Wer bin ich?

Und wenn ja, wieviele?
Kaum ist man auf einer Party gelandet, hat sich den Mantel abnehmen lassen und die Rotweinschorle in der Hand, schwingt die klassische Small-Talk-Einstiegsfrage ans Ohr und in die nächstgelegenen Gehirnwindungen. Doch was nun antworten ohne zu überfordern?
Foto: Franziska Hauser

„Und, was machst du so?“ Mein Gegenüber, der mit einer Bierflasche im Türrahmen steht, versucht mich einzuordnen, will wissen, wer ich bin. Die Frage ist aber nicht in einem Satz zu beantworten. Um meine Gesprächspartner nicht zu überfordern, habe ich mir angewöhnt, nur einen meiner drei Jobs zu nennen.

Es ist der Moment, in dem ich entscheiden kann, wer ich heute Abend sein will. Wenn ich ihn so schnell wie möglich loswerden wollte, wäre es klar: „Ich bin Autorin“, wäre die richtige Antwort. Dann könnte ich ein Gesellschaftsmagazin nennen und er wäre weg. Männer fürchten sich davor, von schreibenden Frauen als Informationsmaterial verwendet zu werden.

Ich könnte auch sagen, dass ich in einer Schauspieleragentur arbeite. Wir hätten eine Ebene, auf der alles möglich wäre, und leicht verdaulichen Gesprächsstoff dazu. Ich könnte von großbusigen Frauen erzählen, auf deren Demobändern alle unverfänglichen Zwischenhandlungen aus den Pornos zusammengeschnitten sind, in denen sie mitgespielt haben, weil sie zur Schauspielerei wechseln wollen. Oder von zehnjährigen Mädchen, die anrufen:

„Ich find immer die Serien mit den Rettungshubschraubern so toll und will gerne mal ein Opfer sein. Können Sie mich bitte als Opfer vermitteln?“

Ob ich ihm erzählen soll, wie unbrauchbar ich eigentlich bin in diesem Job? Vielleicht würde er das sogar liebenswert finden. Ich kann gut Kaffee kochen, Pausenhäppchen vorbereiten und die Fanpost alphabetisch sortieren, aber wenn ich eine halbe Stunde lang Termine in die Datenbank eintrage, um dann festzustellen, dass ich die Drehtage mit den Sperrterminen verwechselt habe, dann frage ich mich, ob ich mich nicht gleich selbst rausschmeißen sollte.

Wenn ich den Hörer aufgelegt habe, im Glauben, ich hätte alle wichtigen Fakten aufgeschrieben: Filmtitel, Produktionsfirma, Regisseur, Name des Casters, Rollenname und den Drehzeitraum, dann stelle ich fest, dass ich vergessen habe, um welchen Schauspieler es überhaupt ging.

Schauspieler, die vom Set anrufen, weil sie gerade Pause haben, sind meist in Flirtlaune und dann habe ich danach komplett vergessen, was ich eigentlich machen sollte. Stattdessen stelle ich mir vor, am Filmset zu sein.

 

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Wenn wenig zu tun ist, dann mache ich mir Sorgen um meine Figur und denke, dass ich einen breiten Hintern bekommen werde, wenn ich so viel sitze, sodass man sich irgendwann erschrickt, wenn ich aufstehe. Das werde ich dem Mann mit der Bierflasche auf keinen Fall erzählen.

Im Bürostuhl versuche mich nicht ganz anzulehnen, um meine Bauchmuskeln zu trainieren. Manchmal strecke ich die Beine aus, halte sie ein Stück über dem Boden und vergesse, meine Haltung zu ändern, wenn der Chef reinkommt. „Wie sitzt du denn da?“, fragt er. Aber zum Glück ist er immer so hektisch, dass er auf keine Antwort wartet.

Ich könnte noch erzählen, wie dramatisch es manchmal ist. Zum Beispiel wenn ich mit verzögerter Satellitenverbindung ein Drehteam auf einem Schiff in irgendeinem Meer am Telefon habe, weil einer der Hauptdarsteller seekrank geworden ist und sofort Ersatz eingeflogen werden muss.

Abends sehe ich dann die Filme und Serien im Fernsehen und weiß, welche Schauspieler sich eigentlich gar nicht leiden können und sich trotzdem küssen müssen. Wenn der Job in der Agentur mein einziger wäre, würde ich ihn vielleicht langweilig finden.

Oder ich erzähle dem Mann lieber von meiner Arbeit als Fotografin und davon, wie aufregend es manchmal ist, so schnell wie möglich eine intime Nähe schaffen zu müssen zu Menschen, die ich meist noch nie zuvor gesehen habe. Schauspieler zum Beispiel oder Musiker.

Ich könnte ihm verraten, dass ich beim Fotografieren einem berechnenden Dresscode folge. Unauffällig, im typischen Fotografenlook mit vielen Taschen an den Hosenbeinen, fotografiere ich Männer, die jünger sind als ich. Zu Männern ab meinem Alter aufwärts komme ich aber im kurzen Rock und hohen Schuhen.

Bei Frauen mache ich es umgekehrt. Ich wähle die konturlosen Schlammfarben bei älteren Frauen, um damit zu sagen: „Du musst gut aussehen. Nicht ich.“ Jüngere Frauen aber sind lockerer vor der Kamera, wenn ich mich selbst auch gut anziehe. Bei Homosexuellen komme ich allerdings regelmäßig durcheinander mit meiner Masche.

Vielleicht würde der Mann im Türrahmen herausfinden wollen, wer ich wirklich bin. Die Frage ist nur, ob ich will, dass er es herausfindet und eine andere Frage ist, ob ich es eigentlich selbst weiß. Vielleicht liegt meine Wandelbarkeit nicht in meinem Wesen, sondern hat sich aus den drei Jobs entwickelt? An manchen Tagen habe ich morgens einen Fotoauftrag, sitze danach drei Stunden in der Agentur, nachmittags schreibe ich und abends frage ich mich:

„Warum mache ich alles nur zum Drittel?“

Dass ich eine gute Fotografin bin, davon bin ich überzeugt und ich will gar nicht wissen, ob mit dieser Überzeugung etwas nicht stimmt. Zum Beispiel; dass ich vielleicht nicht gut genug bin, um nur von tollen Fotoaufträgen zu leben?

Als Autorin gelingt mir zwar manchmal etwas Literarisches, aber die deutsche Rechtschreibung ist immer noch mein Feind. Eine anständige Sekretärin werde ich wahrscheinlich nie und wenn ich mich mit meinem nachsichtigen Chef nicht so gut verstünde, dann wäre ich auch schon längst keine mehr.

Das Problem ist, dass ich mit dem Schreiben nicht aufhören kann und mit dem Fotografieren auch nicht. Eher vergesse ich meinen Haustürschlüssel als meinen Fotoapparat. Es ist wie atmen, Fotos zu suchen auf den Straßen und unter den Menschen.

Aber soll ich dem Typ mit der Bierflasche davon erzählen? Und von meinen Kindern auch? Es würde ihn verwirren, bestimmt. Er ist wenig älter als ich, hat schöne, braune, fragende Augen und kräftige Hände. Den längeren kleinen Fingernagel rechts braucht er möglicherweise zum Gitarrespielen. Ich werde ihm die Ladung Stück für Stück vor die Füße legen und sehen, was er damit anfängt.


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