Willkommen im Schlaraffenland

Mörderischer Luxus: Fressen Dass der Schöpfungsplan den Mensch nicht allein mit Vorzügen ausgestattet hat, ist weithin bekannt. Dass der Mensch sich hin und wieder mit Problemen auseinander setzen muss, ist eingeplant im göttlichen Strategiespiel. Wer mag das bestreiten. Da ist es kaum weniger als perfide zu bezeichnen, wird der Mensch insbesondere dann mit Not geschlagen, wenn er es geschafft hat, einen maßgeblichen Trieb in hohem Maße zu befriedigen. So ist es mit dem Fressen. Ein Blick in die Märchenbücher dieser Welt verrät: Wer es zu was gebracht hat, der tafelt erst einmal ordentlich, und wenn es gut läuft, fliegen einem die Tauben fertig gebraten ins Maul. Und da es hierzulande jeder zu etwas bringen darf („Mach Dein Ding“), wo es heißt: Essen gut, alles gut – wird gefressen, bis der Doktor kommt. Beispiele gefällig? Deutschlandweit laufen unter 100 Kindern 15 echte Pummelchen herum. Sechs von ihnen laufen eigentlich gar nicht, denn sie sind so fett (adipös), dass es mit dem Laufen bereits schwer wird, viele gar eine periphere Insulinresistenz aufweisen, Vorstufe zum Diabetes. Was im Fußball zuletzt versagt blieb, ist hier amtlich: Deutschland ist Europameister: im Übergewicht – und das nicht nur bei der Nachkommenschaft. Zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen sind übergewichtig im Land der Dichter und Denker. Doch dieser Titel könnte bald einen weiteren Knacks bekommen. Wissenschaftler berichten: Dicke Menschen haben im Alter weniger Hirnmasse als andere. Bei Studien wiesen Übergewichtige vier Prozent, fettleibige Probanden acht Prozent weniger Hirngewebe als Normalgewichtige auf. Forscher vermuten, dass Dicke häufiger eine Demenz entwickeln, weil ihnen im Alter Gehirnreserven fehlen. Feine Aussichten, kann sich mancher da nur sagen. Und wer denkt, Herzkreislauferkrankung, Gelenkverriss – ach, das kann ich mir auch anders holen … Wohl wahr. Aber der Strafkatalog für die Flatrate-Fressparty geht erst richtig los. Hier ein paar Auszüge: Starkes Übergewicht bei schwangeren Frauen erhöht das Risiko für Fehlbildungen des Kindes; es drohen etwa Neuralrohrdefekte wie der offene Rücken oder auch Herzfehler. Nach dem Motto „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ (wenn es mal der Apfel wäre!) haben kleine Speckies große Speckies auf dem heimischen Sofa hocken. Denn gehockt und rumgelegen wird viel. Vor allem vor dem Fernseher. In Deutschland sind dies wochentags durchschnittlich 97 und zum Wochenende 134 Minuten. Da verwundert es kaum, dass es mit dem Radfahren bei Kindern zunehmend Essig ist. Im Vergleich zu einer Studie aus dem Jahr 1997 beherrschen heute immer weniger Kinder den sicheren Pedaltritt, scheitern spätestens beim Schulterblick und bereiten Unfallärzten ein florierendes Geschäft. Gut bedient ist, wer eine gertenschlanke Mutter hat. Zumindest bis zur Pubertät. Denn bis dahin, so haben Wissenschaftler beobachtet, ist vor allem eine Ähnlichkeit zur Mutter erkennbar. Ist die Mama aber selbst dick und möchte das ändern, hat sie schlechtere Karten als der Papa: Der kann nämlich Gedanken an Essen besser unterdrücken und nimmt daher flotter ab. Schlanksein ist vielerorts in Verkehrung eines traditionellen Ideals zum Symbol von Wohlstand geraten. Weniger vermutet hätte man wohl, dass auch das Gegenteil der Fall ist: Wo Du einen Fetten siehst, dort lässt sein Gläubiger (oft) grüßen: Übergewicht und Überschuldung, so fanden Forscher der Gutenberg-Uni in Mainz heraus, stehen häufig in Zusammenhang. Frustfressen bis zum letzten Groschen … So schlecht kann es uns demnach also nicht gehen. Ob dies bereits ein weiteres Zeichen „Spätrömischer Dekadenz“ ist, sei dahingestellt. Fakt ist aber wohl, dass beim Essen nicht nur der Appetit kommt. Wer fett isst, mästet nicht nur seine Fett-Depots, sondern regt zusätzlich den Appetit an! Fett aktiviert nach Forschungen von US-Medizinern ein Hormon, das Hunger auslöst. Das kann einem die Stirn schon in wulstige Sorgenfalten legen. Aber manchmal sind es die einfachen Dinge, die Abhilfe von großen Sorgen schaffen. Wassertrinken beispielsweise. Während viele Fruchtsäfte der Marke Discount bei gleicher Portionsgröße die gleiche Zukker wie eine Cola enthalten, überlistet ein kräftiger Schluck aus dem Wasserhahn vor der Mahlzeit nicht nur das Hungergefühl, sondern erhöht auch den Kalorienverbrauch, wie jüngst an der Berliner Charité herausgefunden wurde. Daher wird gefordert: Wasserspender in die Schulen – zumindest vom Forschungsinstitut für Kinderernährung aus der Wohlstandsgemeinde Dortmund. In Köpenick geht man da den konventionellen Weg und baut mal eben zwei Schulsporthallen neu. So werden in Friedrichshagen am Gerhard-Hauptmann- Gymnasium als auch an der Bölsche-Oberschule die Voraussetzungen verbessert, den charmanten kleinen Luxuskörpern vergnüglich Entspannung beim Hantelschwingen und Medizinballtraktieren zu verschaffen. Und darum sei daran erinnert: „Die einzige Methode, gesund zu bleiben, besteht darin, zu essen, was man nicht mag, zu trinken, was man verabscheut, und zu tun, was man lieber nicht täte.“ Viel Spaß ihr Lieben.

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