Krieg und Sperma

Tag 9 der 73. Berlinale 2023
Ob er nicht schnell zur Samenbank soll, sein Sperma sichern, bevor er zurück an die Front fährt. Das fragt sich ein ukrainischer Soldat, auf Heimatbesuch bei seiner Familie.
Filmcrew mit der Flagge der Ukraine auf dem Podium
Foto: Nico Schmolke

Ein anderer googelt, findet eine Online-Samenbank. Wie ist das gemeint, Online-Samenbank? Kommt dann auf Bestellung eine Krankenschwester vorbei und, naja, kümmert sich dann halt?

Das ist der Humor in „Shidniy front“, eine Doku, die unter die Haut geht und am Jahrestag der russischen Invasion ihre Weltpremiere, ja, kann man das so sagen, feiert?

Denn wenn der Filmemacher und seine Kameraden nicht auf heiterem Heimatbesuch sind, wird weniger gelacht. Dann retten sie als Sanitäter des Freiwilligenbataillons „Hospitaliter“ verletzte Soldaten auf dem Schlachtfeld. Helm- und Bodycam zeichnen auf, wie sie unter Beschuss geraten, Gliedmaßen herumliegen und Verletzte im Rettungswagen sterben.

In den Pausen, wenn sie nicht den Tod bekämpfen, sondern auf ihren Einsatz warten oder verlassene russische Stellungen durchforsten, ist es wieder der Humor, der durch die schweren Zeiten trägt. Dann geht es um aggressive Katzen, um Waschmaschinen und Schokoriegel im Schützengraben, und den Gestank nach fünf Tagen ohne Dusche.

Man erhält Einblick in den bitterbösen Alltag eines Krieges. Ein Einblick, auf den man gerne verzichtet hätte, den man aber wagen muss, will man die Kosten unserer Freiheit nicht länger ignorieren. Dann Standing Ovations und Tränen, Traurigkeit legt sich über den Saal, ob der Fähigkeit des Menschen zum Bösen.

Um Hoffnung zu schöpfen, erinnere ich mich an einen anderen Film aus der Ukraine. Die Doku „We Will Not Fade Away“ zeigt das Ausharren, Verdrängen und Träumen von Teenagern im Donbass, wo der Krieg nicht vor einem Jahr, sondern schon 2014 begann.

Im Hintergrund das Wummern und Knallen des Stellungskrieges, im Vordergrund werden Motorräder repariert, Tänze einstudiert und Landschaften gezeichnet. Der Alltag der Jugendlichen wirkt verträumt und verzweifelt zugleich.

Dann steht eine Wander-Expedition ins Himalaya-Gebirge an, für die jungen Protagonisten aus dem Kriegsgebiet. Zwar wird Putin kurz darauf vollends eskalieren, einige der Jugendlichen aus dem Film unter russische Besatzung geraten. Doch in der Schönheit der Berglandschaft wird noch einmal das Leben gefeiert.

Es entfaltet sich der unerschütterliche Glauben der ukrainischen Jugendlichen, dass sie und ihr Land leben werden. Als drei von ihnen dann auf der Bühne stehen, geflohen aus der Ukraine, ihren Träumen nun in anderen Ländern folgend, will man jeden Einzelnen umarmen. Russland mag noch so viele Häuser zerstören und Menschen töten, der Glauben an die Freiheit ist unkaputtbar.


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