Notizen zu Aljoscha Rompe – Funktionärskind, DDR-Punk und Rammstein-Geburtshelfer

„Wir woll‘n immer artig sein, denn nur so hat man uns gerne“
Erstveröffentlichung am 18.09.2017
„Der Irre und die beiden Kinder“, so zischeln sie und drehen sich empört weg, wo die drei auftauchen. „Wir woll‘n immer artig sein, denn nur so hat man uns gerne“, brüllt Aljoscha, der Irre, den braven Leuten hinterdrein. Mit einem schrottreifen, zum Bandbus umfunktionierten Geldtransporter gehen sie on Tour und ziehen eine musikalische Schneise der Ekstase durch das wüste und lethargisch seinem Untergang mit Brigadeausflug und Spreewaldfahrt, mit Jugendtanz und Fahnenapell, mit Militärparaden und Laubenpieperfest entgegenfeiernde Land: die DDR.
Aljoscha Rompe am Mikrofon
Foto: ullsteinbild / Herbert Schulze
Die Proletarier, die das Land beherrschen sollen, sind müde – und manchmal auch einfach nur betrunken. Anno 1983 singen Aljoscha, Paul und Flake ihre Melodie dazu. Die einen nennen es, wenn sie ihnen wohlgesinnt und gutmütig sind, ein Grölen. Für andere, die einen ernsthaften Rausch bevorzugen und Abstinenz sich sehnen von der heilen Welt der Republik, ist es der Klang ihres eigenen Lebens, ihre Hymne: „Mix mir einen Drink, der mich woanders hinbringt“. Musikalische Müllmänner, bilden sie den akustischen Rahmen der Endzeitstimmung, lehren Schichtarbeitern und Konsum-Verkäuferinnen den Pogo, Parteisekretären und Bestarbeitern das Gruseln – und heben an zu einer unaufhörlichen Party bis ans Ende der Zeit. Sie sind das: Feeling B.

Dabei hatte alles ganz vernünftig begonnen:

