigewohnt hätte. Die Geburt von etwas Großem, von Wiedergeburt, von einer Partei, mit der alles wieder gut werden würde in Merkels verkommenem Deutschland. Ich musterte ihn durch den Rückspiegel. Teure Klamotten trug der Kerl, Hellgrauer Anzug, von Hugo Boss wahrscheinlich oder von Karl Keinejogginghose Lagerfeld. Unscheinbarer Typ. Gepflegt, Seitenscheitel mit viel Pomade oder Muttis Spucke, zu viel Eau de Toilette. Besondere Merkmale, keine. Seine Augen waren von blass blauer Farbe, glasig und mit stark geweiteten Pupillen, im Großen und Ganzen ein Typ, den Du schon vergessen hast, wenn Du Deinen Blick vom Rückspiegel abwendest. Manisch blickte er durch seine teure Brille, starrte gerade aus durch die Frontscheibe auf die Lichter der Nacht. Er erzählte vom Besuch auf einem Bauernhof, traf dort auf eine ungehörige Person, eine Frau mit antiautoritär erzogenen Kindern, hier fehlt mir der Zusammenhang seiner Erzählung, aber er sagte zu der Frau und diese Worte und in der Art, wie er sie sagte, werde ich nicht mehr los.
„Sie Schwein, warum grüßen sie nicht?!“
Seltsam. Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine Frau als Schwein betitelt zu haben und schon gar nicht als: Sie Schwein. Ich benutze eher so klassische Ausdrücke, sage schon mal: „Fotze!“ Auch „Du Fotze!“ Natürlich sage ich auch zu Männern „Fotze!“, weil es wohl in unserer modernen Welt keine Inferiorität für die Frau sein sollte, eine Fotze zu sein. Wenn´s aber, und ich sage an dieser Stelle bewusst das böse Wörtchen „aber“, wenn´s aber unbedingt ein Begriff aus der Fauna sein soll, warum dann nicht: „Du blöde Kuh…“? Zurück zum schrägen Vogel auf der Rücksitzbank. Der bekam sich gar nicht mehr ein. „Sie Schwein, warum grüßen Sie nicht?!“ Das hatte ich so noch nicht gehört und ich fragte ihn, wen das Schwein den grüssen sollte? Der kleine Mann ignorierte oder überhörte die kleine Spitze und echauffierte sich weiter und immer stärker. „Sie Schwein, warum grüßen Sie nicht?!“ Dann hielt er plötzlich inne, sah mich sehr fragend an. Ich schlussfolgerte aus seinem bisherigen Verhalten, dass er keine Antwort erwartete.
„Damit ist bald Schluss!“ verkündete er daraufhin und war sehr entschlossen. „Wir werden wieder mit eisernem Besen auskehren.“
Und nochmal: „Sie Schwein, warum grüßen Sie nicht?! Hahahar!“ Er lachte wie einer, der meistens nur über seine eigenen Witze lacht. Ein Irrer, dachte ich und ein ungutes Gefühl beschlich mich. Körperlich hatte ich keine Bedenken, den Vogel in die Schranken zu weisen, er war ja nur ein halber Hahn. Schon fürchtete ich zu entgleisen oder das er vielleicht bewaffnet war. Außerdem waren wir fast am Ziel, Potsdamer, Ecke Goeben. In meinen Gedanken winkte der frisch gepresste Zwanziger schon zum Greifen nahe. Fresse halten und durch. Keine 5 Minuten mehr. Geduld ist die Mutter der Porzellankiste. Mir fiel ein Zitat ein, von dem ich im Augenblick nicht weiß, wer es einst ausbrachte. Jeder wäre korrumpierbar, die Stärke des Charakters misste sich nur an der an Höhe des Preises. Was bin ich für eine billige Nutte? Käuflich für einen Zwanziger und ein paar Zerquetschte. Kurz schlug ich mich mit dem Gedanken herum, einen invertierten Taxiraub zu begehen, um meine Ehre wieder in die Balance zu bekommen. Ich unterließ es, fürchtete wohl zu sehr die weltlichen und geistlichen Konsequenzen.
Du sollst nicht töten! So steht´s im Buche Mose.
Mit meinem schwer verdienten, frisch gepressten Zwanziger in der großen schwarzen Börse machte ich mich auf den Weg heim in mein Reich, um beim Einschlafen auf der Wohnzimmercouch bei einem Bier und seichtem Fernsehprogramm nochmal mein Leben, die Zukunft und die 10 Gebote zu überdenken.

Aktuell

Brand im Naturtheater Friedrichshagen

Gestern Nachmittag brannte der Eingangsbereich des Naturtheaters hinter dem Bahnhof ab. Noch bevor Feuerwehr und Polizei eintrafen, hatte das Feuer...

Stadträtin für Weiterbildung, Schule, Kultur und Sport Cornelia Flader Interview

Erfahrungen der Stadträtin Cornelia Flader

Foto: Matthias Vorbau Ihre neue Funktion kam für alle überraschend – dem ursprünglichen CDU-Kandidaten hatte, nach der Ablehnung durch alle anderen...

rathaus koepenick Aktuell

Karrieren im Superwahljahr

Foto: Matthias Vorbau Im Herbst wird nämlich nicht nur der Bundestag neu gewählt, auch das Berliner Abgeordnetenhaus und die Politiker in...