… Die Zukünftige suchen wir

Alexander Höner ist seit zwei Jahren Pfarrer der evangelischen Gemeinde Berlin Friedrichshagen
1974 wurde Alexander Höner in Guatemala geboren, wo der Vater im Auftrag der Hoechst AG tätig war. Im Land tobte bald ein Bürgerkrieg und nachdem der Schulbus des Siebenjährigen entführt wurde, kehrt die Familie zurück nach Hamburg. Höner studierte Politik, Soziologie, Psychologie und Theologie.

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Foto: Uwe Baumann

Herr Höner, Sie sind Pfarrer. Warum?
Weil ich an Gott glaube. Und weil ich das Gefühl habe, ich kann davon gut erzählen. Außerdem ist das Studium der Theologie so wunderbar breit gefächert.

Wie lautet Ihre Bilanz nach einem Jahr in der evangelischen Kirchengemeinde in Friedrichshagen?
Ich lebe und arbeite sehr gern hier. Ich habe nun das zweite Weihnachten in Friedrichshagen gefeiert. Das hat mir viel Freude gebracht. Mich erleichtert, dass ich langsam eine größere Gelassenheit bekomme.

Meine Bilanz: dieses erste Jahr war echt intensiv. Ich bin hier der einzige Pfarrer und die Gemeinde ist nicht gerade klein. Wir sind 2500 Gemeindeglieder und meine Aufgaben haben vorher zwei bis drei Kollegen erfüllt. Da konzentriert sich Vieles, das hat mich ziemlich unter Druck gesetzt. Aber nun habe ich das Gefühl, ich krieg das hin. Und die Punkte, die einfach nur Freude bringen, an denen man Arbeit nicht als Belastung empfindet, sondern als Entfaltung, als gelingendes Leben, die nehmen stetig zu.

Im Durchschnitt kommen zu einem sonntäglichen Gottesdienst mehr als einhundert Leute. Im Vergleich zu anderen Gemeinden ist das sehr gut. Das ist jeden Sonntag ein Fest, die Leute sind gut drauf und alles ist richtig feierlich. Daraus beziehe ich ganz viel Kraft. Zudem ist der oft zitierte „Zauber des Anfangs“ noch immer spürbar. Noch hat sich nicht alles eingeschliffen.

Und in Friedrichshagen sind ganz viele Menschen in Aufbruchstimmung. Wir wollen was mit diesem Stadtteil machen. Hier gibt es so eine Offenheit, Netzwerke zu bilden. Die Leute kommen auf mich zu und nehmen die Kirche als Partner wahr, ob zum Kneipenfest oder mit den Montagsdemos gegen Fluglärm. Da ist viel Bewegung, von der wir auch im Gottesdienst profitieren. Wir machen etwas gemeinsam. Wir sind nicht allein.

Was war hier bislang Ihr denkwürdigstes Erlebnis?
Schauen Sie sich mal die Aufzeichnung der Podiumsveranstaltung in der Christophoruskirche zum Flughafenthema auf Youtube an. Was da für eine Stimmung zu spüren ist! Oder auch zum Kneipenfestival, als wir einer Ausstellung und einer Band Obdach geboten haben. Es war ganz wunderbar, zu sehen, was alles passieren kann, wenn man nicht nur die typischen Arbeitsfelder der Kirche bedient.

Zu sehen, wie cool hier die Leute sind, ansprechbar, nicht so verschlossen. Wenn es eine gute Idee ist, dann machen die mit. Als ein ganz konkretes Bild blieb das Tauffest letztes Jahr bei mir hängen. Da sind wir rausgegangen aus unseren vier Wänden. Das tat allen gut. Es war stürmisch am Müggelsee. Es gab so einen Moment, da dachte ich, ja so will ich leben. So soll Kirche sein, sie soll rausgehen, sie soll den Menschen zeigen, dass wir eine lebensfrohe Botschaft haben. Wir feiern das Leben!

Seit zwei Jahren artikulieren Bürger jeden Montag vor Ihrer Haustür ihren Unmut über politischen Vertrauensbruch, mangelnde Transparenz und organisierte Verantwortungslosigkeit. Wie bewerten Sie diesen andauernden BER-Bürgerprotest?
Ich finde es gut, dass die Leute ihre Sachen in die Hand nehmen und öffentlich machen und nicht nur hinterm Gartenzaun darüber unzufrieden sind. Ich freue mich darüber, dass Menschen wieder den Weg gefunden haben, sich zu beteiligen und nicht zu resignieren, dass sie den Mut haben, der Kraft der eigenen Stimme zu vertrauen, zu sagen, es macht was aus, wenn wir hier jeden Montag auf dem Marktplatz stehen.

