Von der Beförderung der schönen Literatur und des schönen Trinkens

Der Dichter Johannes Bobrowski. Notiz zur Biographie. (Teil 2)

Bobrowski war „nicht besonders groß, aber breit und gewichtig – 196 Pfund; ich erinnere mich daran, weil er einmal ausführlich erörterte, wie die vier auf die zwei Zentner ausstehenden Pfunde wohl zu erwerben seien. Dabei war er beweglich, ging schnell, bevorzugte Anzüge von väterlich bequemem Schnitt, in denen er förmlich turnen konnte“, erinnerte sich der Verleger Klaus Wagenbach. „Eisbärenaugen“ ersten Gedichtband aus: „Sarmantische Zeiten“. Zehn Monate danach werden die Texte auch vom Ostberliner Union-Verlag dem Publikum vorgelegt, der die in Stuttgart gestrichene „Pruzzische Elegie“ aufnimmt. – Auch und immer und wieder die Frage: „Und wer lehrt mich/was ich vergaß“? Verse, Formeln, Zaubersprüche einer untergegangenen Welt. Heimat. Und „Immer zu schauten Bernd Jentzsch entgegen und „schöne Nilpferdaugen“ Günter Bruno Fuchs. „Seine Gastfreundschaft wurde legendär und der Familientisch zum Freundschaftsaltar. Das kam aus östlicher Überlieferung, bestimmte das Leben der Familie und wurde um jeden Preis festgehalten. Wo sonst in der deutschen Literatur gab es diese offenen Arme.“ Manche kannten Johannes Bobrowski aus seiner Arbeit beim Union-Verlag der Ost-CDU, wo er seit 1959 als Chef-Lektor redigierte. Dass er Gedichte schrieb, wussten damals nicht viele. Kometenhaft war sein Aufstieg, als Bobrowski auf einer Tagung der Gruppe 47 – nachkriegsdeutsches „Zentralcafé einer Literatur ohne Hauptstadt“ mit Aichinger, Andersch, Bachmann, Grass, Johnson, Lenz – eigene Gedichte las. Das war 1960, und als „die Monstertagung... ihr Tief erreicht [hatte], da setzte sich ein kleiner, gedrungener Mann auf den ‚elektrischen Stuhl’. Er sah eher aus wie ein Arbeiter, vielleicht auch wie ein Bauer, rundes Gesicht, breite Backenknochen, ein bisschen derb. Gar nicht modische Kleidung, festes Schuhwerk. Er wurde als Johannes Bobrowski vorgestellt ... Dann las er, schwer und breit und ganz routinelos ein paar Gedichte vor und die 22.Tagung der Gruppe hatte plötzlich einen Akzent bekommen: Man hatte einen Dichter entdeckt.“
... Christa trank uns Kerle unter den Teppich.
Dieser viele Jahre unerhörte Dichter findet nun Gehör – und Verlage für seine Dichtung: Am 22. Februar lieferte die Deutsche Verlagsanstalt in Stuttgart den ersten Gedichtband aus: „Sarmantische Zeiten“. Zehn Monate danach werden die Texte auch vom Ostberliner Union-Verlag dem Publikum vorgelegt, der die in Stuttgart gestrichene „Pruzzische Elegie“ aufnimmt. - Auch und immer und wieder die Frage: „Und wer lehrt mich/was ich vergaß“? Verse, Formeln, Zaubersprüche einer untergegangenen Welt. Heimat. Und „Immer zu benennen:/den Baum, den Vogel im Flug,/den rötlichen Fels, wo der Strom/ zieht, grün, und den Fisch/im weißen Rauch, wenn es dunkelt/ über die Wälder herab.“ Der Dichter Franz Fühmann „muss gestehen, dass ich anfangs seiner Lyrik schroff ablehnend gegenübergestanden bin: das Wachhalten, viel- leicht sogar Wiedererwecken von Gefühlen, die aus- sterben mussten.“ Doch das Ausgestorbene erhält unter Bobrowskis Händen noch einmal Form. Auf den Fahrten von Friedrichshagen „in die Stadt“, im morgendlichen Berufsverkehr, schreibt er Gedichte von Baum, Fluss, Vogelflug. „Schattenland Ströme“ gibt im Mai 1963 der Union-Verlag heraus. Und im Juli erhält Bobrowski in Wien den Alma-Johanna-Koenig-Preis, im Oktober den Preis der Gruppe 47. Preise für Dieses und Jenes und Folgendes. Panische Produktivität. Zunehmende Hektik. Notorischer Zeitmangel. Tiefer Erschöpfung folgen Melancholie und Trunksucht. Verpflichtungen hetzen ihn, Todesangst fasst ihn an. Im September 1964 erscheint gleichzeitig im Union-Verlag Ost und im S. Fischer-Verlag West der Roman „Levins Mühle“, ein Vorabdruck in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Die „34 Sätze über meinen Großvater“, über Johann den Deutschen, den Mühlenbesitzer, der an der