Zu Helga Hahnemann im Schnelldurchlauf

'ne dicke Henne, die mit Eierpampe wirft
Bauzäune säumen den Weg. Müll knöcheltief. Zwischen Bauruinen und Sanierungsobjekten lärmt es von der Friedrichstraße herüber. Über die Brache zieht ein kalter Novemberwind. Irgendwer verdient hier nebenan auch gutes Geld mit Parkgebühren. Auf dem Schild steht „Helga-Hahnemann-Straße“. Und zumindest daraus darf man die Sicherheit gewinnen, nicht zeitversetzt zu sein, nach Berlin, Hauptstadt der DDR, anno 1989 oder so. Damals wäre es der verfügungsgewaltigen Behörde sicher nicht in den Sinn gekommen, eine ihrer vielen maroden Straßen nicht nach hehren Klassenkämpfern oder sozialbewegten Weibern zu benennen.

Ein gutes Jahrzehnt später, im Jahre 2003, der Regierende der Stadt war wie diese selbst ein nach allen Himmelsrichtungen offener Mann geworden, konnte es durchaus geschehen, ein Stück Stadtland zu verspaßen und namentlich einem der beliebtesten Spaßvögel Berlin, der Henne, zu übereignen.

Gewiss hätte die Henne einen spitzen Laut gefunden, auf das stadtplanerische Dilemma rund um ihre kleine Straße. Und die Leute hätten gelacht. Denn das konnte die Henne, wie es nur wenige können: die Leute zum Lachen bringen. Quer durch die Reihen. Vom Oberlehrer bis zum Gullytieftaucher.

Bereits in jungen Jahren hatte sie ihre Absicht der Mutter verkündet: „Ick werde Quatschmacher.“ Da war sie vier und man schrieb das Jahr 1941, sie lebte in Pankow und bald sollte von der großen Stadt, deren Herz sie auf der Zunge trug, nicht viel mehr als eine Trümmerwüste übrig sein. Wenig lachhaft.

Und weil es so wenig zu lachen gab in den nächsten Jahren, schickt sich die 19-jährige Helga Hahnemann an, ihren Beitrag zum Aufbau einer neuen, einer bunten Welt zu leisten. Man möchte sagen, sie rührte als Schauspielschülerin in Niederschöneweide drei Jahre lang an, was bald in einem bunten Kessel zum Brodeln kommen sollte. Doch bevor die Klamauknudel gar war, ging sie durch die harte Leipziger Pfeffermühle des politischen Kabaretts. Ein heißer Kampf um die Köpfe wurde im Kalten Krieg mit dem modernsten Waffensystem einer früheren Neuzeit, dem Fernsehen, geführt. In Ost-Berlin hatte man schnell erkannt, dass das Mädel im sächsischen Tal der Ahnungslosen verloren ist und holte sie kurzerhand in die nun mauerdurchtrennte Frontstadt Berlin. Hier trat die Hahnemann im Deutschen Fernsehfunk in 30 Folgen der Kabarettserie „Tele-BZ“ auf. Schnell gackerten ein paar Millionen zwischen Rügen und Erzgebirge mit, wenn die Hahnemann ziemlich intelligenten Stuss von sich gab.

Die Einheitsgewerkschaft der DDR, der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund FDGB, dankt ihr das launige Ablenkungsmanöver vom Arbeiter- und Bauernalltag mit dem Kunstpreis, ihrem ersten.

1964: Ingrid Ramso alias Helga Hahnemann heißt die junge Frau, die in dem Criminal vom „Tresorknacker“ ihre Künste auch dem Fernsehfilmpublikum zum Besten gibt. Und auch wenn die Hahnemann wie in manchen Folgen des Polizeiruf 110 zeigen wird, dass sie ernst machen kann, liebt sie das Publikum für ihre kesse Schnauze.

1974: Die Hahnemann lernt Angela Gentzmer kennen, die 17 Jahre lang an ihrer Seite als Autorin von Liedern und Sketchen stehen wird. Ein Dreamteam, denen die „Traudl Schulze“ geboren wird. Nein, alles ganz in Ordnung! Traudel ist Diplomraumpflegerin und als solche scheinbar auf die Fernsehwelt gekommen. Mit ihr spricht die Hahnemann als Stimme des kleinen Mannes.

Das tut sie nur als Traudel oder wenn sie Maxe Baumann nachsteigt oder Geschichten mit Tieren macht. Sie ist gar großzügig und verleiht ihre Unverkennbarkeit, ihre Stimme: an Yvonne – zum Schrecken von Egon, Benny und Kjekd, der gesamten Olsenbande – und zum Hochvergnügen ihres Publikums.

Das Publikum bei Laune halten ist allein ihre persönliche – und zutiefst ehrliche – Devise. Exklusiv hat sie das nicht. Denn auch die kulturpolitischen Zensoren wissen um die Kraft durch Freude. Und lassen der Henne den einen oder anderen Scherz durchgehen, für den andere ne ordentliche Abreibung erwarten hätten dürfen.

Im Gegenteil ist Ende der 70er Jahre – Biermann darf mittlerweile sein Konzertpublikum ausschließlich westlich der Elbe beglücken –so richtig Dampf im Kessel oder im Topp, wo die Musike herausquillt. Jeden zweiten Samstag, bevor es endlich mit Krawall losging auf den Oberliga-Fußballplatz, habe ich mich mit Mama über ihr dummes Gegacker zwischen Maschines Geröhre und Tamaras Gekrächz beeiert. Danke dafür, Henne!

