Laufen lernen

Die ersten Schritte eines Bürgermeisters
  Haben Sie sich schon erholt von dem harten Kopf an Kopf Rennen mit der Wählergemeinschaft Friederike Hagen? Es war schon spannend, nicht? Das muss man sagen! Und es ist nun ausgegangen, wie es ist. Aber von Erholung ist in diesem Amt wirklich nicht zu sprechen, definitiv nicht. Wie fühlen Sie sich denn? Gut, gut. Es ist immer noch alles neu und ich bin wie ein Kind, das die ersten Schritte macht. Langsam zieht zwar auch die Alltagsarbeit ein - Bundesverdienstkreuz verleihen, Urkunde für vierzig Jahre Mitarbeiterschaft unterschreiben, zum hundertsten Geburtstag gratulieren, Bezirksamtssitzung - aber es gibt noch ganz neue Sachen. Bisher habe ich ja keine schwere Entscheidung treffen müssen. Wenn erstmal der erste Bezirkshaushalt eingebracht ist, mit Kürzungen und Personalabbau, wird das vielleicht nicht mehr so freundlich, so angenehm sein. Kann man denn von Politik heute leben? Finanziell, ja sicherlich. Aber ich verstehe unter „leben“ ein bisschen was anderes, also die Freude daran, die Spannung, den Spaß, diesen Job machen zu wollen. Das gehört für mich dazu – also im Moment würde ich da vollen Herzens sagen: „Jawoll!“ Das kann sich ja auch noch ändern. Ich hoffe es nicht. Was würden Sie jemandem raten, der auch in die Politik will? Also man muss langen Atem zeigen, nicht nur auf dem Weg in irgendein Amt, sondern man muss den langen Atem dann auch behalten. Das hab ich schon als Bezirksverordneter gemerkt. Man hat bestimmte Themen, die verfolgen einen zehn Jahre lang und sind am Ende dann vielleicht gar nicht gelöst. Und da darf man sich nicht entmutigen lassen, dass bestimmte Dinge nicht im ersten Anlauf klappen oder so wie man sich das vorstellt, nicht funktionieren. Das Schwerste ist, dass man lernen muss, nicht alles persönlich zu nehmen. Das hab ich noch nicht geschafft. Jede Kritik geht mir irgendwie nahe. Man muss wahrscheinlich lernen, das nicht an sich rankommen zu lassen. Und da gebe ich zu: Das hab ich noch nicht. Das kann ich noch nicht. Stand heute – sind Sie für oder gegen Schönefeld? Das kann man ja so nicht beantworten. Natürlich ist der Standort Schönefeld als Großflughafen für die Hauptstadt falsch. Aber das wussten diejenigen nicht, die 1995/1996 die Entscheidungen getroffen haben oder sie wollten es nicht wissen. Sie haben sich damit selber eingeschränkt. Wäre ein anderer Standort gewählt worden, wie Sperenberg, glaube ich: Erstens, hätten wir ihn jetzt schon, weil das Planungsverfahren in einem nahezu unbesiedelten Gebiet viel einfacher gewesen wäre. Und zweitens, hätten wir eine richtig moderne Form des Zubringerverkehrs, den Transrapid von Sperenberg bis zum Berliner Hauptbahnhof. Und damit wären wir dann richtig groß rausgekommen. Gut, die Zeit ist jetzt vorbei und ich kann mich nirgendwo hinstellen und sagen „Ich bin gegen Schönefeld“. Der Flughafen wird nächstes Jahr eröffnet und es bringt nichts, während in Schönefeld die roten Teppiche ausgerollt werden, zu rufen: „Baustopp jetzt!