Gefangen im Schwanenhals

Die Dichterin Helga M. Novak
Eine späte Rezensentin bescheinigte ihr, „rauer als die Ikone Ingeborg Bachmann, zäher im Überlebenskampf als Inge Müller, rigoroser im Aussteigen aus bürgerlichen Lebensformen als Sarah Kirsch“ zu sein.

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Ihre Gedichte waren politische Lyrik hier und dort poetische Naturbeschreibung. Die Texte ihrer Erzählungen sind so oft verstörende Zeugnisse einer biographischen Zerrissenheit, wie sie das vorige Jahrhundert in seinen Abgründen hortet; der Aufenthalt in einem irren Haus, nie wortgewaltig, doch immer kraftvoll und sinntragend. Wer kennt Helga M. Novak, die Dichterin?

Auf der Suche nach sich selbst

Selbst war sie zeitlebens auf der Suche nach der eigenen Herkunft. In Köpenick wurde Helga Novak 1935 geboren. Die Mutter gab das Kind zur Adoption frei. Das Mädchen kam in eine Pflegefamilie. Dort lautete Zwang zur Anpassung die pädagogische Maxime, Anpassung an gesellschaftliche Normen. So überstand man hier die Kriegsjahre, fand im neuen Leben auch rasch seinen Platz. Die märkische Landstadt Erkner wurde ihr Zuhause, Heideland und Seen, Kiefernwald am südöstlichen Ende von Berlin die Heimat.

Mit fünfzehn der erste Ausbruch. Fort von der quälenden Enge liebloser Stiefeltern. Ein Internat für junge Kader des Sozialismus wird die Heimstatt, Widerstandskämpfer und antifaschistische Helden werden die Vorbilder. „Fortan jeden Schritt vorwärts alleine“ will sie gehen. Und dieser Weg führt sie direkt in die Staats- und damals noch Kaderpartei, die SED.


Die Gedanken sind hier nicht frei

In Leipzig, wo die zukünftige Elite der schreibenden Zunft des neuen Staates ausgebildet wird, studiert Helga Novak seit 1954 Journalistik. Doch in ihrem Gepäck trägt sie Nietzsche und Baudelaire. Das ist nicht gut in dieser Zeit der Zensoren. Der Startschuss auf der Bahn einer ostdeutschen Vorzeigekarriere war gerade ertönt, da wurde die junge Genossin aus dem Rennen genommen. Die Gedanken sind hier nicht frei. Exmatrikulation, „Selbstkritik“ und ab zur „Bewährung in der Produktion“ . Sie verweigert sich und flieht mit einem isländischen Kommilitonen in dessen Heimat. Dort landet sie, kommt aber nie wirklich an. Ihre Lektüre bleibt das „Neue Deutschland“.

Und bald kehrt sie in den Staat zurück, in dem eine bessere Welt gebaut werden soll und für den sie trotz allem bereits selbst erlittenen Unrechts noch die Sympathien mit sich trägt. Dieser Staat hat ein eigenes Ministerium für seine Sicherheit.

„Hochintelligent und flatterhaft“

ist die junge Dichterin, für die Offiziere des Ministeriums irgendetwas zwischen Sicherheitsrisiko und willkommenem Partner. Helga Novak laviert, kämpft mit sich und all den zwanghaften Vorstellungen und einer Unterschrift. Nie mehr wird sie diese Niederlage abschütteln können. - -

Im Jahr 1961 heiratet sie, wird isländische Staatsbürgerin in der DDR. Sie reist. Das hat sie den meisten ihrer Mitbürger voraus. Und sie schreibt. Gedichte, die hier, in der DDR keiner veröffentlichen mag. Und sie weiß es. Auf eigene Kosten lässt sie in Island ihren ersten Gedichtband drucken: „ostdeutsch“.
Die Prägung ist deutlich. Aber Lobeshymen weiß sie keine anzustimmen. Es sind bereits Totenlieder auf verlorene Illusionen.

Doch Helga Novak ist begierig, sich an allem Lebendigen selbst zu probieren. Wie ihre Gedichte „Liebende, Soldaten, Emigranten, Stalinisten, Huren, Kinder, aber auch Artemis und Medea“ kennen, sind sie von ihr selbst erlebt. Sie ist „welthaltiger“, wie es der Schriftsteller Joachim Walther ausdrücken wird,

welthaltiger noch „als ihre ostdeutsche Leidenschaftsgenossin Brigitte Reimann“.

Und sie ist nun Mutter. Ihre Kinder wachsen bei Pflegeltern auf – in Island. Sollbruchstelle einer „Biographie voller Schürfwunden“? Helga Novak gibt zu Protokoll: „Mir fehlen die Fähigkeiten, mich sesshaft zu machen.“ Vielleicht auch deshalb: „…stehe (ich) fortwährend da, wo die nächste Dachlawine runtersaust.“- -

Am Literaturinstitut Johannes R. Becher darf sie, die nun in Produktion und Alltag für die Augen der Genossen wohl bewährte, sich erneut beweisen und nimmt 1965 ihren zweiten Studienanlauf. Das geht nur wenige Monate gut. Die zweite Exmatrikulation einer DDR-Bildungseinrichtung folgt.


