Bei Tempel auf dem Sofa

Noch nie an einem Joint gezogen?
Erstveröffentlichung am 05.02.2014
Frank Tempel ist seit 2010 drogenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag. Er war Kriminalbeamter sowie stellvertretender Leiter einer mobilen Anti-Rauschgift-Gruppe der thüringischen Polizei und ist Vater von drei Kindern.

Frank Tempel vor seinem Bücherregal
Foto: Matthias Vorbau

Herr Tempel, während in Colorado, USA – eher bekannt für den „war against drugs“ – der Besitz und Erwerb von Marihuana seit Beginn des Jahres legalisiert ist, werden einem geplanten Coffeshop am Görlitzer Park im hippen Berlin wenig bis gar keine Chancen eingeräumt. Hört sich das nicht nach verkehrter Welt an oder hat nur unser Redaktionspraktikant wieder alles durcheinander gebracht?
Nein, es ist leider so: Die Chancen für die Umsetzung des Görli-Coffeeshops halte ich auch für gering. Denn wie sollte man das absichern? Wenn ich im ICE nach Leipzig sitze und mich freue, mein Dope endlich legal erworben zu haben… gibt es dann umfangreiche, fälschungssichere Dokumente, die bestätigen, dass ich das dort und nirgendwo anders gekauft habe?
Man müsste das Bundesgesetz ändern, wo steht: „Besitz und Erwerb sind strafbar.“ Für die Debatte ist der Beschluss aber gut – einfach um zu gucken: Gibt es andere Alternativen als immer gleich die Polizei loszuschicken?

Aber es wird ja auch auf Landesebene – von der Berliner SPD – abgelehnt. Was sind die Argumente der Gegner?
Soweit ich die Kommunikation der Gegner verstanden habe, hält man nach wie vor jegliche Legalisierungsansätze für den falschen Weg. Das ist der Urgedanke des konservativen Denkens: „Law & Order“, also über Verbote die Bevölkerung erziehen. Da gibt es übrigens aus meiner Sicht Parallelen zur Jugendkriminalität: Präventiv wird gar nichts gemacht. Die Jugendlichen fallen mit 12 - 13 Jahren schon auf und wenn sie 17 - 18 Jahre alt sind, wird überlegt, ob man sie nicht noch länger weg sperren müsste. Das ist genau der gleiche Gedanke.

2011 hätte auch niemand auf den Atomausstieg gewettet. Was muss passieren, dass es zu einer Änderung des BtM-Strafrechts kommt?
Man muss einfach ganz starken Druck auf die SPD ausüben. Die CDU ist in ihrer Haltung hier so ideologisch fest gefahren, dass sich da in den nächsten Jahren nichts bewegen wird. Bei der SPD sehe ich eher eine grobe Unkenntnis der Thematik. Da ist sehr wenig Kompetenz. Das erkenne ich jedenfalls an den Anträgen, die sie im Bundestag einbringen. Die haben einfach Angst vor den Bildzeitung-Schlagzeilen, die auch die Linke mal hatte: „Kokain und Heroin bei Lidl und Aldi“ – was sich ja jetzt bewahrheitet hat. (lacht)

Aber beim Atomausstieg war es auch die CDU…
Ja, aber mir fällt jetzt kein „Fukushima“ der Drogenpolitik ein… Nicht ganz die Größenordnung, aber doch ein Quantensprung ist z.B. das Umschwenken in den USA. Das Mutterland der Prohibition öffnet sich plötzlich beim Thema Cannabis. Das dürfte es den erzkonservativen Denkern in der Drogenpolitik etwas schwerer machen. Das Thema muss einfach in die Öffentlichkeit getragen werden, z.B. auch mit Blick auf die medizinische Anwendung oder über unabhängige Fachberichte in den Medien. In dem Moment, wo das Öffentlichkeitsbild kippt, könnte sich auch ein zäher, politischer Prozess auf einmal beschleunigen.

