Eine kleine Geschichte unserer Zeit

Ich bin spät dran. Hatte zu viel zu tun, oder besser: Ich hatte zu wenig Zeit. Hab den Redaktionsschluss verpasst. Hey, Moment mal. Zu wenig Zeit? Was ist denn das? Kann ich denn Zeit haben? Ist das nicht merkwürdig, was wir mit Zeit machen? Wir strecken und überziehen, kürzen und verringern sie, haben lange oder kurze Weilen oder manchmal auch gar keine. Wir qualifizieren Zeit, färben sie entsprechend unseren Vorlieben und Abneigungen ein und interessanterweise verändert sich unser subjektives Zeitempfinden dementsprechend. Jeder, der mal eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt über sich hat ergehen lassen müsen, weiß um die Ewigkeit, in die sich zehn Minuten strecken können. Ja, Zeit ist das Problem! Yogische Weisheitslehren verorten uns in unserer heutigen Zeit inmitten des „Kali Yuga“, des dunklen Zeitalters. Beschreibungen dieses Zeitalters in den jahrtausendealten Texten lesen sich wie exakte Beschreibungen des 20,/ 21. Jahrhunderts, in denen die meisten Menschen (99,99 Prozent!?) den Kontakt zu sich selbst und zu ihrer Seele verloren haben (geschweige denn, dass sie an die Existenz einer Seele glauben). Ja, es sind wahrlich „unselige“ Zeiten, in denen wir leben, wo keiner dem anderen mehr in die Augen schaut, Gemeinschaftsgefu?hl sich u?ber halbbewusste Zusammenku?nfte herstellt, in denen wir uns (mit gesellschaftlich legalen und illegalen Substanzen) betäuben („Man gönnt sich ja sonst nichts.“) und wo sich Lebenssinn in erster Linie u?ber das definiert, was ich bekomme. In einer wissenschaftshörigen Gesellschaft, die interessanterweise nur ein Konzept von Krankheit und nicht von Gesundheit (im Sinne von „Heilsein“) kennt und wo folgerichtig viele immer kränker werden (körperlich, psychisch und seelisch), zählen nur Dinge, die beweis- und belegbar sind. Die Seele muss da leider draußen bleiben. Gleichzeitig dreht sich der Kreisel unseres Lebens immer schneller. Persönlich: Beruf, Auto, Haus, Erfolg, Geld, Stress, mehr Arbeit, Karriere, mehr Stress, kaputte Beziehung, „lass uns die Glotze anschalten Liebling“ ,usw. Und global: Klima, Umwelt, Globalisierung, Hunger, Terror, Fanatismus, Wahnsinn - Vielleicht ist die Beschleunigung unserer aller Leben ja auch ein Spiegel unserer inneren Rastlosigkeit, die uns zugleich so sehr stört, das wir sie mit allen uns zu Verfu?gung stehenden Methoden zu betäuben suchen. Chance um Chance verstreicht, doch unsere Selbstmedikation und die Angst vor Veränderung lähmt uns. Zugleich erleben wir es dann oft so, dass Zeit uns aufzufressen scheint, was unsere innere Rastlosigkeit verstärkt. Ein Teufelskreis. Wie wäre es, wenn wir die Bewegung umdrehten? Wie kann Zeit fu?r mich zu einer Ressource werden? Eine Kraft, deren Spannung ich nutze, um mich in diesem Leben meiner Seele, meinem Lebenssinn näher zu bringen? Wie wäre es, wenn ich aufhörte wegzulaufen, mal stehen bliebe, innehielte? Was wäre dann? Was wu?rde ich wahrnehmen? In mir? Um mich herum? Wäre das ok? Wu?rde ich etwas ändern wollen? Was wäre ich bereit dafu?r zu tun? Wäre ich bereit, ein Risiko einzugehen? Wie wäre es, wenn wir den Wind unserer Menschlichkeit in die muffige Dunkelheit des „Kali Yuga“ bliesen? „Wie?“ Falsche Frage! Die angemessene lautet nämlich:„Wann?“ Ich bin spät dran!

maulbeerblatt ausgabe 86 Editorial

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Glosse

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