Traum oder Alptraum?

Die geplante Tesla-Ansiedlung in Grünheide wird die Region verändern. Viele Anwohner sind verunsichert, auch weil derzeit niemand ihre Fragen beantworten kann.
Die erste Euphorie scheint verflogen. Nur Wochen nach der Ankündigung des US-Milliardärs Elon Musk, in Grünheide bei Berlin eine seiner vier Gigafactories für Elektroautos zu bauen, wächst im Landkreis Oder-Spree die Skepsis. Obwohl es zu dem Milliarden-Deal bislang nur Absichtserklärungen gibt, machen sich viele Menschen Sorgen.

Foto: Afif Kusuma via Unsplash
Bislang hören sie nur von Superlativen: Die neue Zeit komme, heißt es in Politiker-Statements, mit Tausenden von neuen Arbeitsplätzen und allen Annehmlichkeiten einer Boom-Region. Doch die Anwohner wollen wissen, was sich hinter den schönen Worten verbirgt. Was die Tesla-Ansiedlung, so sie denn Realität wird, bedeutet. Dass sich das zwischen Wald und Wasser gebettete märkische Örtchen Grünheide mit seinen knapp 8.700 Einwohnern sowie die gesamte Region drastisch verändern wird, ist inzwischen vielen klar geworden.

Wie groß die Skepsis ist, wird bei einer Informationsveranstaltung deutlich, zu der der SPD-Landtagsabgeordnete und ehemalige brandenburgische Minister Jörg Vogelsänger, nach Erkner geladen hat. Proppevoll ist der runde Saal im Café Bechsteins, das als Hotspot des Ortes gilt und auch gern „Rossini Erkners“ genannt wird.

Mehr als hundert Menschen aus Erkner und umliegenden Orten sind gekommen, nicht alle finden einen Sitzplatz. Sie wollen hören, welche Antworten der brandenburgische Wirtschafts-Staatssekretär Henryk Fischer auf ihre Fragen hat. Die Fragen sind sehr konkret, sie betreffen Themen wie zunehmender Verkehr und soziale Infrastruktur, benötigte Arbeitskräfte und Bürger-Mitspracherechte bei solch einschneidenden Strukturänderungen, um Naturschutz und Wasserversorgung.

Die Antworten, die der Staatssekretär gibt, bleiben enttäuschend vage. Man befinde sich erst am Anfang, heißt es, man habe die Gespräche mit Tesla auf Wunsch des Investors seit 2016 geführt und geheim halten müssen und hoffe im Übrigen auf einen Imagegewinn für Brandenburg durch die Ansiedlung einer zukunftsgewandten Industrie. Was man als Politiker eben so sagt, wenn man (noch) nichts mitzuteilen hat.


Bürger fordern Mitwirkung

Vielen im Saal reicht das nicht, Murren ist zu an den Tischen hören. Man wolle nicht länger „überfahren“ werden durch einsame Entscheidungen „von oben“, heißt es. Staatssekretär Fischer verspricht, bei den bevorstehenden Genehmigungsverfahren werde es strikt nach Recht und Gesetz zugehen, vorgeschriebene Fristen und vorgesehene Öffentlichkeitsbeteiligung sowie Transparenz eingeschlossen.

„Wir versuchen gerade, die Tesla-Verantwortlichen zu überzeugen, dass sie Leute abordnen für die Kommunikation nach außen.“

Doch noch sei man erst am Anfang eines Prozesses, noch lägen keine Anträge des Investors vor, noch sei die Fläche bei Freienbrink, auf der das Werk stehen soll, nicht verkauft. Die Regierung in Potsdam habe eine Taskforce sowie mehrere Arbeitsgruppen gebildet, die aus Mitarbeitern aller Ministerien und Verantwortlichen aus der Region bestehen. So könne man zügig auf Anforderungen seitens des Investors reagieren.

Tesla will schon im ersten Quartal 2020 mit den Bauarbeiten beginnen. Im Frühjahr 2021 soll das Werk stehen, die ersten Autos sollen Mitte 2021 vom Band rollen. Das geht vielen im Saal viel zu schnell.

Riesenthemen wie die Natur würden bei aller Eile völlig außen vor gelassen, ruft ein Mann aufgebracht unter dem Beifall seiner Tischnachbarn. Und:

„Sie sind dabei, die Region zu verändern, der naturnahe Raum wird völlig vor die Wand gefahren!“

Dass nur knapp einen Kilometer vom künftigen Werk entfernt das Naturschutzgebiet Löcknitztal liegt und dass dieses sensible Thema bislang überhaupt nicht zur Sprache kam, erzürnt etliche im Saal. Sie wollen wissen, welche Eingriffe in den Naturschutz möglicherweise erlaubt werden, ohne dass man vorher davon erfahre. Auch hier bleibt die Antwort stereotyp: Alles werden strikt nach Recht und Gesetz verlaufen, und obwohl die Naturschutzverbände in der Taskforce nicht vertreten seien, würden sie – natürlich – gehört.


