Vom Kulturpark zum Spreepark

Der Spreepark also. Wenn man an der Haltestelle Treptower Park aussteigt und schön am Wasser entlang Richtung Südosten zwitschert, dann kommt man irgendwann zur „Zenner- Bar“, hinter der der Weg einen Knick macht, dann kommt ein Naturschutzschild mit dem Zusatz, dass hier für Hunde „Leinenzwang“ herrsche, dann kommen ein Grillschiff und ein Parkplatz – und dann sieht man eigentlich nur noch Bäume rechts und Wasser links. Ein paar Jogger kommen vorbei, ein paar Radfahrer. Hier irgendwo muss doch das blöde Riesenrad sein! Hier irgendwo muss doch der ehemalige Spreepark sein, die Dinos, die verfallenen Kassenhäuschen, die moosüberwachsenen Karussells und all das, was man im Film ACHTERBAHN sieht. Ich stelle fest, dass da ein Zaun ist, rechts, um die Bäume rum. Also kann ich nicht einfach so querfeldein stapfen. Ich gehe da, wo der Zaun aufhört, an ihm entlang in den Forst hinein – und plötzlich steht es direkt vor mir: das Riesenrad.
Hier war von 1969 bis 1991 der „VEB Kulturpark Berlin“, und danach, bis 2002, der „Spreepark“. Über dreißig Jahre lang Remmidemmi und High Life, Lärm, Lichter, Achterbahn, Riesenrad, Ketten- und Kinderkarussell, Kindertheater, Stuntshows, Loopingbahn, Wildwasserbahn und noch ein Haufen weitere Attraktionen – seit 2002 holt sich die Natur das Areal zurück. Eine Geisterstadt ist es geworden, der ehemalige größte Rummelplatz der DDR, alles steht still, „die Lichter verglüht, die Blumen verblüht“, Gestrüpp und Unkraut wuchert, und überall sieht man noch Schneehaufen. Das große Riesenrad war 1989, anlässlich des 40. Geburtstags der DDR, hingekommen – vorher stand da ein kleineres –, dann änderten sich die politischen Vorzeichen, und somit kann man es auch so sehen: Das Riesenrad ist das stehengebliebene Symbol der Stunde Null. Der „Kulti“, wie ihn die Ossis nannten, war zu DDR-Zeiten mächtig beliebt: Jährlich strömten bis zu 1,5 Millionen Besucher in den Plänterwald, und besonders in den Sommerferien wurde sich amüsiert auf Teufelkommraus. Der Kulturpark war der einzige dauerhaft betriebene Rummel in der DDR, und was besonders wichtig war: Die Fahrgeschäfte stammten nicht aus der sozialistischen Zone, sondern wurden extra aus dem Westen importiert. Auf diese Weise entstand auch der Kontakt zu Norbert und Pia Witte, die Ende der Siebzigerjahre in Hamburg arbeiteten: Pias Vater, selbst Schausteller, kaufte dem Kulturpark eine kaputte Achterbahn ab, die man in der DDR nicht reparieren konnte, Norbert Witte setzte sie wieder instand und betrieb sie als mobile Attraktion. Gleichzeitig waren die Wittes schon in den 80ern öfter zu Gast im Berliner Plänterwald; man kannte sich also. Und es war auch eine Art mystisches Homecoming für Norbert Witte, eine Art Nostos, denn Otto Witte, Norberts legendärer Großvater, hatte sich in den Dreißigerjahren mit seiner Familie in Berlin-Pankow (in der Wollankstraße) niedergelassen und war dann wohl auch auf dem „Rummelplatz Treptow“, wie die Gegend vor 1969 hieß, aufgetreten. Nach der Wende musste der Berliner Kultursenat dann überlegen, was er mit dem ehemaligen „VEB Kulturpark“ machen wollte, und das Projekt wurde öffentlich ausgeschrieben. Die Familie Witte war zu der Zeit in ganz Europa unterwegs, um sich nach dem Kirmesunglück in Hamburg 1981 wieder hochzuarbeiten – Witte hatte damals seine Loopingbahn reparieren lassen, dabei war ein Kranarm in eine fremde Gondel geraten und hatte diese aufgeschlitzt. Es gab Tote und Verletzte, und da der Kran nicht versichert war, waren die Wittes danach pleite. Doch nun war da das Projekt Spreepark, und sie hatten Interesse daran und auch großartige Ideen. Jedenfalls wurde ihnen von insgesamt sieben Bewerbern der Zuschlag erteilt. Die Besucherzahlen im Kulturpark waren nach der Wende zunächst zusammengebrochen, doch die Kultursenatoren trauten Witte zu, dass er die Attraktionen so um- und ausbauen würde, dass es auch für Wessis lohnend war, hierher zu kommen. Der Rummelplatz, damals nur auf etwa einem Drittel des gesamten Geländes stehend, sollte ausgedehnt werden zu einem „Freizeitpark“ nach westdeutschem Vorbild. Die Wittes legten sich ins Zeug, investierten Unsummen – doch es sollte nie so richtig was werden. Wie Christopher Flade auf seiner großartig recherchierten Informationsseite berliner-spreepark. de analysiert, waren daran nicht nur Norbert Wittes oft kritisierter „Größenwahn“ oder die hohen Reparatur- und Wartungskosten schuld, sondern auch der Filz im Berliner Kultursenat sowie konträre Interessen anderer Senatsressorts. So hätte Witte z. B. etwa vier Millionen DM aus dem „Aufbau Ost“-Topf erhalten unter der Bedingung, dass der Erbpachtvertrag für das Grundstück innerhalb von 4 Jahren zustande käme – doch obwohl Wittes Spreepark schon ab 1992 lief, wurde der Vertrag erst 1997 unterzeichnet. „Gönnte man dem Unternehmen keine Subventionen?“, fragt Flade. Vertraute man Witte nicht recht, weil man noch die Sache mit dem Hamburger Unglück im Kopf hatte? Sollte er deshalb alles allein bezahlen? Oder warum bearbeiteten die Zuständigen alles extra langsam? Zweiter Hemmschuh: Kaum war der Vertrag unterzeichnet, meldete sich die „Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz“ und verkündete, dass der gesamte Plänterwald unter Naturschutz stehe und davon auch das Rummel-Areal betroffen sei. Folge: Der Rummel musste verkleinert werden, und Witte bekam auch keine weiteren Parkplätze, die er immer und immer wieder beantragte. Hätte man das mit dem Naturschutz schon 1991 gewusst bzw. anmerken lassen, dann könnte der Spreepark heute noch stehen, denn dann hätten die Wittes nicht an die 40 Millionen DM in das geplante Großprojekt investieren müssen, um es dann sechs Jahre später auf Weisung von oben wieder verkleinern zu müssen. Und dann hätte Witte nie so hohe Schulden machen müssen, was ihn dann 2002 zum Abhauen zwang.

Schachecke

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