Was dem Berliner Rundfunk recht, war dem Fernsehen dreimal billig. Und weil die Topp-Musike auch dort gut ankam, dampfte die Hahnemann auch durch den Kessel Buntes. Mit Köfer und Emmerlich, mit Alfred Müller und Jiri Korn, mit Dagmar Frederic und Roberto Blanco geigelte die Henne, tanzte, steppte und moderierte, was das Zeug nur aushalten konnte.

Und wer von der Dröhnung noch nicht genug hatte, der konnte ihre Stimme von Vinyl abspielen – Stund‘ auf Stund‘. Drei ganze Langspielplatten voll im Stile von olle Hugo und seine Süße.

„Sie konnte keine einzige Note, traf aber immer den richtigen Ton.“

Den muss Big Helga, die im Volke so beliebt war wie beleibt, getroffen haben, als sie im September 1988 dem SED-Chefideologen Kurt Hager ihr Verlangen eines Auftrittes in der RIAS-Schlager-Parade mitteilte mit dem Vermerk: „Ich gestehe, dass ich es ein wenig Leid bin, vor jedem meiner Auftritte außerhalb unserer Grenzen so viele Hürden überspringen zu müssen – um im Olympischen Sprachgebrauch zu bleiben.“ Der Brief endet: „Mit den besten Grüßen / Ihre größte Quasselstrippe von Berlin, Helga Hahnemann.“

Sie durfte zum RIAS-Konzert fahren und in der Deutschlandhalle singen. Und sie kam zurück. Etwas verspätet zwar. Aber sie kam. Ihre launige Rückkehr aus Westberlin, so wird berichtet, soll sie, am geschlossenen Grenzübergang angekommen, mit dem Ruf: „He, ihr Eierköppe, macht mal hier auf, ich will nach Hause!“ kundgegeben haben.

Und auch privat lebte die Hahnemann aus dem Vollen: „Lieber lichterloh brennen als langsam verglühen“, war ihr Motto. Sie rauchte wie ein Schlot, aß von allem, was ihr schmeckte, bis nicht viel mehr ging, liebte vom Leben alles mit der Lust des letzten Mals.

Ein Mann allein konnte das nicht mithalten. Ihre Beziehung zu dem Regisseur Ralf Thieme zerbrach nach 15 Jahren. Die Trennung schmerzte die Frau, die ohne eigene Kinder blieb. Als Mann war fortan nur ein Robert Redford ihr Idol.

Und die Hahnemann ackerte – buchstäblich bis zum Umfallen. „Wenn jemand uff de Straße zu mir sagt: ‚Helga, weiter so!‘ – dit isset, eh!“ Und angesprochen wurde sie. Bei Bäcker Petersick in Schöneiche unterhielt sie die Leute in der Warteschlage. Dort um die Ecke wohnte sie in ihrem Haus, wo sie eine Garage zum Ballettraum umgebaut hatte. Sie musste auch hier trainieren für ihr Publikum. Und fand sie einen Winkel, der ihr Momente der Ruhe bot, wurde mit der Katze geschmust und in der Küche gebacken und gebraten.

Als mit dem Jahr 1990 eine neue Zeit anbrach, musste auch die Entertainerin im Extraformat ein paar Klinken putzen gehen. „Kennen wir nicht – brauchen wir nicht“, dass erfuhr auch die Hahnemann, die ihr erfolgreiches Gastspieldebüt im Berliner Westen bei den Wühlmäusen 1988 gegeben hatte. Aber die Türen, durch die sie wollte, öffnete sie sich. Jetzt noch einmal. Als es am 5. Mai 1990 „Guten Abend, Deutschland“ hieß, das Fernsehen der DDR und das ZDF in ihrer Gemeinschaftsproduktion 25 Millionen Zuschauer ereichten und mit Thomas Gottschalk und Frank Elstner im Berliner Friedrichstadtpalast das Publikum begrüßten, war die „Henne“, wie sie seit eh und je bei ihren Fans hieß, mit dabei.

Zu dieser Zeit trug sie die Erkrankung schon in sich. Doch sie wollte von ihrem Lungenkrebs nichts wissen, und schon gar nicht sollte das ihr Publikum. „Die Leute sollen doch sagen: „Dabei war se kernjesund, als se starb.“

Am 20. November 1991 ist Helga Hahnemann gestorben. Und doch hört man die Henne noch heute gackern. Am vernehmlichsten wohl, wenn sich seit 1995 jährlich die deutsche Showprominenz vom Publikum mit der „Goldenen Henne“ ehren lässt, ob es nun die Stefanie Hertel oder der Frank Schöbel, Kurt Biedenkopf oder Deutschlands Handballmänner, Rudi Völler oder die Scorpions sind.

Wen freie Flugrouten vom neuen BBI in Schönefeld in die Ferne tragen, überfliegt dort vielleicht auch jene andere Helga-Hahnemann-Straße, der es – rein optisch – besser geht als ihrer Schwester in 10117 Berlin. Und die Henne gackert zuweilen noch in Schöneiches Gemeindehaus, das ebenfalls ihren Namen trägt. Der Autor hofft ganz im Sinne der Henne, dass seine Leser einen Hauch der „Freundlichkeit mit auf den Weg nehmen“, den die Henne sich immer für ihr Publikum am Ende des Abends gewünscht hat. Denn, was auch immer geschieht, die „Leute sollen mal richtig ablachen. Sie brauchen das wie Kinder, die sich mit Eierpampe bewerfen.“


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