“ Da ist nichts mehr zu stoppen. Wie sehen Sie Ihre Chancen, dort doch etwas zu bewegen, auch wenn es vielleicht nicht sofort ist? Dieser Flughafen hat eine Beschränkung, weil er eben so nah an der Hauptstadt ist. Wenn das tatsächlich so ein Riesenerfolg wird, wie alle sagen und Millionen, Milliarden Passagiere jeden Tag kommen, dann stößt dieser Standort an seine Grenzen. Natürlich wird man sich irgendwann wieder über einen zweiten Flughafen unterhalten. Leider gibt es in der Flughafenfrage keinen roten Knopf. Den, wo man sagen kann: „Da drück ich jetzt drauf und alles wird anders“. Hinzu kommt, dass wir uns in einer Widerspruchslage mit dem Land und mit dem Bund befinden. Und im Widerspruch mit Ihrer Landespartei? Alle Parteien befinden sich im Widerspruch mit ihrer Landesorganisation. Was wir machen können, ist, das Beste für die Menschen rauszuholen. Immer wieder oben zu sagen: „Die Diskussion um die dritte Start- und Landebahn ist ziemlich ungeschickt. Gibt es irgendeine Notwendigkeit, den Leuten noch mehr Angst und Sorgen zu machen als sie sowieso schon haben?“ Die Diskussion um den Lärmschutz wird beim Echtzeitbetrieb völlig neu beginnen. Der Großteil der heutigen Angst resultiert daraus, dass man Nichts weiß, aber das Schlimmste befürchtet: ‚Wie laut sind denn nun 50 Dezibel? Und stört mich das?‘ Wir werden nächstes Jahr in Friedrichshagen irgendwo im Vorgarten sitzen und es werden da Flugzeuge fliegen. Dann werden wir das merken. Ihr Amtskollege Herbert Knur von der CSU ist mit seinem ganzen Landesverband zurückgetreten, weil beim Münchener Flughafen auch eine dritte Landebahn gebaut werden sollte. Ist das auch für Sie eine Option? Da muss man abwägen. Mir wäre es ganz lieb wenn die SPD-Leute aus Friedrichshagen, Rahnsdorf und Müggelheim ins Abgeordnetenhaus kommen und mitreden. Und nicht die aus Lichtenrade. Wenn die gesamte SPD Treptow-Köpenick austritt aus der Landes-SPD, dann wird in der Landes-SPD keiner mehr über die Müggelseeroute diskutieren. Außerdem müsste ich dafür sorgen, dass meine 600 Genossen und Genossinnen aus der SPD Treptow-Köpenick austreten. 600 von 17.000. 17.000 Genossen auf Landesebene. Das ist kein Zeichen. Das kommt nur gut in der Presse. Ich nehme mir damit aber die Möglichkeit, mit dem Regierenden Bürgermeister auf Landesebene zu reden. Die Wege sind doch für mich viel kürzer als für jeden anderen in der Partei. Wenn wider besseren Wissens und wider die Vernunft solche Großprojekte durchgesetzt werden, welche Möglichkeiten hat der Wähler dann noch, seine Stimme einzubringen? Man muss natürlich immer für seinen Standpunkt werben und auch andere dafür interessieren. Wir müssen es erst einmal hinbekommen, die Solidarität in unserem eigenen Bezirk zu organisieren. Die Bürger in Alt-Treptow, Plänterwald und Baumschulenweg interessieren sich gar nicht für dieses Flughafenthema. Die sind da schon wieder viel zu weit weg, die haben ganz andere Probleme und Sorgen. Wir müssen uns fragen, wie wir es schaffen, über den eigenen Bereich hinaus eine Anhängerschaft zu organisieren, die sich tatsächlich damit solidarisiert und eine demokratische Mehrheit stellt. Werden Sie denn an den Eröffnungsfeierlichkeiten teilnehmen? Bestimmt. Wenn ich eingeladen werde, werde ich auch teilnehmen. Ich möchte nicht verschweigen, dass wir uns auch Positives von diesem Flughafen versprechen. Ich weiß ganz genau, wie die Wirtschaftsleute, die Wissenschaftler im Wista-Gelände und rund um das Adlergestell denken. Wenn der Flughafen uns schon eine Belastung bringt, dann will ich aber auch, dass sich hier Unternehmen ansiedeln und wissenschaftliche Kongresse stattfinden. Ich werde keinen Investor von der Rathaustreppe stoßen, nur weil ich den Flughafen nicht gut finde. Oder weil er mit dem Flugzeug gekommen ist. Wenn Sie an den Spruch von Willy Brandt denken „Mehr Demokratie wagen“, ist dann die Benennung des Flughafens eine Geschmacklosigkeit oder eine gezielte Provokation? (Lacht.) Schön