Aljoscha, als er gerade auf die Welt gekommen ist, heißt eigentlich Arthur Alexander und ist ein Enkel des bedeutenden deutschen Strafrechtlers und Rechtsphilosophen Arthur Baumgarten. Und Aljoscha ist der Sohn eines Schauspielers aus der Schweiz, „der gesoffen hat“ und von dem Aljoschas Mutter bald türmt. Aljoschas Mutter selbst arbeitet als Dolmetscherin, nachdem sie sich als Eiskunstläuferin probiert und in seiner Band gesungen und „alle damaligen Rauschgift-Möglichkeiten“ ausprobiert hat. Kurz vor Aljoschas Geburt emigriert die Mutter mit ihrem Vater, dem Arthur Baumgarten, aus der Schweiz nach Ost-Berlin. Es ist das Jahr 1946. Die beiden gehen den Weg aus Überzeugung. Denn Arthur Baumgarten ist Kommunist, Mitbegründer der kommunistischen „Partei der Arbeit“ in der Schweiz. Seine Tochter folgt ihm darin – und Wilhelm Pieck empfängt die beiden persönlich in Ost-Berlin. In der jungen DDR wird Baumgarten hofiert und dekoriert, wird Präsident der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften, erhält den Nationalpreis der DDR, den Vaterländischen Verdienstorden und trägt den Titel Hervorragender Wissenschaftler des Volkes. In Ost-Berlin heiratet Aljoschas Mutter den damaligen Physikprofessor und Direktor des physikalischen Instituts an der Humboldt-Universität, Robert Rompe. Dieser wird stellvertretender Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rates der DDR und ist seit 1958 Mitglied im Zentralkomitee der SED. Robert Rompe, Elite der deutschen Physiker und bereits seit 1928 Mitglied der Kommunistischen Partei, adoptiert den 1947 in Ost-Berlin geborenen Arthur Alexander, und von Rompes aus Russland stammender Mutter erhält der Junge den Kosenamen Aljoscha, mit dem ihn seine Freude von nun an rufen. Privilegiert als SED-Funktionärskind wächst Aljoscha in Berlin-Johannisthal und später in Wendenschloss in Berlin-Köpenick auf. Zu seinen Spielkameraden, so wird erzählt, soll der kleine Gregor Gysi zählen. Im Hause Rompe lebt Aljoscha mit den Eltern und seinen vier Halbgeschwistern in Obhut von „Hausangestellten, Fahrer und allem, was dazu gehört“. Die Erweiterte Oberschule Alexander von Humboldt, vis à vis der Köpenicker Schlossinsel, besucht er und legt dort 1966 das Abitur ab. Anschließend absolviert Aljoscha eine Ausbildung zum Elektromechaniker, studiert an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin Physik und schließt das Studium mit einem Diplom ab. Aljoscha leistet seinen „Ehrendienst“ in den Reihen der Nationalen Volksarmee. Drei Jahre dient er als Kraftfahrer und zieht, nach seiner Entlassung, in den Prenzlauer Berg. Dort besetzt er stande pede eine Wohnung in der Metzer Straße 14. Er arbeitet als Problemanalytiker an der Bauakademie der DDR, kündigt seinen kollektiven Kampfplatz für den Frieden, seinen Arbeitsplatz – und beginnt sich im Land so richtig umzuschauen. Um der Arbeitspflicht, die in der DDR gesetzlich vorgeschrieben ist, nachzukommen, verdingt er sich bei seinem Stiefvater, Robert Rompe, an der Akademie der Wissenschaften der DDR als Privatsekretär, zeichnet auf Honorarbasis für einen Professor der Humboldt-Universität Vogelstimmen auf und jobbt als Kellner und Tellerwäscher. Aljoscha weiß um die tausendfachen Klafter, die zwischen dem hehren Anspruch der Welt seiner Eltern und dem wahren Leben im Land liegen. Und das es so ist und wie es so ist, kotzt ihn an. Und er kotzt es wieder aus: „Was wollt ihr denn nur? – Wir haben doch alles: Arbeit, Ruhe und Intershop!“ Im „Bonzen-Angst-Kalender“ macht er sich Luft über die Seinen. Gemeinsam mit Gleichgesinnten bringen sie den illegalen Druck unter die Leute. „Die Druckerschwärze klauten wir beim Neuen Deutschland, gedruckt wurden 500 Exemplare mit einer Wäschemangel. Wir hatten in unserem Stadtteil alle Malblöcke als Papierspender aufgekauft“, erinnert sich einer, der dabei war. Die Stasi kommt den Urhebern auf die Schliche – und mit ihnen geht auch Aljoscha in den Knast. Das ist Ende der 1970er Jahre. Aljoscha verfällt nun auf Familiengeschichte, entdeckt seinen leiblichen Vater – und diesen als einen persönlichen Schlüssel für ein Tor in der Mauer, die in Berlin die Welt in Ost und West teilt. Als Sohn eines Schweizer Staatsangehörigen erhält Aljoscha acht Jahre vor dem Mauerfall einen Schweizer Pass. Der öffnet ihm den Weg in den Westen. Doch das ist für Familie Rompe gar nichts Besonderes: Hinter vorgehaltener Hand erzählen sich die Leute, Aljoschas Mutter sei regelmäßig in West-Berlin – „trinken und auf Drogenparties“… Stimmt es? In diesem Punkt wird Aljoscha sich als folgsamer Sohn erweisen. Er geht nach Westberlin, arbeitet für den Otto-Versand, bis er das Lieferauto schrottet. Denn er ist nicht nur ein notorisch schlechter Fahrer. Er ist auch durchweg betrunken. Aljoscha reist durch die kleine und die große Welt – und kehrt doch in die DDR zurück. Dort erzählt Aljoscha „grauenhafte Geschichten über den Westen und die Leute dort. In den Dörfern dort messen sie ihren Rasen zentimetergenau ab, die Feldwege sind geteert und in den Autowerkstätten haben die Monteure Kittel an. Wir haben uns weggeschmissen vor Lachen.“ Aljoscha ist 35 Jahre alt, als er 1983 eine Band unter dem Namen Feeling Berlin gründet. (Der Name ist Credo. Die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, des ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschen Boden – ist ein Bild der Bonzen. Für Aljoscha ist die Stadt der Punk. Berlin ist kein Gefühl, Berlin das ist ein Feeling.) Da es bereits eine Combo mit diesem Namen gibt, nennen sie sich kurz: Feeling B. Sie, das sind meist Aljoscha Rompe am Mikrofon, Paul Landers mit der Gitarre und „Flake“ Lorenz am Keyboard – die beiden Letzteren anno dazumal gerade 18 und 16 Jahre alt. - - „Flüstern und Schreien“ heißt ein Dokumentarfilm über die Rockszene der DDR, der 1988 in die Kinos des Landes kommt – und für erstauntes Aufsehen sorgt. „Wir woll‘n immer artig sein“, schreit Aljoscha darin verdutzten FDGB-Urlaubern am Ostseestrand entgegen. Und auch sonst zeigt der Film die Dinge, die es eigentlich nicht geben sollte im Alltag des realen Sozialismus der DDR. Völlig betrunken grölt Aljoscha ein übers andere Mal ins Mikrofon: „Auf diesem Stern ist es wunderbar/Denn alles auf ihm das dreht sich ja…Alles ist so un-un-unheimlich dufte“ – und dazu hüpfen zwischen den Strandkörben Kids herum, allein für deren Aussehen damals durchaus Innenstadtverbote und Schulverweise ausgesprochen wurden. Es ist der Soundtrack zum Untergang der DDR! Alle wissen es. Und Feeling B geben den Takt dazu. - -