Sollte der Fall eintreten: Wird es eine Steuer wie auf Alkohol oder Zigaretten geben? Finanzieren dann Kiffer den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan?
(Lachen) Nicht nach unseren Vorstellungen. Ich stehe für eine präventive Eindämmung des Cannabiskonsums. Ich halte es für abwegig einem 40-jährigen zu erklären, dass er sich sein Leben mit dem gelegentlichen Konsum von Haschisch verpfuscht.
Da gibt es andere Schwerpunkte.Jeder Mediziner mit dem ich spreche, sagt:

„Herr Tempel, Sie mit Ihrem Cannabis immer. Kümmern Sie sich lieber um Tabak-, Alkohol-, Medikamenten-missbrauch. Da liegen die Probleme.“

Aber zurück zu Ihrer Frage: Wir setzen darauf, es über den Eigenanbau zu lösen. Keiner soll die Möglichkeit haben, damit Gewinn zu erzielen, weder illegal noch legal. Und über die Eigenanbau-Lösung kann keiner damit Geld verdienen - weder der Staat noch eine Einzelperson. Dadurch werden die Kiffer natürlich nicht verschwinden. Der Konsum wird bleiben.

Wäre dann in Ihren Augen die Gewährleistung der Qualität eine Aufgabe des Staates?
Wir sehen schon unsere Aufgabe darin, potentielle Risiken zu minimieren. Wenn es schon einen Bedarf an Rauschmitteln gibt, dann hat der Staat doch die Möglichkeiten, die Gefahren deutlich gering zu halten. Je gefährlicher die Stoffe sind, desto mehr müsste doch der Staat bemüht sein, die Kontrolle darüber zu erlangen. Bei Kinderkarussells auf dem Rummel kommt der TÜV und kontrolliert. Sollen wir die Qualität von Heroin, Kokain, Crystal denn dem illegalen Markt überlassen? Da gibt es keinen Verbraucherschutz, keinen Jugendschutz und den Dealer interessiert es nicht, ob jemand zwölf oder 25 Jahre alt ist. Man weiß: Es gibt einen Bedarf trotz Verbot. Also ist der Staat in der Pflicht.

Wie soll dann die Gewährleistung aussehen? Denken Sie dabei an ein Deutsches Reinheitsgebot oder ein Biosiegel?
Wir haben das Modell des Cannabis-Clubs. Auch wenn es relativ einfach ist Cannabis anzubauen, haben z.B. nicht alle den grünen Daumen und es würde trotz der Genehmigung zum Eigenanbau zum illegalen Handel mit Cannabis kommen. Im Cannabis-Club müsste man sich registrieren lassen, um sich seinen Eigenbedarf zu sichern und der Staat hätte z.B. Einfluss auf den THC-Gehalt der Pflanzen. Es gäbe natürlich keine Werbung dafür - wie es übrigens auch für Tabak oder Alkohol keine Werbung geben sollte. Und der Jugendschutz wäre darüber gewährleistet, dass eine Mitgliedschaft erst ab 18 möglich ist.

Das Colorado-Modell ist zwar nicht meins. Aber es ist allemal besser als die gegenwärtige Repressionspolitik und das Strafverfolgungsmodell. Repression ist sehr teuer. Wir wären schon zufrieden, wenn nur ein Teil dieser Gelder in die präventive Arbeit fließen würde. Unser Ansatz ist es aber nicht, dem Finanzminister mehr Einnahmen durch eine andere Drogenpolitik zu bescheren. Das Haushaltsloch lässt sich besser mit einer höheren Besteuerung von Kapitalgesellschaften stopfen.

Wie müsste denn Präventionsarbeit aus Ihrer Sicht aussehen?
Bei den Veranstaltungen, die ich bundesweit besuche, habe ich eine Standardfrage: „Nimmst Du Heroin?“
Meistens ist die klare Antwort: „Nein.“ „Warum nicht?“ Meistens kommt dann: „Gar kein Bedarf.“ Oder als zweit häufigster Grund wird das gesundheitliche Risiko angeführt. Doch niemals kam bisher die Antwort: „Na, weil’s verboten ist.“

Bei denen, die ein erfülltes Leben haben, ist der Hang zu solchen Substanzen relativ gering. Und diese Angebote zu schaffen oder zu erhalten ist Prävention. Beim reinen Genussgebrauch hingegen gibt es die Möglichkeit mittels Kampagnen auf die Suchtgefahren hinzuweisen, ähnlich wie beim Alkohol: „Kenn Dein Limit!“ Das heißt: Wenn einer beschließt, er müsse alle halbe Jahre mal eine Nase Kokain schnupfen, dann muss ich ihm nicht erzählen, dass er damit sein Leben die Toilette runterspült. Der lacht mich aus, weil er das vielleicht schon 15 Jahre so macht und immer noch Abteilungsleiter ist. Es ist nicht immer der Arbeitslose im sozialen Abwärtstrend. Nehmen Sie z.B. Christoph Daum oder Michel Friedmann. Das zieht sich durch die gesamte Gesellschaft und die Motivation ist sehr verschieden. Insofern gibt es nicht „das eine“ Präventionsmodell.

