Geschenke für alle

Illustration: Johannes Großer Es war doch abzusehen, auch dieses Jahr kommt Weihnachten so spontan wie die letzten 2112 Jahre. Es ist jedes Jahr das Gleiche und ich frage mich, warum wir dieses Ritual noch begehen. Warum eigentlich? Ich habe keine Zeit darüber nachzudenken, ich muss Geschenke kaufen. Die Eltern mindestens 300 Dollar, die Geschwister jeder 150 Dollar, jeder weitere Verwandte über 50 Dollar – und das nur, weil ich arbeitslos geworden bin. Diese verdammte Arbeit! Alles nehmen die einem weg, diese … verdammt!, ich muss mich auf die Geschenke konzentrieren! Und wegen all dieser Kacke muss ich auch noch raus zum Einkaufen – Internet funktioniert hier nicht, weil mein Mitbewohner über Politik gesprochen hat. Das ist total albern, denn jeder weiß doch ganz genau, dass wir das für die Sicherheit aller nicht tun wollen. Der Typ hätte eigentlich Schlimmeres verdient, in anderen Ländern der Welt hätte er es richtig abbekommen. Und seinen Job durfte er auch behalten! Nur ich darf eben in seinem Radius nicht einloggen, also raus in die scheiß Kälte. Aber was stelle ich mich an, immerhin mal wieder ein Winter, zu dem man raus kann. Bis jetzt nur -15 Grad am Tag, das geht noch im Vergleich zum letzten Jahr. Die Geschenke! Ab zu Daniel, dort kann ich mich dann einloggen und kriege vielleicht auch etwas zu essen. Daniel wohnt in einem dieser modernen Einfamilien- Reihenhäuser; bis fünf Meter wasserdicht, weil das Wasser ja angeblich noch schneller steigen soll – ich glaub nicht dran –, sieht aus wie Spielzeug, auf jeder Seite Fenster, sogar verputzt ist es. Und einen beheizten Pool hat er. Beim Treppensteigen denke ich an die schönen Frühlings- und Herbsttage, die wir als Kinder darin bei 30 Grad verbrachten. Damals musste ich auch nicht so teure Geschenke kaufen – da reichte es, wenn jeder etwas für 50 Dollar bekam. Im Warmen begrüßt mich sein Fugie. Mit Verachtung gebe ich ihm meine Jacken. So einer hat mir meinen Job weggenommen! Soll er doch zu seinem Gesocks raus aufs Land oder in die Wälder. Oder gleich zu denen in die Auffanglager – ist der überhaupt schon lange genug in Europa, dass er arbeiten darf? Und dann noch bei einer gehobenen Familie! „Ja, jetzt als Kind im Pool, das wär‘s doch, oder?“, fragte mich Daniel per Chat. Ich hatte bei der Kälte draussen gar nicht gemerkt, dass ich schon eingeloggt war und er meinen Gedanken-Tweet damit kommentierte. „Damals war die Welt noch gut!“, war die cleverste Antwort die mir einfiel. „Willst mal wieder Heizung und Essen schnorren?“, fragte er „Komm hoch, ich bin im Wohnzimmer. Heute gibt‘s Eintopf!“ „Alter, ich muss erstmal Geschenke kaufen, aber dann Eintopf.“ Ich gehe die Treppe (gebaut von Stepmax! Dem Profi für Ihre Treppe!) hinauf, betrachte rechts von mir die Fototapete (gedruckt bei FotoExpress – Ein Leben in unendlichen Bildern), auf einigen Fotos bin ich mit Daniel zusammen zu sehen. Es ist mir irgendwie unangenehm, mein kindlich naives Abbild zu sehen und zu wissen, dass es totunglücklich auf dem Bild wäre, wenn es sehen würde, was aus ihm geworden ist. Dann öffne ich die Tür (Portex-Türen – Türen in eine neue Welt!) zu Daniels Wohnzimmer und werde von Eindrücken erschlagen. Erst hier fällt mir auf, dass die letzten Tage ohne Internet in der WG somit auch ohne Werbung waren. Es wurde nicht jedes Produkt, was ich ansehe, gescannt und vorgestellt. Hier in Daniels Zimmer sehe ich so viele neue Dinge, die er sich wieder gekauft hat, dass ich von Produktwerbung dazu erschlagen werde. Ich klicke weg und sehe nach gefühlten tausend Klicks endlich Daniel, wie er auf der Couch lümmelt. „Du brauchst unbedingt einen Lift, Alter!“, ächzte ich. Die Treppe und die Werbung waren mir zu viel auf einmal. Ich setzte mich zu ihm. Er grinste nur, der Fugie brachte uns ein paar Zuckerstäbe und jedem ein Glas Energy-Sirup. Der Shoppingstress kann beginnen. Zum Glück sagt mir das Internet ganz schnell, was sich jeder von mir wünscht, denn alles, was die zu Beschenkenden gedacht und gesagt haben, wird ausgewertet. Für meine Eltern gebe ich mir besonders viel Mühe: Ich wähle aus mehreren Optionen für sie aus. Zwei Tage später ist Heiligabend, endlich gibt es die Geschenke! Ich bekomme, was ich mir gewünscht habe – wie es sich zu Weihnachten gehört –, trinke eine traditionelle Weihnachtscola und … bäh! Ein bitteres Zeug, die Menschen müssen es früher echt schlecht gehabt haben! Trotzdem trinke ich das jede Weihnacht. Ich tue das einfach nur, weil ich es schon immer getan habe. Ein Relikt, aus alten Zeiten. Tradition, einfach um wenigstens etwas zu tun, was wirklich mit Weihnachten zu tun hat. Geschenke, das ist doch nur der neue Trend zum Konsum, aber Cola, die hat der Weihnachtsmann wirklich gebracht.

Zeitreisen

Mit 110 zum Landarzt

Manfred Mosblech (Mitte) am Set von "Der Landarzt" Unweit von Friedrichshagen liegt die Gemeinde Neuenhagen. Als dort im März 1986 der...

Alfs Allerlei

Die sagenumwobene Highlanderblume

In aktuellen wissenschaftlichen Publikationen sucht man sie vergebens. Doch alte Schriften sind voll mit Hinweisen auf die Filipendula Highlanderia, welche...

SNÖRP Maulbeertipp

SNÖRP

Foto: Stefan Mauritz Beim letzten Laute Kirche Festival in Oberschöneweide teilte meine Band das Line Up mit fünf anderen Bands unter...