Der Film lässt Aljoscha Legende werden – und Feeling B zur delirierenden Stimme eines unverwechselbaren Lebensgefühls einer Generation am Ende einer Zeit.

Die war schon abgelaufen, als die Kameras der staatlichen Nachrichtensendung im Fernsehen der DDR einen kleinen Tumult vor dem Sitzungssaal der sich in Auflösung befindlichen DDR-Volkskammer einfangen: Als der Vorsitzender des Ost-Berliner Anwaltskollegiums und des Rates der Vorsitzenden der Kollegien der DDR, der jetzige SED/PDS-Abgeordnete rührige Gregor Gysi aus dem Sitzungssaal tritt, wird er von einer Menschenmenge bestürmt. Darunter zu sehen: die Bandmitglieder von Feeling B und ihr Sänger Aljoscha Rompe: „Gregor, die Grenze muss sofort wieder dicht gemacht werden, sonst ist es zu Ende mit der DDR!“ Gysi zuckt nur kurz mit der Schulter und lächelt zaghaft – als wäre es ein schlechter Witz. - - Als die kapitalistische Verwertung den Osten erreicht, besetzt Rompe ein Mietshaus in der Schönhauser Allee. Die „Autonome Aktion Wydocks“ wird gegründet, ABM-Stellen beantragt, Fördermittel akquiriert. Die Musiker Christian „Flake“ Lorenz und Paul Landers gründen unterdessen die Band „Rammstein“ – ohne Anarchie und ohne Aljoscha. Und sie werden Millionäre. - - Als eine Maklerfirma 1998 das Haus „Schönhauser 5“ aufkauft und in repräsentative Eigentumswohnungen umwandelt, stellt Aljoscha den Kampf noch nicht ein, aber er tritt den Rückzug an. Er kauft er sich einen alten Campingbus, stellt den ein paar Straßen weiter auf einen Hinterhof. Es wird leiser um ihn.
„Ich such' die DDR und keiner weiß, wo sie ist/ Es ist so schade, daß sie mich so schnell vergisst/ Ich such' die DDR und kommt sie zurück zu mir/ (verzeih' ich ihr)“.
Auf dem Hinterhof im Sanierungsgebiet wird Aljoscha von einem Bauarbeiter am 23. November 2000 tot aufgefunden. Es ist alles so schade.
 

Monique Kalkhof ist die Facebookbotschafterin des Bezirks Köpenicks Köpenick – we love it

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