Wasserversorgung auf Anschlag

Steffen Schorcht aus Karutzhöhe, einem Ortsteil von Erkner, sorgt sich vor allem um die Trinkwasserversorgung. „Die ist jetzt schon am Anschlag, 70.000 Menschen werden über das Wasserschutzgebiet Erkner/Neu-Zittau mit seinen zehn Brunnen versorgt“, sagt er.

In den vergangenen trockenen Jahren sei beispielsweise der Wasserspiegel des Straussees signifikant gefallen. Angesichts des Klimawandels sei dort im Sommer das Wässern von Gärten bereits verboten. Was bleibe also vom Natur- und Wasserschutz, wenn das gigantische Tesla-Werk gigantische Mengen Wasser braucht?

Und beim Störitzsee, der sich einzig aus Grundwasser speist, bestehe die Gefahr des Austrocknens, mit unübersehbaren Folgen für Landschaft und Menschen. Wie wolle man dem weiteren Austrocknen in der Region entgegen wirken, wenn knapp 300 Hektar Wald, der ja auch als Wasserspeicher diene, für das Werk abgeholzt werden? Und überhaupt: Wo seien die Ausgleichsflächen für den Wald, den Tesla wieder aufforsten müsse? Eine Fläche weitab von Grünheide, etwa auf abgebrannten Waldflächen, wie es Tesla plane, würde dem Wasserhaushalt vor Ort nicht helfen.

Steffen Schorcht sagt, wenn es nicht genügend Wasser im Berliner Urstromtal gebe, werde man die Auswirkungen bis nach Berlin spüren.

Die Antworten des Staatssekretärs können bei diesem Thema niemanden im Saal zufrieden stellen. Man wolle Eingriffe in Lebensräume künftig besser kommunizieren, sagt er und erntet allgemeines Kopfschütteln. Forderungen nach dem Erhalt der Lebensgrundlagen sind legitim, und wer darauf keine Antwort hat, sollte keinen Informationsabend versprechen.

Dann sagt der Potsdamer Politiker noch, dass Bestimmungen beim Trinkwasserschutz eingehalten würden, alles werde im Verfahren geklärt. Ihm, so Staatssekretär Fischer, hätten zwei Wasserverbände des Landes versichert, dass die Wasserversorgung zwar schwierig, aber machbar sei. Auf die Frage, welche Verbände dies denn seien, gibt es keine Antwort.


Sorgen um marode Infrastruktur

Der Politiker hat dann aber doch noch etwas mitzuteilen: Der Wald, sagt er, sei laut Planungsrecht offiziell Industriefläche. Dazu habe man die 300 Hektar zwischen Autobahn und Zugtrasse, gleich neben dem Bahnhof Fangschleuse, vor 20 Jahren erklärt, als mit BMW schon einmal ein Investor dort bauen wollte. Doch dann entschied sich der Autokonzern bekanntlich für Leipzig, die Planung hat man belassen.

Ob der Bebauungsplan von damals heute noch gültig ist, soll jetzt geklärt werden. Umweltverbände wollen das prüfen. Der Potsdamer Politiker stellt klar: Was an Wald wegkomme, müsse wieder aufgeforstet werden. „Tesla will sogar mehr als die 300 Hektar wieder aufforsten, aber noch steht nicht fest, wo“, so Fischer.

Dass es Änderungen nicht nur in der Natur geben wird, zeigen weitere Wortmeldungen. Vielen Menschen macht die Infrastruktur Sorge. Ob der Ausbau der maroden Autobahn A10 endlich schneller vorankomme, ob die Autobahnbrücken demnächst wirklich saniert werden, ob bald mehr Züge fahren ob auch an Umleitungsstrecken für Lkw gedacht werde, wollen einige wissen.

Schon jetzt seien die Straßen voll, Staus an der Tagesordung. „Uns wurde damals, als hier in der Nähe die Logistikzentren von Edeka und Lidl gebaut wurden, versprochen, dass alles per Schiene geliefert und dann auf kleine Lkw umgeladen wird“, ruft ein Mann. Bislang sei jedoch kein einziger Zug gefahren, dafür verstopften Riesen-Liefer-Lkw die Straßen zusätzlich.

