Sei ruhig oder ich hol die Lehrerin!

Tag 3 der 74. Berlinale 2024
Wie gehen Kinder miteinander um, wenn kein Erwachsener zuschaut? Im Dokumentarfilm „Favoriten“ gibt es Antworten.

Der Berlinalebericht Nr. 3 von Nico Schmolke
Björn KI Hofmann

So prahlt in einer Wiener Grundschule ein Zweitklässler gegenüber seiner Mitschülerin, dass sein Stift schneller schreibe als ihrer. Sie ist bald genervt und fordert ihn auf zu schweigen. Weil er nicht hört, setzt sie ein Ultimatum und zählt bis 3. Schließlich ruft sie die Lehrerin.

Für die Doku ist ein Filmteam etwa drei Jahre in eine Schulklasse eingetaucht. Die herzzerreißenden Dialoge sind logischerweise nur zu sehen, weil eben doch eine Kamera dabei war. Aber Kameramann, Regisseurin und Tonassistent haben sich mit der Zeit wohl so gut eingefügt, dass dieser außergewöhnliche Einblick in das Innere einer Klasse möglich wurde.

Verleiher und Kinos: Bringt diese Doku auf die Leinwand, damit alle das sehen können!

Die Kinder interviewen sich mit Handys auch gegenseitig, versuchen sich den Begriff „Kultur“ zu erklären oder diskutieren über die Rolle der Frau. Das sind Bilder und Dialoge aus dem Innersten unserer Gesellschaft, so direkt und offen, mal zum Lachen, aber auch zum Kopfschütteln, wie ich sie noch nie gesehen habe.

So schön es ist, die Kinder zu beobachten, so bedrückend ist der ganze Kontext. Denn kaum eines der Kinder spricht zu Hause Deutsch und man bekommt die Ahnung, dass ohne die mega engagierte Lehrerin, die wie einige Kinder selbst Türkisch spricht, die Klasse wohl hoffnungslos verloren wäre. Als die Klassenlehrerin dann schwanger wird und das ihren Schüler/innen erzählt, fließen nicht nur auf der Leinwand viele Tränen. Wie viele Kinder in Österreich und Deutschland verpassen wohl komplett den Anschluss, weil ihnen eine Lehrerin wie diese hier fehlt?

Und dann tut es weh, dass die Kinder zum Ende des Films nach der vierten Klasse die Schule bereits verlassen und auf verschiedene Schulformen aufgeteilt werden, ähnlich wie hier in Deutschland. So gebrechlich die Struktur der Klasse, das Selbstbewusstsein einzelner Kinder, dass man gar nicht an ihren weiteren Schulweg denken möchte.

Für alle, die Bildungspolitik machen oder denen einfach nur die Zukunft am Herzen liegt, ist dieser Film ein absolutes Muss. Von daher eine Kolumne ohne viel Witz und Ironie, sondern mit der Forderung an Verleiher und Kinos: Bringt diese Doku auf die Leinwand, damit alle das sehen können!


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