Doku statt Barbie

Wie Dokumentarfilme auf der Berlinale uns begeistern, elektrisieren und sogar ein bisschen Hoffnung geben können
Was waren die Filme, die Sie in den letzten Monaten ins Kino getrieben haben? „Barbie“ vielleicht, „Oppenheimer“, oder zuletzt „Anatomie eines Falls“? Eine Doku war wohl eher nicht dabei.

Dokumentarfilme auf der Berlinale 2024
Björn KI Hofmann

Woran liegt das? Einerseits könnte man meinen, dass wir nunmal aus dieser Welt katapultiert werden wollen. Dramatische Stoffe, entfernt von unserem Alltag, gerne opulent oder mit Humor, jedenfalls nicht langweilig. Dokumentarfilme stehen eher für das Gegenteil: langatmig und zu nah an der eh schon traurigen Realität. 

Die großen Kinohits greifen zwar auch die Themen der Zeit auf - in „Anatomie eines Falls“ zum Beispiel das Thema Beziehungen und all die Emotionen, Aushandlungen und Gewalt darin; oder in „Barbie“ ganz direkt die Bedeutung der Geschlechter. Aber sie haben ja viel mehr Freiheiten, Fallhöhen zu produzieren, Sachen auf den Punkt zu bringen, Popkultur zu produzieren. Und Dinge, die wahrhaftig, aber in der Realität kaum zu greifen sind, sichtbar zu machen.

Andererseits würde ich fragen, welche Dokus in letzter Zeit groß im Kino beworben und gezeigt wurden? Hat das Publikum überhaupt die Möglichkeit, sich von den Vorzügen dieses Genres zu überzeugen und so manches Klischee zu überwinden?

Auf der Berlinale jedenfalls gibt es einen Eindruck davon, was eigentlich möglich wäre. Wie Hunderte Menschen vollkommen begeistert, elektrisiert, lachend und weinend die Kinosäle verlassen. Und wie auch der Dokumentarfilm Themen verdichten und spannend erzählen kann. 

Von „Favoriten“ und dem außergewöhnlichen Einblick in eine diverse Wiener Grundschulklasse habe ich bereits geschwärmt. Auch der Ukraine-Krieg ist mit einer bewegenden Doku repräsentiert: „Intercepted“. 

Darin setzt die Regisseurin unzählige Telefonate russischer Soldaten mit deren Familien zusammen, die vom ukrainischen Geheimdienst mitgeschnitten werden konnten. Untermalt werden die Gespräche von Bildern zerstörter ukrainischer Dörfer und Städte. 

So entfaltet sich ein komplexes Bild von den Lebens- und Kriegsbedingungen der Soldaten. Von der menschenverachtenden Propaganda, denen Frauen und Mütter zu Hause ausgesetzt sind, vielmehr als die Soldaten selbst. Und man versteht, wie imperialistisch und faschistisch nicht nur das russische Regime, sondern auch weite Teile der Gesellschaft inzwischen geworden sind. Gewaltige Bilder, berührende Dialoge - echtes Kino.

Kein Spielfilm, nichts Ausgedachtes, sondern gefilmte Wahrheit. Dokumentarfilme, die ins Kino gehören.

Oder nehmen wir den zweiten kriegerischen Konflikt an den Rändern Europas, der uns gerade den Atem raubt. In „No Other Land“ dokumentiert ein palästinensischer Aktivist die Zerstörung der zehn Dörfer Masafer Yattas durch israelische Soldaten und Siedler. Gemeinsam mit einem befreundeten israelischen Journalist deckt Basel Adra erstens die erbarmungslose Besatzungs- und Siedlungspolitik Israels auf. Und zeichnet zweitens den Überlebenswillen von Familien nach, die durch Schüsse gelähmte Verwandte versorgen oder sich nach dem Abriss ihrer Häuser in Höhlen einrichten.

Wenn man sich nun das barbarische Massaker durch die Hamas dazu denkt, raubt einem das natürlich jeden Optimismus für eine Lösung des Konflikts. Doch von Optimismus spricht bei dieser Weltlage eh niemand mehr. 

Es geht stattdessen um Hoffnung. Um das kleine bisschen Hoffnung, dass bei all dem Hass und der Gewalt ein Israeli und ein Palästinenser gemeinsam diesen Film machen, ihn zur Berlinale und damit ins Kino bringen. Und diese Hoffnung ist echt - kein Spielfilm, nichts Ausgedachtes, sondern gefilmte Wahrheit. Dokumentarfilme, die ins Kino gehören.


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