Jörg Vogelsänger, der mehrfach versucht, dem überfordert wirkenden Staatssekretär beizuspringen, kontert etwas hemdsärmelig:

„Jeder von uns sollte darüber nachdenken, ob er unbedingt mit dem Auto fahren muss.“

Empörte Rufe sind das Ergebnis. Doch Vogelsänger lässt die Empörung professionell abtropfen: Immerhin wohne man an der Bahnstrecke Paris-Berlin-Moskau. Und der RE1, der derzeit nur einmal die Stunde komme, solle bald im 20-Minuten-Takt fahren.

„Wann denn, es gibt ja gar nicht genügend Waggons“, ruft ein empörter Besucher dem Gastgeber zu. Vogelsänger sagt noch, dass die Bahnlinie für Tesla entscheidend gewesen sei und dass ein Anschlussgleis zum Werk natürlich gebaut werde.


Skyscraper in Grünheide

Das Publikum beschäftigt noch weitere Dinge. Dass schon jetzt die Mieten für Gewerbeflächen anziehen. Dass Schulen und Kitas gebraucht werden, die bislang in keinem Investitionsplan stehen. Dass ein Münchner Investor bereits angeboten hat, 22-geschossige Wohnhäuser in Grünheide zu errichten.

Überhaupt das Wohnen: Wo sollen die vielen erhofften Arbeitskräfte hin, wenn sie nicht pendeln sollen? Bauflächen seien jetzt schon knapp, immer mehr Flächen würden zugebaut und damit versiegelt. Als Staatssekretär Fischer dann noch mitteilt, dass man den geltenden Landesentwicklungsplan für die neuen Anforderungen öffnen will, bricht es aus einer Besucherin heraus:

„Dann wird hier gnadenlos alles zugebaut, die Natur ist dann weg!“.

Bislang dürfen Wohnsiedlungen nur in direkter Nachbarschaft von Bahntrassen gebaut werden. Angesichts der Tesla-Ansiedlung, die größer ist als alles, was an Industrie je in Brandenburg entstand, muss man wohl auch in diesem Bereich über Änderungen nachdenken. Nötig sei eine völlig neue Planung, eine völlig neue Herangehensweise, ein völlig neues Denken, heißt es.

Auch der neue Bürgermeister von Erkner, Henryk Pilz, verlangt ein neues Denken. Er werde demnächst Gespräche mit allen Kommunen bis hin nach Fürstenwalde führen, sagt er. Der Straßenverkehr sei jetzt schon bei allen ein Dauerthema. Ob Pilz dabei auch die Forderung der Linken in Berlin-Treptow-Köpenick nach einem Verkehrskonzept Süd-Ost im Blick hat?

Die Linken im Berliner Südosten wollen, dass das Land Berlin gemeinsam mit den Landkreisen Dahme-Spree und Oder-Spree in Brandenburg ein zukunftsfähiges Verkehrskonzept entwickelt. Auch ohne die Tesla-Ansiedlung gibt es dafür genügend Gründe: Angesichts des kontinuierlichen Wachstums in der Region und des künftigen BER müsse etwas Übergreifendes entwickelt werden, das den künftigen Anforderungen entspricht.

 


Nach Tesla nun BASF?

Erkners Bürgermeister Pilz fordert neue Denkweisen, um die „wunden Punkte“ in der Infrastruktur sichtbar zu machen und zu heilen. Zum Beispiel den Öffentlichen Personennahverkehr in der Region, der sich laut Pilz auf dem Niveau der 1980er-Jahre befinde:

„Ich sehe Tesla da als Chance, dass sich hier überhaupt mal was bewegt.“

Dass dies nicht allein durch die Region bewerkstelligt werden kann und dass die geforderten neue Denkweisen auch „ganz oben“ nötig sind, sagt er nicht. Aber jeder hat es so verstanden.

Dass inzwischen das Unternehmen BASF angekündigt hat, in Deutschland für rund 500 Millionen Euro eine Kathoden-Fabrik zu bauen, um Batterien für jährlich 300.000 Elektroautos herzustellen, sorgt für weit weniger öffentliches Aufsehen als jede Tesla-Regung.

Dabei hat Schwarzheide, ebenfalls in Brandenburg, gute Karten für die neuerliche Groß-Ansiedlung. In dem dortigen Chemiewerk von BASF arbeiten rund 3.000 Fachkräfte – zu niedrigeren Löhnen als in westdeutschen BASF-Werken. Was dem Unternehmen entgegen käme, das soziale und wirtschaftliche Faktoren als entscheidend für eine Ansiedlung benennt. Der Strukturwandel beginnt. Mit welchen Auswirkungen auf Mensch und Natur, weiß heute noch niemand.


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