Landesverweis noch vor Biermann

Mehr noch. Jetzt verweist man die junge Frau des Landes. Es werden noch zehn lange Jahre vergehen, bis gleiches einem Wolf Biermann widerfahren wird. Der wird Helga Novak rückblickend „eine DDR-Dichterin im Westen“ nennen, „für mich die Größte“.

Denn im Westen findet die Dichterin den Anschluss, der ihr in der Heimat verwehrt blieb. Hier konnte sie ihre Exmatrikulation als „einen brutalen Befreiungsschlag“ empfinden, einen Ausweg, der ihr den Raum gab,

„langsam das raus[zu]lassen, was in mir steckte. Ich wurde ungebunden, unbeherrscht, unwillig, ungläubig… ungezügelt, unberechenbar.“

Dabei halfen der jungen Dichterin mit jener „enormen Begabung“ auch die Besten der Besten. Denn „Hans Werner Richter lud sie zur Gruppe 47 ein, Günter Grass organisierte Geld. Man war beeindruckt von ihrem bewegten Leben, von ihren direkten Versen. Sie schrieb zupackender als jede andere Lyrikerin ihrer Generation, ihre Gedichte erzählen Geschichten, beschwören Situationen, manchmal mit derben Witz, immer voller Sehnsucht nach einer besseren Welt, ohne je in Kitsch zu kippen.“ - -


Die Getriebene

Wer Werkschau hält ein gut halbes Jahrhundert später, der findet nahezu 50 Titel der Lyrikerin und Erzählerin Helga M. Novak. Mit zahlreichen Preisen geehrt, waren Kritiker und Kollegen ihrem Schaffen meist zugetan. Doch der Literaturbetrieb blieb ihr stets fremd. Publikumsverkehr mied sie scheu. Popularität war damit ausgeschlossen.

Helga Novak blieb eine Getriebene. Lebte sie eine Weile in Frankfurt am Main, so verschlug es sie auch nach Portugal, nach Jugoslawien, nach Polen. Dort, in Polen, lebte die Frau einsam in „Wäldern, von wo zwar über den Schöffling-Verlag noch der Gedichtband „Silvatica“ ihr Publikum mit Bildern eines verwilderten Lebens erreichte…. Trotzdem kam sie in diesen Jahren der Welt so sehr abhanden“.

Als Helga Novak im Jahr 2004 in die Bundesrepublik zurückkehren möchte, verweigern ihr, die sie nun eine „arbeitslose Ausländerin“ ist, die Behörden einen neuen, gültigen deutschen Pass. Es bedarf des auffordernden Wortes eines Bundespräsidenten, Johannes Rau, die Behörden zur Raison und Helga Novak als vollwertige Staatsbürgerin wieder in das Land zu bringen.

Und selbst die Stadt Erkner erinnert sich ihrer, hofiert Helga Novak seit dem Jahr 2012 offiziell als Ehrenbürgerin. Doch die Dichterin lebt zurückgezogen und im Unfrieden mit Vielem auf der Welt, die sie mit den Augen einer Zweifelnden, einer Verzweifelnden sieht. Bereits über 70 Jahre alt, dichtet sie „Aus Wut“ und erzählt davon, „wo ich jetzt bin“. Ist es ein guter Ort? - -


Gefangen im Schwanenhals

Am Heiligen Abend des vorigen Jahres ist Helga Novak in einem Krankenhaus in Rüdersdorf verstorben. Im „Schwanenhals“ fühlte sich Helga Novak gefangen. So poetisch der Name des letzten Bandes ihrer Autobiographie klingt: Der Schwanenhals ist ein tödliches Instrument der Jagd. Ein perfides.

„Oftmals ziehen die gefangenen Tiere das Eisen bis zum Tode hinter sicher her. Manche beißen sich den eigenen Fuß ab, um irgendwie zu entkommen.“

Sie ist ihm wohl nicht entkommen. Und wer die Novak und ihre Sicht auf Leben und Zeit nun doch vielleicht kennen lernen mag, der lese ihn, den „Schwanenhals“. Oder ihre beiden, bereits vor drei Jahrzehnten, damals noch in der allein westdeutschen Bundesrepublik erschienenen autobiographischen Schriften, „Die Eisheiligen“ und „Vogel federlos“. Und ihre Gedichte. Sehnsuchtsorte, sandig, porös, schlichte Schönheit der Mark, wie „dumpfes/Dunkel/der Wälder/ich tanze/über das stumme Gras/die Leuchtkäfer entspringen/meinen schnellen Fingern“.Wie dieses: Alles zum Lesen empfohlen. Und zum Überdenken. Zum Erleben.

Denn Helga Novak ist, wie ihr Dichterfreund und kollegialer Weggefährte, Gert Loschütz, sagt, „die große Dichterin der Mark, die Einzige, die Peter Huchel das Wasser reichen kann“.

 


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