Das Armutszeugnis des Reichtums

Teil I: Das Wunder von Wörgl
Erstveröffentlichung am 18.09.2012
Der Homo Sapiens ist das einzige Lebewesen, das Geld braucht, um leben zu können, und trotz der verheerenden Folgen, die die Erfindung dieses Mediums für den Planeten Erde und das ganze Universum hat (Armut, Kriege, Hunger, Ausbeutung und Zerstörung von Lebensräumen usw.), verkauft er sie immer noch als „Fortschritt“ und Beweis seiner „Intelligenz“, und diese Selbsttäuschung wird er vermutlich noch bis zum bitteren Ende aufrechterhalten.

„Erst wenn der letzte Baum gefällt und der letzte Fluss vergiftet und der letzte Fisch gefangen wurde, erst dann werden wir merken, dass man Geld nicht essen kann“, erst dann wird uns aufgehen, dass wir mit unserer Ökonomie die Ökologie unwiderruflich zerstört haben und damit auch unser eigenes Leben. Auch Fair-Trade-Kaffee, Mülltrennung und Abgaskatalysatoren sind kein Weg zurück, da sowohl die Müllberge als auch die Autoverkaufszahlen stetig steigen. Am Ende sitzt der Mensch mitten im Müll auf seinen Geldbergen und verhungert, weil es nichts mehr gibt, wofür er seine so lange mühsam zusammengesammelten Ersparnisse eintauschen kann.

Obwohl es dieses Szenario in der Geschichte schon ein paarmal gab, z.B. bei der Hyperinflation 1923, ist der Mensch scheinbar völlig unfähig, aus seinen Fehlern zu lernen. Dass Geld für sich genommen wertloser Müll ist, ja dass im Grunde jeder Messie, der alte Schachteln und leere Flaschen sammelt, wertvollere Dinge hortet als der Sparer, der tote Zahlen hortet, mit denen er im Extremfall nichts anfangen kann, das merkten die Opfer der Inflation knallhart – alle waren sie „reich“, alle waren sie Millionäre, und trotzdem hatten sie nichts. Nichts außer Nullen.

Wir befinden uns im Moment in einer „deflationären Spirale“. Die Eurokrise, so Wirtschaftsexperten, ist eine Vertrauenskrise. Die Banken geben keine Kredite, und die Menschen hamstern ihr Geld lieber, als es auszugeben. Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes sinkt, und damit stagniert die Wirtschaft, die Löhne fallen, und die Firmen gehen pleite.

Der Finanztheoretiker Silvio Gesell (1862-1930) sah daher gerade das sogenannte „Hortgeld“ als Problem. In der langen Geschichte des Geldes hatte es sich als Tauschwert verselbständigt, und da Gold weder schimmelte noch faulte, konnte es, anders als „lebendes Geld“ wie Getreide oder Nutzvieh, lange aufbewahrt werden. Dadurch aber, so Gesell, werde immer wieder die Wirtschaft gestört. Er forderte daher einen Negativzins für Hortgeld, d.h. eine Art Wertverfall nach Ablauf des Haltbarkeitsdatums. Wie es im Supermarkt Joghurt von letzter Woche billiger gibt, so sollte auch das gehortete Geld nach Ablauf einer bestimmten Frist „billiger“ werden. Raus mit dem Geld, heißt die Devise, solang es noch geht! Nicht draufsitzen, bis man das Sparbuch nur noch als Klopapier benutzen kann, weil das ganze System im Arsch ist!

Die Weimarer Republik war neben den politischen Unruhen auch eine Zeit, in der es wirtschaftlich drunter und drüber ging. Wie kaputt das System im Grunde ist und immer schon war, weil beim Homo Sapiens diese eine Schraube eben locker ist, konnte man in dieser Epoche besonders gut sehen. Und als die Massenarbeitslosigkeit 1932 auch das kleine Tiroler Kaff Wörgl heimsuchte, dachte sein Bürgermeister Michael Unterguggenberger, dass man nun, wo man eh nix mehr zu verlieren hatte, ja auch mal die Ideen des Herrn Gesell ausprobieren könne.

Die Kassen in Wörgl waren leer, die örtlichen Fabriken bauten ab, und das Amt wusste nicht mehr, wovon es den Stützis ihre Stütze bezahlen sollte. Da begann man, „Arbeitswertscheine“ zu drucken, das sogenannte „Freigeld“ oder „Schwundgeld“, das so hieß, weil sein Wert dank dem implizierten Negativzins automatisch schwand. Es war, wie wenn man als Ersatzwährung Eier benutzte: daß man diese nicht jahrelang rumliegen lassen kann, weil sie sonst schlecht werden und nicht mehr verwendbar sind, leuchtet jedem Kind ein. „Ohne Prägestempel ungültig“ stand auf den Wertscheinen, und „Als Notabgabe ist monatlich 1% in Marken zu entrichten“. Diese Klebemarken wurden gekauft und vorne auf den Schein geklebt. Dadurch wurde die „Rest-Haltbarkeit“ des Geldes angezeigt. In einer Bekanntmachung schrieb Unterguggenberger: „Langsam umlaufendes Geld hat die Welt in eine unerhörte Wirtschaftskrise und Millionen schaffender Menschen in unsägliche Not gestürzt.

Die Menschen leben vom Austausch ihrer Leistungen. Der langsame Geldumlauf hat den Leistungsaustausch zum großen Teil unterbunden und Millionen arbeitsbereiter Menschen haben dadurch bereits ihren Lebensraum im Wirtschaftsgetriebe verloren.“

Und auch wenn es den traditionellen Vertretern der Volkswirtschaft seltsam vorkam: das „Wunder von Wörgl“ nahm seinen Lauf. Die Arbeitswertscheine, die von der Raiffeisenbank gedeckt waren, kurbelten die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes wieder an, und die Wirtschaft kam wieder auf Touren. Der Not-Schilling wurde von den hiesigen Geschäften in Zahlung genommen, und während überall sonst die Arbeitslosenquote anstieg, ging sie in Wörgl zurück. Der Erfolg des Experiments verbreitete sich in Windeseile, der französische Finanzminister kam nach Wörgl, um sich die blühende Wirtschaftsinsel inmitten der Massenarbeitslosigkeit zu bekieken, und der Ökonom Irving Fisher schlug den USA vor, zur Beendigung der Krise auch ein „Wörgl-Geld“ einzuführen, doch leider vergeblich.

Nach 14 Monaten jedoch wurde das Experiment von oben gestoppt: die Österreichische Nationalbank bekam vor Gericht wieder das alleinige Recht der Geldprägung zugesprochen, und höchst massiv, mit Androhung von Waffenseinsatz nämlich, wurde die Fortsetzung des Projekts „Wörgler Freigeld“ verboten. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier; er bleibt lieber bei seinen alten Fehlern, die ihm inzwischen lieb und teuer geworden sind. Was ihn schon mal in die Scheiße geritten hat, dem muß man schließlich treu bleiben.

Doch die Erfahrung Wörgl zeigt, dass es auch anders geht. Auch wenn Silvio Gesells Thesen in der Welt der Ökonomie weitgehend belächelt und ignoriert werden, so wird er gerade jetzt v.a. in der Occupy- Bewegung immer häufiger erwähnt. Gesell steht für ein Back to the roots, als das Geld als Tauschmedium noch einen reellen Wert hatte. 2009 schlug der aktuelle Wörgler Bürgermeister Arno Abler vor, zum Modell von 1932 zurückzukehren.


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