Galle leidet, das Wasser des Flusses staut und die Mühle seines Konkurrenten, des Juden Levin, weggeschwemmt, das Panorama zarter Schwalben und fette Gänse, katholischer Polen, geheimnisvoller Zigeuner mit Geige, von Baptisten, Adventisten, Methodisten, die Erzählung vom gemütlichen Antisemitismus“ wird verfilmt. Die DEFA malt im Jahr 1980 „ein poetisches Genrebild einer versunkenen Welt des Ostens“ – Farbgebung: Rolf Ludwig als Artist, Kurt Böwe als Maler, Rolf Hoppe als Abdecker; dabei auch Eberhard Esche und Erwin Geschonneck. Und Musik wird seine Geschichte, eine Oper: Levins Mühle: Komponist Udo Zimmermann, Regie bei der Uraufführung 1973: Harry Kupfer. Prosa ist Bobrowski die Fortführung der Lyrik mit anderen Mitteln – irgendwo im Dreieck von Isaak Babel, Robert Walser und Hermann Sudermann. „Das „Mäusefest“, „Der Mahner“ werden Beschwörungsformeln. Schuld, Krieg – und darum und deshalb die ver- lorene Heimat, untergegangene Welt. Immer wieder. Geschichten erzählen, handgreiflich. Bobrowski: „Ich kann nun diese Schuld natürlich nicht abtragen, aber ich kann vielleicht versuchen, sie sichtbar zu machen, an sehr handgreiflichen und sehr einfachen Dingen.“ Bobrowski, der Dichter – ein Solitär. Seine Sehnsucht treibt ihn. Er überschreitet eine der Tabulinien der DDR- Literatur: die Oder-Neiße-Grenze. Er taucht seine poetische Sprache in die Metaphorik des Unterwegsseins. Verse als Medium der Annäherung, Näherung an Orte, Zeiten, Menschen, Schatten – Landschaften der Vergangenheit. „Über Flucht und Vertreibung hatte das SED-Regime, auch aus Rücksicht auf die Sowjetunion, den Mantel des Schweigens gelegt – und das Erinnern an die Orte und Flüsse der Kindheit ins Private gedrängt. Und plötzlich erhob da einer seine Stimme und besang einen Strom, der vor allem durch die erste Strophe des Deutschlandliedes bekannt war.“ Vor allem aus West-Berlin kamen sie in dieser Zeit wie Pilger an seine Arbeitsstätte im Union-Verlag oder in das Haus in der Ahornallee am östlichen Stadtrand Berlins: Ingeborg Bachmann, Peter Weiss, Hans Magnus Enzensberger, Walter Höllerer, Walter Jens, Uwe Johnson, Franz Schonauer. „Alle waren bei Johannes Bobrowski“, berichtete der Schriftsteller Hubert Fichte. „Über was wir gelacht haben, weiß ich nicht mehr. Einmal vielleicht ziemlich motivlos über das Wort Jannowitzbrücke ...Christa trank uns Kerle unter den Teppich.“ In Friedrichshagen wird 1962 in loser Erinnerung an einen vormaligen ein neuer Dichterkreis gegründet – dessen Aufgabe man „in der Beförderung der schönen Literatur und des schönen Trinkens“ sah. Christliche Nächstenliebe und auch die Freude am Zuspruch der Gemeinde verbot es Bobrowski, allzu aufdringliche Schnorrer und Zeitdiebe einfach rauszuschmeißen, um weiterzuarbeiten. Auf den Freundschaftsaltar legt Bobroswki seine Gastfreiheit und immer wieder neue Gedichte. Und einen zweiten Roman. „Litauische Claviere“, die Geschichte vom Gymnasiallehrer Voigt und vom Konzertmeister Gawehn, die eine Oper über den litauischen Nationaldichter Kristijonas Donelaitis schreiben wollen – wenige Seiten Roman, Landschaften, Exkursionen in die Geschichte Ostpreußens. Wieder die Dörfer und Kleinstädte am jenseitigen Memelufer. Verschlüsselung. Immer schwieriger zu lösen. Briefe wechselt Bobrowski – mit Paul Celan, Nelly Sachs, David Rokeah. Dann stirbt der Dichter am 2. September 1965. Wieland Förster richtet das Grab, monumentales Kreuz, zwei Stelen. Stephan Hermlin spricht Worte zum Abschied auf dem Christophorus Friedhof in Berlin-Friedrichshagen. Vergessen haben ihn die Dichterfreude nicht. Und nicht die Weltverzweifelnden, die Hoffnungssucher, die zeitverlorenen Schildwachen der Poesie: Als die Mauer in Berlin fällt, träumt trunken ein weltvergessener Mime, Edzard Haußmann: „Jetzt wäre er unser Präsident.“ Foto: Lütfi Özkök, Verwendung mit freundlicher Genehmigung der Johannes Bobrowski Gesellschaft. (Bildrechte bei eben jener.)

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