In wie weit das dann reelle Folgen hat, das ist eine andere Frage. Wenn ich mein Leben nur so gestalten würde, dass ich immer frage, was kommt am Ende dabei raus, dann würde ich ja gar nichts anfangen. Mir gefällt manchmal die Polarisierung nicht, aber hin und wieder muss man polarisieren. Dorothee Sölle, eine bekannte Theologin, hat mal gesagt: „Der Teufel hat eine Telefonnummer.“ Das Schlechte passiert in der Welt ist ansprechbar.

Man kann sagen, das, was Du da tust, ist schlecht für unser Zusammenleben. Wir sprechen hier vom Flughafen, da spielen viele Interessen mit. Natürlich kann man die Politiker fragen: wie geht ihr mit uns um? Wenn die sagen, die Bürger sind wichtig, dann müssen sie auch ehrlich mit ihnen umgehen.

Erst nach Ablauf des Berliner Volksbegehrens hat sich die Berliner Landeskirche für ein striktes Nachtflugverbot ausgesprochen. Das Volksbegehren ging in Berlin verloren. Warum fällt es der Kirche so schwer, den Menschen in ihrer unmittelbaren Betroffenheit beizustehen?
Das ist eine Frage, die ich mir manchmal auch stelle: warum die Kirche bei wesentlichen Themen auf hoher Ebene so langsam reagiert. Da wünsche ich mir bei vielen Themen eine größere Schnelligkeit.

„Erst wenn in der Politik gesagt wird, wir sind gegen Krieg, dann traut sich die Kirche aus der Deckung und sagt, ach ja, wir übrigens auch.“

Warum sind wir da nicht mutiger und gehen voran? Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung – das sind unsere ureigensten Themen, zu denen wir etwas zu sagen haben, mutig sein können, auch wenn man nicht gleich alles im Blick hat. Aber es ist wichtig, erst mal die Grundhaltung zu benennen – klare Voten, auch auf die Gefahr, mal über das Ziel hinaus zu schießen.

In der Kirche gibt es eine produktive Langsamkeit - das macht Kirche aus, dass wir das Leben reflektieren und nicht sofort lostrompeten. Es gibt aber auch eine lähmende Langsamkeit. Es hätte gut getan, zu wissen, was Kirche zum Thema Nachtflug sagt. Wenn man da rechtzeitig ein Votum abgegeben hätte, hätte es sicher noch viele Menschen bewogen, zu unterschreiben.

Der Armutsbericht der Bundesregierung ist so alarmierend, dass sie ihn beschönigen musste. Die Kirche tut viel, um Not zu lindern. Ist es auch eine Aufgabe der Kirche, nach den Ursachen zu fragen und auf Veränderungen hinzuwirken?
Dorothee Sölle hat auch gesagt: „Nicht nur die akute Ungerechtigkeit ist unser Thema, sondern auch die strukturelle Ungerechtigkeit.“ - Was sind die Gründe? Woran partizipieren wir selbst? Wie und wofür gebe ich mein Geld aus?

Ich mag es nicht, wenn Kirche mit erhobenem Zeigefinger dasteht und sagt, wir machen alles besser. Auch die Kirche macht Fehler. Es ist wichtig, Kirche als Ort wahrzunehmen, an dem die Menschen aufmerksam gemacht werden: Wie kann jeder Einzelne etwas verändern? Wo kaufst Du z.B. deine Lebensmittel? Was unterstütze ich noch unbewusst mit meinem Geld?

Geh mit offenen Augen und Ohren durch die Welt. Die Kirche hat ein immer schmaleres Budget für immer größere Probleme. Ein Großteil der Menschen hat immer weniger zur Verfügung. Die Verantwortung für das Zusammenleben wird verteilt und der Gewinn wird auf wenige privatisiert. Das Risiko tragen immer alle.

„Frau Merkel sagt, die Bürgerverantwortung solle gestärkt werden. Das ist doch ein Euphemismus dafür, dass der Staat sich seiner Verantwortung entzieht.“

Die Kirche hakt da durchaus ein und nutzt ihr Gewicht in der Politik. Kirche ist nicht immer langsam. Nikolaus Schneider, der Vorsitzende der EKD, gibt schnelle und mutige Statements, z.B. auch nach dem Armutsbericht.

Zukunftsangst scheint in Europa mittlerweile das beherrschende Lebensgefühl zu sein. Wie definiert sich die Kirche in Zeiten der Krise? Kann sie neue Perspektiven jenseits tradierter Rituale bieten?
Das ist ja einer unserer großen Schätze - weiterzugeben, was schon lange ist. Das ist eine der großen Energien und Kräfte, die wir haben. Aber darüber hinaus...? Die Jahreslosung für 2013 lautet: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ (Hebräer 13,14).