Verbreitet ist ja die Auffassung: Drogen nimmt, wer Probleme hat. Da höre ich dann auch auf Veranstaltungen der Linken von älteren Genossen: „Wenn wir alle Probleme der Gesellschaft klären, es keine Alters- oder Kinderarmut mehr gibt, keine Kriege mehr und endlich das Gute gesiegt hat, dann brauchen wir auch keine Drogenpolitik mehr, weil es keine Drogen mehr gibt.“ Weil das viele Gedanken auf einmal sind, hat der Genosse natürlich zwischen-durch mal ‘nen kleinen Schluck aus seinem Bierglas genommen, um den Redefluss etwas besser steuern zu können. Dann sage ich: „Genosse, Du trinkst da ‘ne harte Droge. Hast Du ein Problem? Kann ich Dir helfen?“ Das sind diese Vorurteile. Natürlich ist es nicht nur die Langeweile, aber Drogen und Probleme sind natürlich eine schlechte Mischung.

Glauben Sie, dass lokale Drug-Checking-Projekte, über die man die Qualität von verschiedensten Substanzen überprüfen lassen konnte, auch weiter wichtig wären - trotz der juristischen Grauzone?
Wir können nicht mit dem Schutz des Konsumenten warten, bis es die Rechtslage erlaubt. Da muss eine Übergangslösung her. Der Verbraucher muss die Möglichkeit erhalten, prüfen zu lassen, was er ohnehin konsumieren wird. Drug-Checking ist ein Akzeptieren der momentanen Lage. Der Bedarf ist nun mal da. Gerade hier muss man versuchen, bestimmte schädliche Auswirkungen zu verhindern oder zu minimieren.

Schon rein juristisch ist es für mich überhaupt nicht nachvollziehbar, dass der Drug-Checker Probleme durch das BtMG bekommt. Er ist nur Werkzeug - der Zweck ist: Er prüft für jemanden. Die Handlung geschieht lediglich im Sinne des eigentlichen Besitzers, so dass die (rechtliche) Ablehnung dieser Dienstleistung eigentlich rechtswidrig ist. In meinen Augen wird hier in der gängigen Praxis der Gesundheitsschutz, wie er auch von der WHO gefordert wird, pflichtwidrig vernachlässigt.

Ganz anders in der Schweiz, in Österreich oder auch in den Niederlanden: In Zürich werden Sozialarbeiter fürs Drug-Checking aus dem Etat der Kommune finanziert, weil das eben die Ausgaben für das Gesundheitssystem langfristig senkt. Die Niederlande haben dafür eine eigene Abteilung im Gesundheitsministerium. Wenn wir hier zu Lande fragen: „Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu Streckmitteln?“ Dann erhalten wir die Antwort: „Dazu liegen keine Erkenntnisse vor.“ Aber als Polizist habe ich eine Vorstellung davon, wie viele Substanzen sichergestellt werden und wie leicht es wäre, Warnmeldungen an die Presse rauszugeben – etwa bei besonders gravierenden Verunreinigungen oder wenn völlig neue, gefährliche synthetische Substanzen auftauchen. Und: Diese amtlichen Verlautbarungen sind dann auch für den illegalen Markt einfach schlecht fürs Geschäft.

Ist es denn Ausdruck des gesellschaftlichen Verbotsgedankens, den sie am Anfang äußerten, wenn die wenigen Vereine, die akzeptierende Drogenarbeit leisten, immer wieder unter öffentlichem Druck stehen, z.B. durch die Aberkennung von Fördermitteln?
Es ist ein menschenrechtswidriger Ansatz zu behaupten, wenn man über die schädlichen Inhaltsstoffe von Substanzen aufklärt, würde man einer Verharmlosung Vorschub leisten. Die Argumentation lautet in etwa so: „Durch das Drug-Checking geprüfte Substanzen beinhalten möglicherweise das, was sie beinhalten sollen und würden damit in der Öffentlichkeit als unbedenklich deklariert und Menschen ja gerade zum Konsum animieren.“ Obwohl die Erfahrungen zeigen, dass dies nicht dazu führt – im Gegenteil. Aber die offizielle Haltung der Bundesregierung dazu ist: „Das beste Mittel um die Gefahr einer Streckmittelverunreinigung zu vermeiden, ist es, die Drogen nicht zu nehmen.“ Von einer FDP-Politikerin las ich gerade gerade: „Drug-Checking ist die Kapitulation der Präventionspolitik.“ Das ist tatsächlich die Haltung vieler Politiker dazu: „Selber schuld.“

Wie sind denn die Erfahrungen in anderen Ländern, z.B. in Portugal, wo der Besitz bzw. der Konsum geringer Mengen nur eine Ordnungswidrigkeit darstellt?
Das Hauptargument ist ja, dass man durch das Verbot Angebot und Nachfrage reduzieren will. Umgekehrt hieße das: Ohne Verbot würden mehr Menschen konsumieren.

