Wandkunst oder Vandalismus?

Das erste bekannte Graffito prangte an den Mauern im Palast zu Babylon und wurde in Ermangelung von Spraydosen als Flammenschrift inszeniert. Der Sprayer nannte sich Gott, zumindest glaubten das die Menschen. Und die Botschaft „ändert euch sonst kommt das Verderben“ war drastisch.

Hinter den heutigen Mauerparolen und Zeichen, die unser Stadtbild prägen, steckt nichts Göttliches. Sie sind Ausdruck einer Weltanschauung, Teil unserer Stadtkultur. Wenn man an Graffiti denkt, hat man Bilder von New York, Soho oderder Bronx, Berliner Hinterhöfen und der Mauer (Westseite) im Kopf. Kunst oder Schmiererei? Wenn in unserem Bezirk Köpenick, speziell Friedrichshagen, an frisch getünchten Gründerzeitvillen in Leuchtfarben „Scheiße“ steht, dann kann man das auch so finden… . Ich habe mich in Sachen Graffiti einmal in unserer Nachbarschaft auf Spurensuche begeben. Um es vorne weg zu sagen, riesige Wandbilder habe ich an Friedrichshagener Gebäuden nicht gefunden. (nur an S-Bahnen und Wagons). Doch in der Bölschestraße und besonders dem Bahnhofsumfeld muss man nicht lange suchen, um auf Tags und Sticker zu stoßen. Wer genau steckt hinter diesen Kringeln? Ein in der Szene bekannter, junger Sprayer gewährte dem Maulbeerblatt Einblick in in seine Welt

MB: Wie bist du zum Graffiti gekommen? Tyron: Wie ich zum Graffiti gekommen bin? Angefangen hat alles in der 7. oder 8. Klasse, als mir und meinen Freunden ein paar Tags aufgefallen sind und wir zu dritt die grandiose Idee hatten, das selbst mal auszuprobieren.

MB: Wie kommt man in die Szene? Tyron: Eigentlich ist das eine Interessenfrage, also je nachdem, wie man sich für Graffiti interessiert. Aber Szene kann man nicht wirklich sagen, da es sehr weit gefächert ist. Und wenn man sich für „Street Art“ interessiert, heißt das nicht, dass man nicht auch Graffiti macht. Aber um genauer auf ihre Frage zurückzukommen: Es ist eigentlich am wichtigsten, dass man kreativ und innovativ ist und seine eigene Auseinandersetzung mit Graffiti in einen oder besser mehrere Stils verpackt und im Endeffekt das gute alte Stadtbild interessant macht und prägt.

MB: Hast du Vorbilder in der Graffiti–Szene? Tyron: Vorbilder nicht direkt, aber man hat verschiedene Sprüher, an denen man sich orientiert und sie für ihre Hingabe bewundert. Prägende Buchstaben sind und waren z.B. K.O., BAD, GFA, 0815, RCB, KHC, The Birds.

MB: Könntest du dir vorstellen, einmal mit Auftragsarbeiten Geld zu verdienen? Tyron: Es ist denke ich jedermanns Traum, sein Hobby zum Beruf zu machen. Doch da der Konkurrenzkampf so groß ist, denke ich nicht, dass ich einmal auf diesem Gebiet Fuß fassen werde.

MB: Siehst du das Sprühen mehr als Sport oder mehr als Kunst? Tyron: Ich denke, das eine ist das Produkt des anderen, da in einem lustigen Büchlein steht, dass es Vandalismus ist, diese Kunst an öffentlichem Gut auszuüben. Demnach muss man wenigstens ein bisschen den Sport–frei-Gedanken mitbringen, um mitzuspielen.

MB: Wie viel Geld musst du für dein Hobby ausgeben? Tyron: Also eine Dose kostet um die 3,50€, aber man probiert möglichst wenig auszugeben, indem man sich normale Farbe schnappt und damit malt. Ich würde sagen, dass ein Mensch, der viel unterwegs ist, schon um die 100€ im Monat ausgibt.

MB: Gibt es in Berlin Auseinandersetzungen zwischen Sprühergruppen? Tyron: Ja, man kommt nicht um die Aggressivität herum, da die Gruppen sich gegenseitig übermalen. Und wer in der Stadt bekannt sein möchte, braucht viele Bilder. Das heißt, wenn die eine Crew sieht, wie eines ihrer Bilder übermalt wird, kommt es schnell zu Auseinandersetzungen.

MB: Ich habe jedoch auch gehört, dass es Crews gibt, die nur auf Schläge aus sind. Tyron: Ja leider, aber die Spinner findest du überall. Sie lassen sich auch nur so gut in das Graffitigeschehen integrieren, weil man sich in Banden zusammenschließt, die alle mehr oder weniger eigentlich das Malen im Kopf haben (sollten), jedoch ist aus den altnötigen Rivalitäten zwischen den Leuten ein ekliges Proll- und Neandertalerähnliches Kloppverhalten mutiert.

MB: Was war bisher deine brenzligste Situation, in die du geraten bist? Tyron: Da gab es viele, aber die brenzligste war sicher ein vierstündiger Marathon durch die grüne Lunge „Köpenick“, als ich zwei Stationen weiter wie Kimble auf der Flucht vor ein paar Zivi – Einsatzwagen war. Ganz eklige Sache war das.

MB: Was hälst du von Plakatieren usw.? Tyron: Ich finde, es ist eine gute Alternative zum Graffiti. Ich meine es ist gut für alle, die es sich nicht leisten können, Vorstrafen zu bekommen.

Das Interwiev mit einem jungen lokalen Sprayer, führte Taro Naffin im Rahmen seines Schülerpraktikums.


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