Immigrant-pa

Als noch Osten war, da gab‘s für mich nur Westen und das war das, was man während der SBahn- Fahrt von Plänterwald nach Treptower Park sehen konnte. Auf meinem Berliner Stadtplan war hinter der Mauer alles grau. Der sehnsüchtige Blick nach drüben verschaffte mir ein Gefühl dafür, wie nah die Ferne lag und vermittelte mir das Verständnis, dass zwischen 0 und 1 Unendlichkeit herrscht. Nach 09/11/89 war mein erster Weg ins freie Berlin natürlich nach Neukölln. Über Rudow ging‘s via U7 zum U-Bahnhof Karl-Marx-Straße. Ich war überwältigt, nahe dem Kulturschock und tat jedoch gelassen. Zum Shoppen fehlte die Kohle und „Wer klaut, kricht keene Tüte“ war der Slogan der Einzelhändler. Also investierte ich an der Tankstelle einen Heiermann in ein Six-Pack gut gekühlten Kindl’s, besetzte eine Parkbank am Hermannplatz und tat, was ich auch im Osten immer getan hatte. Über 20 Jahre ist das nun her, ich bin ein alter Sack geworden und habe mich ebenso wie die Karl-Marx-Straße von Grund auf verändert. Mein Großmütterchen schleppte einst Jeans von Ost nach West, in blauen Tüten, auf denen zu lesen stand: Jeans Express, direkt am U-Bahnhof Karl-Marx-Straße. So war sie mir von Kindheit an ein Begriff von Freiheit und Wohlstand. Nun hat sie ihr stolzes Gesicht verloren. Die Fassaden bröckeln, die Leuchtreklamen flackern nur noch. Verschwunden sind der „Jeans-Express“ und der „Rosinenbomber“, der kleine Schuhladen, in dem ein schwuler Pakistani akzentfrei Doc-Martens verkaufte, ebenso wie der kleine, verschmöckerte Schallplattenladen. Dafür und jetzt mittendrin zwei-drei Einkaufscenter, die den Schaufenstern der Karli das Gesicht nahmen. Einige kleine Cafés mit Bohnen- und auch Schuhverkauf haben unter dem Schutz und der blauen Leuchttafel mit der gelben Schrift überlebt, in ihnen treffen sich wollbemützte alte Damen, sie trinken ein Tässchen feine Milde zu einem Stückchen handgeriebenen Streuselkuchen. Ja, auch das Passage-Kino, einen der ältesten Lichtspielsäle Berlins, gibt‘s noch. Hier verkehren nur rüpelhafte Türkenkids? Fehlanzeige. Und außerdem: Die verlassenen Geschäfte geben denen eine Chance, die sonst keine haben. Hin und wieder eine Alt-Berliner Kneipe mit Original Berliner Publikum und reichlich Handy-Shops – mit Original Berliner Publikum der dritten Generation. First Try, ein Musikkaffee. Blondierte Mitvierzigerin mit lackierten Fingernägeln im Unwohlbefinden serviert zickig ein Glas lauwarmes Bitburger. Ich zahle 2,80 + 5€ Tipp, damit die alte Hexe mal lächelt und begebe mich anschließend in eine der zahlreichen Teestuben, in denen man gleichgeschlechtliche Single-Parties feiern könnte, wenn die Besucher nicht so übertrieben stolz und verklemmt wären. Ich bin ja nicht scharf drauf , denn mich stört die Anwesenheit von „Weibsvolk“ ja auch nicht. Ich lasse mich vom Chef zu einem Glas Tee überreden (Widerspruch ist sowieso zwecklos) und spiele, mich mit den anwesenden Herren unterhaltend, mit Achmed eine Partie Back Gammon. Wir reden über das, was wir in Köpenicker Kneipen auch zu reden haben, nur versteht man die Jungens hier besser. Manche von ihnen sprechen zwar mit Akzent, lallen aber nicht so. Viele schämen sich für kriminelle Ausländer, ich schäme mich für kriminelle Deutsche. Sollte man auch abschieben. Aber wohin? Und Fußball? Ja, Mesut Özil, Thomas Müller. Und erst die Brüder Altintop. Hätten sie für Deutschland spielen können, wären sie jetzt auch dabei. Von wegen, Herr Buschkowsky, Multi-Kulti klappt nicht. Man muss es schon auch wollen! In der Karl-Marx-Straße wehen an 97 % der PKW deutsche Fähnchen. Jeder vierte Neuköllner ist aus migrantem Haushalt. Alles Fußgänger oder wie?

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