Wenn man nach Portugal schaut und eine Studie hinzuzieht, welche die über zehn Jahre liberalisierte Drogenpolitik untersucht hat, sieht man keinen signifikanten Anstieg beim Konsum. Was allerdings auffällig ist: Der Verkauf wird sichtbarer. Zuvor war das anders, aber: Nur weil man Dealer nicht sieht, sind sie nicht weg. Gleichzeitig ist in kurzer Zeit die Zahl der HIV-Infizierten zurückgegangen, ebenso die Rate der Hepathitis C-Infizierten, der Drogentoten und die Zahl der Abhängigen. An der Zahl der Konsumenten hat sich aber nichts geändert. Der Wegfall der Illegalität machte es zudem Abhängigen leichter, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Meine Mitarbeiter können es übrigens schon gar nicht mehr hören, aber ich habe ja aus meinem Werdegang heraus ein Polizei-Denken: „Geeignet, erforderlich, angemessen.“ Diese Kriterien sollte man immer darauf anwenden, wenn der Staat in die Grundrechte seiner Bürger eingreift. Wenn also ein Verbot wegfällt und der Konsum gar nicht ansteigt, heißt das, man arbeitet hier mit völlig ungeeigneten Mitteln und damit eigentlich schon im Bereich der Verfassungswidrigkeit. Die ist sogar schon mal geprüft worden, aber nur unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit. Wenn aber die Strafverfolgung ungeeignet ist, ist sie auch verfassungswidrig. Dieser Denkansatz wurde vom Verfassungsgericht jedoch noch nicht geprüft.

Zurück zur Ausgangsfrage. Warum ist eine Entwicklung in den USA möglich? Wie müsste ein Umdenken in Deutschland aussehen?
In Deutschland herrscht vornehmlich die Denke: „Teile und herrsche.“ Es sind immer kleine Gruppen, die sich selbst betroffen fühlen und ganz engagiert für ihre Rechte kämpfen. Ein Beispiel: Am Mittwoch stehen die Braunkohlearbeiter in Leipzig und demonstrieren gegen den Wegfall der Bergbaurenten. Eine Woche später steht da ein anderes Häuflein und demonstriert für die Rechte der in der DDR geschiedenen Ehefrauen. Dabei sind beide Gruppen von der gleichen Gesetzlichkeit betroffen. Aber jeder kämpft hier für sich. Außerdem: Wer sich für die Freigabe von Cannabis einsetzt, gerät schnell in den Geruch nur für seinen Eigenbedarf zu demonstrieren. Es würde schon sehr überraschen, wenn sich da jemand engagiert, der sagt:

„Ich habe noch nie an einem Joint gezogen.

Aber wenn sich nur Selbstbetroffene dafür interessieren, wird die Lobby immer zu schwach sein, eine Änderung beim Gesetzgeber zu erreichen. Das müsste schon etwas größer angedacht werden: Etwa ein Umdenken in der Gesundheitspolitik insgesamt. Aber die Forderung „Recht auf Rausch“ wird keine gesellschaftliche Änderung bringen.

Jetzt ist ja gleich Feierabend. Rauchen Sie noch was mit uns?
Ich bin ja Nichtraucher…
Also gut, ich geb‘s ja zu: Ab und zu rauche ich ‘ne Tabakpfeife mit Vanillearoma. Dieses Jahr habe ich es aber erst einmal geschafft. Das ist eher ein Ritual.Meine Ärztin hat übrigens gesagt, mit meiner Konsumrate darf ich mich als Nichtraucher bezeichnen. Bei mir ist es eher der Kaffee oder mal ein Feierabendbier in Sitzungswochen. Mir wurde auch schon gesagt, ich könnte mal lockerer sein. Aber ich bin halt nicht der Typ für Kontrollverlust…

Herr Tempel, wir danken für das Gespräch.

 


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