Mein Lieblingsgenre ist dabei das Schlafen. Geschlafen wird auf der Berlinale viel, meist unauffällig, auch ich nicke einmal am Tag für wenige Sekunden weg.
Manche Schläfer haben jedoch ein besonders gutes Timing: Der Film mit dem passenden Titel „Dormir de olhos abertos (Sleep with Your Open Eyes)“ über chinesische Arbeiter/innen in Brasilien ist schön, aber auch langatmig. Als die Hauptfigur nachts auf dem Bett liegt und der Film ganz still wird, dehnt sich ein lauter Schnarcher durch den Saal. Hätte man besser nicht inszenieren können, das ganze Publikum ist köstlich amüsiert.
Andere warten auf ihren Einsatz, bis der Film vorbei ist. Dann richten sich die Scheinwerfer auf alle im Raum, zur Fragerunde, dem sogenannten Q&A (Question & Ask) mit dem Filmteam.
Der Anblick aus dem Publikum nun: eine herunter hängende Hose und ein großes Bauarbeiter-Dekolleté. Da hat jemand ‚Vorhang auf‘ etwas zu wörtlich genommen.
Nach dem beeindruckenden, nur aus Fotos bestehenden Dokumentarfilm „Ještě nejsem, kým chci být (I’m Not Everything I Want to Be)“ über die queere Fotografin Libuše Jarcovjáková (vielleicht mein bester Film auf der Berlinale bislang) kommt der große Auftritt für einen Mann in der ersten Reihe. Erst untermalen seine Schnarcher die Ausführungen der Regisseurin. Dann setzt er zum Co-Referat an, als er im Schlaf auch noch zu sprechen beginnt. Eine Frau zwei Plätze weiter holt ihn alsbald zurück ins Leben.
Die Q&A’s sind generell die Königsdisziplin in der Unterhaltung durch das Publikum. Wer es selbst nicht auf die Leinwand oder einen Regiestuhl geschafft hat, kommt mit einer Meldung am Saalmikro groß raus. Mein bisheriges Highlight ist eine Frau, die alle in Ost-Berlin abgerissenen Gebäude aufzählt, die ihr so einfallen, um das irgendwie in Bezug zu setzen mit der eben gesehenen Doku über Obdachlose und psychische Kranke in Guadeloupe („L’homme-vertige: Tales of a City“).
Auch ohne Mikro kann man sich ins Rampenlicht stellen. Nach dem Polit-Porno „The Visitor“ im altehrwürdigen Kino International geht ein Besucher in die erste Reihe, um Fotos vom Filmteam zu machen. Der Anblick aus dem Publikum nun: eine herunter hängende Hose und ein großes Bauarbeiter-Dekolleté. Da hat jemand ‚Vorhang auf‘ etwas zu wörtlich genommen.
Zur Nebenrolle degradiert sind inzwischen die Huster. Waren vor Corona hustende Sitznachbarn im nass-kalten Februar omnipräsent, werden Filmvorführungen neuerdings nur noch selten von Hustenanfällen aus dem Publikum begleitet. Erkältete Menschen gehen dank der Pandemie endlich nicht mehr ins Kino.
Passiert es doch, ist nervöses Rücken auf den Nebenplätzen zu beobachten. Und so ein lautes Husten hilft ja auch, um mal wieder wach zu werden.