Das weist nach vorn! Wie wollen wir in Zukunft leben? Woran orientieren wir uns? Dafür steht das himmlische Jerusalem, da ist Gerechtigkeit für alle, keine Tränen, kein Krieg mehr... Dies ist eine Vision von einem Zusammenleben, die uns antreibt. Das Jetzt und Hier müssen wir ernst nehmen. Das kann belasten, aber eine Vision zu haben ist wichtig zur Orientierung: Es kann anders sein und Jeder und Jede kann in seinem kleinen Umfeld dafür etwas tun.

Warum gelang es dem Neoliberalismus in nur zwanzig Jahren scheinbar mühelos, ein in zweitausend Jahren geprägtes Wertegefüge zu pulverisieren?
Ich glaube, der Neoliberalismus ist sehr klug. Er bemächtigt sich der Gier der Menschen. Das macht den Neoliberalismus ja so attraktiv, dass er suggeriert, das System gewähre eine große Freiheit und alles ist möglich. Aber wenn die Menschen entfesselt sind und das Gefühl haben, sie sind nicht mehr verantwortbar zu machen, sondern sind nur auf den persönlichen Gewinn orientiert, dann kippt jede Moral, jedes ethische Prinzip. Jeder ist sich selbst der Nächste. Wenn es keine festen Regeln mehr gibt, dann ist das der entfesselte Kapitalismus, der keine Grenzen mehr kennt, der keine Grundlagen, keinen Code auf Conduct hat - was ist gut, was erlaubt, was ist schlecht, was nicht erlaubt?

„Wenn man völlige Freiheit hat, dann ist das keine Freiheit mehr.“

Dann wird man Sklave seiner selbst, seinem Streben nach Gewinn. Dieses System konnte, weil es so viele falsche goldene Versprechen hat für jeden, in ziemlicher kurzer Zeit viele Grundlagen, die uns sonst geführt haben, aus den Angeln heben. Aber ich habe die Hoffnung, und es zeigen ja die vielen Proteste, dass unser Wertesystem weiter Bestand hat. Es gibt eine Rückbesinnung auf das, was gut funktioniert hat. Ich glaube der Bioboom, über den sich viele so lustig machen, ist zum Beispiel ein Ausdruck dafür: Wie gehen wir mit dem Leben um?

Warum sind Moral und Politik so schwer vereinbar?
Ich habe eine „Heilige“ in der Politik. Das ist die Regina Hildebrandt, die hat in vorbildlicher Weise Politik und Moral zusammengebracht. Dass Moral und Politik zusammengeht, sieht man auch an Bundespräsident Gauck. Er setzt seine Integrität, seine Vorstellungen von Gemeinwesen mutig ein. Das kann also zusammengehen. Aber wenn Politik mit eigenen Interessen verknüpft wird, dann geht das nicht zusammen.

In der DDR war die Kirche vielfach ein Ort des kritischen Nachdenkens, eine Stimme des Widerstandes gegen gesellschaftliche Fehlentwicklungen. Warum kann sich der Atheist des Eindruckes nicht erwehren, dass die Kirche heute nicht mehr sein will, als schmückendes Beiwerk in unserer Demokratie?
Diese Energie, die Kirche vor und zur Wendezeit gebündelt hat, die kann man nicht künstlich wiederbeleben. Kirche in der DDR hatte eine ganz eigene Dynamik, ein eigenes Selbstverständnis. Warum also hat man heute das Gefühl, nebenher zu tänzeln, ab und zu ein nettes Grußwort oder ein kleines Statement.

Ich glaube, dass Kirche eine verändernde Kraft besitzt, die sich nicht immer in Revolution äußert, die sich langfristig ausdrückt. Sicher wird die Kirche an einem entscheidenden Punkt auch wieder die Fackel vorantragen. Kirche ist eine Institution, die den Menschen bewusst macht, in welchen Zusammenhängen wir leben, das ist eine asketische brotlose Kunst, das ist harte Arbeit, Alltagsarbeit, die aber gemacht werden muss. Jeden Sonntag fragen wir uns: In welcher Welt wollen wir leben? Wir gestalten sie alle mit! Das ist nicht immer glorreich. Ein Dozent sagte mal, „das ist Graubrot, was wir essen, das ist nicht jeden Tag Baguette. Das Graubrot ernährt aber mehr und es hält länger vor.“

Herr Pfarrer, vielen Dank für das Gespräch.

 

 


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