gefragt! Wichtiger ist ja der Demokratisierungsprozess, den Willy Brandt mit eingeführt hat. Aber er ist natürlich auch ein Symbol für die Stadt – für die Teilung und für die Wiedervereinigung. Und dafür sollte, als Eingangstor in diese Hauptstadt, eben auch der Flughafen stehen. Insofern ist es in Ordnung. Unter den Aspekten, wie der Flughafen gebaut und auch geplant wurde, gibt es natürlich einen Widerspruch zum Ausspruch von Willy Brandt. Aber nehmen wir es doch mal als einen Ansporn, ihn zu beherzigen. Sie wollen in die Friedrichshagener Bürgerinitiative (FBI) eintreten? Das gestaltet sich aber offensichtlich als sehr schwierig. Tobias Apelt hat mich bei der Montagsdemo gefragt, ob ich nicht Mitglied werden möchte – da kann man ja auch nicht nein sagen. Clever gemacht, muss ich dazu sagen. Ich habe gleich am nächsten Abend an Herrn Apelt geschrieben und gefragt: „Was muss ich denn jetzt machen, um Mitglied zu werden?“ Und in diesem Klärungsprozess befinden wir uns noch. Am besten wäre es für alle Beteiligten, wenn das symbolisch betrachtet wird. In der Realität bin ich ja der Bürgermeister und alle anderen Bürgerinitiativen hätten demnach das gleiche Recht auf meine Mitgliedschaft. Irgendwann würde sich das widersprechen. Wie lange wird uns das Thema Schönefeld noch beschäftigen? Ewig. Es wird kein Ende geben. Kann es auch nicht. Wenn die Belastung kommt, dann ist es eine Dauerbelastung. Sie endet nicht mit der Eröffnung dieses Flughafens und solange es diese Belastung gibt, solange wird es auch die Diskussion geben. Sie wollen für mehr Transparenz und neue Wege der Information für den Bürger sorgen. Befürchten Sie nicht Leichen im Keller eines seit zwanzig Jahren von der SPD regierten Bezirkes? Ich rieche erst mal nichts aus dem Keller. Sie etwa? Wir werden das mit der Transparenz jetzt versuchen, am Haushaltsplan natürlich. Wir haben riesige Defizite, in Millionenhöhe und wir werden einen Eckwertebeschluss erarbeiten, wie sich das auf die einzelnen Abteilungen verteilt. Wir werden sehen, welche Auswirkungen es hat und dann muss man das halt diskutieren. Wo sehen Sie sich in zwanzig Jahren? Hier. (Gelächter) Das ist eine Drohung, ne? Eigentlich bin ich ja schon angekommen, wo ich nicht mehr höher kann. Warum soll ich nach dem Amt des Regierenden Bürgermeisters, nach einem Bundesministerium oder der Position des Bundeskanzlers schielen? Sie sind doch noch so jung! Ich verstehe diesen Hype um mein Alter gar nicht. Jetzt heißt es überall noch 'Der jüngste Bürgermeister' und in hundert Tagen oder nach einem Jahr, da wird nach einer Bilanz gefragt. Automatisch wird man sagen, wenn es einem nicht gefallen hat: „Der ist so jung. Gerade einmal aus den Windeln heraus. Konnte doch nicht klappen“. Deswegen ist das auch eine Bürde. Wie muss ich mir Oliver Igel privat vorstellen? Gibt es einen privaten Oliver Igel? Im Moment gehe ich zu Hause nur schlafen und stehe früh auf. Mehr ist da nicht. Wochenende manchmal. Früher hätte ich noch gesagt, ich gehe mal schwimmen oder wenn es sich ergibt, dann Samstagabend essen oder ins Kino. Manchmal nehme ich mir ein Buch vor, gerade von Jan Josef Liefers der „Soundtrack meiner Kindheit“ und ich will den „Turm“ noch weiter lesen. Worauf in ihrem Leben sind Sie besonders stolz? Dass ich jetzt hier bin. Und es wird mir gerade auch erst so richtig bewusst. Ich bin Bürgermeister in meinem Heimatbezirk. Herr Igel, ich danke für das Gespräch.

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