Schönheit ohne Sonnenbank

beantWas uns gemeinhin als Schönheit verkauft wird, ist in vieler Hinsicht eine Verwechslung. Das, was wir oft als „Schönheit“ präsentiert bekommen, ist vielmehr das Versprechen von „Attraktivität“ und diese basiert in erster Linie auf Anziehung und Abstoßung. Man macht uns glauben, dass äußere Attribute wie Schminke, Deodorant, Muskeln, Sonnenbräune, Knackarsch, Kleidung usw. uns etwas Positives hinzufügen, das uns schöner macht. Verführt und hypnotisiert von der Vorherrschaft unseres visuellen Sinnes, glauben wir das. Doch ist es wirklich wahr?

Betrachten wir Beispiele von Schönheit, wie wir sie in der Natur finden, so entdecken wir hier Schönheit als einen natürlichen Zustand: Blumen, Bäume, Landschaften, biblisch anmutende Sonnenuntergänge, das Lachen eines Kindes.

Auch menschlich geschaffene Schönheit bspw. in Form von Kunst, Tanz und Musik erleben wir als schön, weil sie etwas in uns berührt. Diese Berührung öffnet etwas in uns – könnten wir sagen, in unserem Herzen? – und unser innerer Zustand verändert sich. Daher hat Schönheit viel mehr mit dem Sinn des Tastens als mit dem des Sehens zu tun. Es ist, als würde sich etwas zuvor Verschlossenes entfalten und uns ein tieferes Erkennen ermöglichen.

Somit ist Schönheit ein Geschenk und nicht wirklich machbar. Künstler sprechen in diesem Zusammenhang von dem Kuss der Muse, der sie inspiriert. Vielleicht versuchen wir sie gerade deshalb unter Zuhilfenahme äußerer Hilfsmittel herbeizuführen und zu konservieren. Doch das Produkt ist wenig mehr als eine schlechte Kopie.

Die kulturell subventionierte Lüge von Schönheit als einem machbaren Attribut formt ganze Lebensentwürfe, mächtige Glaubenssätze und hat eine erhebliche kulturelle und soziale Macht. Muss ein fünfjähriges Mädchen Bikinis tragen? Sind Neunjährige, die optisch auf den Spuren von Britney Spears wandeln, angemessen? Stylen sich angehende Heidi Klums inklusive anorexisch anmutendem Schlankheitswahn auch in Ihrer Straße?

Kulturell definierte „Schönheit“ ist vor allem ein soziales Spiel, in dem es um soziale Rollen und Status geht. Dazugehören oder draußenbleiben. „Tu dir was Gutes“, heißt da oft auch: „Mach dich schick“, „Pimp up your body“. Nagelstudio, Sonnenbank, Muckibude und die Shopping-Mall. Interessant, dass ein „pimp“ im Englischen ein Zuhälter ist.

Wahre Schönheit ist nicht attraktiv. Vielmehr macht es uns nicht selten Angst, andere mit unserer Schönheit zu berühren bzw. uns von ihr berühren zu lassen. Wieso? Weil dies etwas in unserem Inneren berührt, das wir gern verschlossen halten. Weil diese Öffnung uns zugleich verletzlich macht. Weil Schönheit als Teil unserer Natur unserem wahren Wesen sehr nahe ist.

Eine interessante Frage könnte demnach tatsächlich darin bestehen, wie sehr ich mir erlaube, mich selbst als schön zu sehen, wenn ich glaube, mich selbst noch verschönern zu müssen. Und ob dies etwas darüber aussagt, wie weit ich mich von meinem inneren Wesen entfernt habe. Einem Wesen, nach dem wir uns zutiefst sehnen und vor dessen wahrer Größe wir uns wahrhaft fürchten. Wie Nelson Mandela einst sagte, ist unsere größte Angst weniger, dass wir kraftlos, als vielmehr, dass wir kraftvoll jenseits unserer Vorstellungen sein könnten. Ich vermute: Mit unserer Schönheit verhält es sich ganz ähnlich.

Schöne Grüße

Ihr Beant S. Hergo


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