Union International

Irgendwann, irgendwann einmal spielt Union auch wieder ganz normal
Als im Frühjahr 2020 der Profifußball zusammen mit dem kompletten gesellschaftlichen und sozialen Leben zum Erliegen kam, entstand ein Lied über das Warten auf Union und darüber, wie es sein wird, wenn es vorbei ist. Das ist normal bei uns. Erstmal ein Lied, dann mal sehen. Und zu sehen gibt es derzeit einiges: Während draußen erbittert gestritten wird, legt diese wunderschöne Union-Mannschaft drinnen einen Tanz aufs Parkett, dass Rúrik Gíslason ganz schwindelig wird.

Der 1. FC Union Berlin beim Europaspiel
Foto: Stefanie Fiebrig

Ich habe seitdem reichlich gewartet. Auf Hygienekonzepte, auf den Neustart der Liga, auf Testmöglichkeiten, auf die Zulassung von Zuschauern, mehr Zuschauern und noch mehr Zuschauern, auf Impftermine, auf Union sowieso und am heftigsten auf die Rückkehr der Ultras auf die Waldseite. Ich bin noch nicht ganz fertig mit Warten, da wäre noch ein Kind zu impfen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Über das viele Warten haben wir uns etwas aus den Augen verloren, Union und ich. Das meint gar nicht so sehr den Fußball. Ich habe die Spiele im Fernsehen gesehen oder im Radio gehört oder im Live-Ticker gelesen. Mich hat immer interessiert, wie gespielt wird. Aber daneben habe ich andere Sachen gemacht. Im Garten kramen, Rad fahren, Schwimmbadpommes essen, durch den Wald stiefeln. Einfach irgendwas Handfestes, das „auf Betontreppenstufen rumspringen“ in seiner Körperlichkeit ersetzt. Einen Fernseher anbrüllen wird dem nicht gerecht.

 

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Keine feste Verabredung mit dem Stadion zu haben, heißt auch, dass Fußball gewissermaßen platonisch wird. Die Liebe in Gedanken. Ich konnte mal ohne nachzusehen alle Spieler samt Rückennummer und Position auswendig, und ich musste selbstverständlich nie nachschlagen, wie Steven Skrzybski korrekt buchstabiert wird. Heute bin ich mir nicht sicher, ob ich Timo Baumgartl überhaupt erkennen würde, wenn ich ihn bei IKEA träfe. Und ich muss nachschauen, ob da nicht doch irgendwo ein e im Nachnamen … ach nee, doch nicht.

Ich war in der Zwischenzeit im Stadion, wann immer es eben ging. Mit weniger Menschen als gewohnt. Mit sehr viel weniger Singen. Ganz ohne Trommel. Ich bin dankbar, dass das überhaupt möglich war. Es war, als würde ein Ladestatus überprüft. Bei wie viel Prozent sind wir? Fühlt es sich schon normal an? Nein, immer noch nicht. Ist das richtig, was wir da machen? Ehrlich – keine Ahnung.

Und dann kam der Tag, an dem feststand: Der 1. FC Union Berlin schickt sich an, in drei Wettbewerben zu spielen. Einer davon ist international. Es gibt Fußballfans, in deren Fan-Dasein das überhaupt noch nie passiert ist. Zu denen gehöre ich. Zwei weitere wohnen da, wo ich auch wohne. Während es noch immer ein Kunststück ist, für die Punktspiele in der Liga Karten zu bekommen, waren die Tickets für die internationalen Spiele – auswärts im Olympiastadion und auswärts in anderen Ländern – vergleichsweise mühelos zu kaufen. „Erste Runde Helsinki, zweite Runde Prag, und auch nach Rotterdam fahr’n wir am Donnerstag …“ Hatte ich gesagt, dass bei uns sehr schnell Lieder entstehen, wenn es die Umstände erfordern? Internationale Spiele sind so ein Umstand.

Der 1. FC Union Berlin beim Europaspiel
Foto: Stefanie Fiebrig

Und in sehr kleinen Schritten kam dazu, dass ein Land nach dem anderen das Reisen wieder erlaubte. Wie anders das Stadion in Helsinki klang und aussah nach dieser langen, monumentalen Stille! Es war das erste Mal, dass wieder ein Spiel von organisiertem Support begleitet wurde, und mir fiel sofort wieder ein, warum ich so sehr am Fußball hänge. Wie sehr ich das vermisst hatte. Wie traurig ich war, nicht in Helsinki zu sein.

Wir sind eine Woche darauf ins rote Olympiastadion gefahren, um dort nicht gegen Hertha zu spielen. Schon wieder eine Ausnahmesituation. Internationales Heimspiel, aber eben nicht zu Hause. Endlich der Mannschaft, den neuen Spielern im Team persönlich sagen können, wie sehr wir sie feiern für das, was sie erreicht haben. Auch das gehört in den Kanon der Dinge, die am Fernseher nicht gehen. Wer jemals eine Viertelstunde nach Abpfiff immer noch „Uns’re Liebe, uns’re Mannschaft, unser Stolz, unser Verein …“ gesungen hat, weiß, warum das wichtig ist. So nahe an wirklichem Fußball waren wir ewig nicht. So nahe an unserer Mannschaft auch nicht.

Drei Wochen später mit Sonderurlaub in den Zug nach Prag, Menschen schleppen Bierkästen rein und hängen Schals ins Fenster, um das Flair zu verbessern, und mir fällt auf, dass das meine erste Auswärtsfahrt seit Oktober 2019 ist. Wir sind euphorisch losgefahren und einigermaßen angetütert heimgekehrt. Dazwischen war Fußball. Das war schön, obwohl wir verloren haben. Inzwischen haben wir auch gegen Haifa gespielt und Rotterdam verachten gelernt. Jedes Spiel – auch und gerade die, die nicht glücklich verliefen – haben viel dazu beigetragen, dass es wieder Gemeinschaft gibt. Auch wütende Gemeinschaften sind eine gute Sache im Fußball. Nichts spricht mehr mit einer einzigen Stimme als Menschen, die zu Recht auf etwas oder jemanden sauer sind.

Stück für Stück haben uns diese gemeinsam erlebten Ausnahmezustände wieder zusammengefügt. Auch wenn immer noch viele fehlen, auch wenn immer noch Pandemie ist: Als beim letzten Heimspiel gegen die Bayern die Trommel wieder auf dem Podest stand, war mein einziger Gedanke: Das, meine Damen und Herren, das ist Fußball. Gott sei Dank haben wir uns wieder.

Dieser Beitrag erscheint auch in der Maulbeerblatt-Sonderausgabe #114 am 29.11.2021.
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