Lasst uns froh und nie mehr nüchtern sein

„Weihnachtliches Flair mit spektakulären Erlebnisangeboten“ Sie sind zahlreich. Sie kommen über Nacht. Sie breiten sich aus wie ein Magengeschwür. Sie zehren an der Würde ihrer Umgebung wie ein Aderlass am Wohlbefinden des von der Syphillis geplagten Fürsten und scheinen so unvermeidbar wie ein Hundefurz: die Berliner Weihnachtsmärkte. Natürlich gewachsen aus dem Wintermarkt, bei dem Händler schon seit dem 14. Jahrhundert Futter, Pelz und Schnickschnack für die kalte Jahreszeit feil boten, entwickelte sich diese zur Farce entstellte Tradition zum frostigen Dauerbesäufnis mit Karussell, Keks und Riesenrad. Besonders in den letzten Jahren, bei denen die gefühlte Novembertemperatur in Nordeuropa immer um die 25+ lag, Frühlingszwiebeln und Erdbeeren im Supermarkt um die Wette gammeln, der symbolträchtige Tannenbaum der Kokospalme wich, ist die Existenz dieser Institutionen von Massenproduktion und Klimawandel ad absurdum geführt worden. Doch wie das Säugetier ohne triftigen Grund danach strebt, die Art zu erhalten, continuieren die Stadtväter und ihre Büttel diese Tradition. Als Einnahmequelle fürn paar Extrasteuern vielleicht? In den Buden der Schausteller und fliegenden Händler klingelt der Taler dann auch im Sack und nicht in der Registrierkasse, die Sippe derer spart sich sowieso die Buchführung, Vater Staat würde die Penunse eh nur in den Banken dieser Welt verbrennen. Wäre noch die Möglichkeit, dass damit zum Jahresende die Arbeitslosenquote bereinigt wird... Muss alles aber auch immer tieferen Sinn haben? Warum auch immer, sie sind nun mal da und weil man als Weihnachtshasser mittlerweile Religionsangehöriger ist, rede ich mir den Quatsch schön und mache mich auf den Weg zum Markt der Märkte, der Weihnachtsmarkt am Alexa! Zwingend erforderlich ist: 1. reichlich Bargeld (notfalls Kreditkarte zum Nachlösen), 2. ein Fass voll Guter Laune, 3. gut gelaunte Freunde mit reichlich Durst und dicke Sachen; nicht auf den Weihnachtsmarkt gehören: Hirn, Hemmung, Overall*. Dem Herren sei Dank wird es im Winter trotz der Globalisierung schon zeitig dunkel und das Adventserlebnis kann um 16 Uhr starten. Umsteigen am Ostkreuz, da braucht man nicht so viel Bier von zu Haus mitschleppen, es gibt Nachschub am Bahnhofskiosk. Die Mitreisenden wissen auch schon Bescheid, Kevin, Gordon und Chaleen haben die blinkenden, roten Zipfelmützen auf dem Kopp und flüstern geht auch anders. Lautstark geht die Fahrt weiter, Jannowitzbrücke ist die Vorfreude so groß, daß Kevin die Notbremse ziehen muß. Nachdem die Polizei unsere Personalien aufgenommen hat, verlieren die Fahrscheine ihre Gültigkeit, Feierabendler Klaus Fromm bekommt ob der Verspätung von seiner besseren Hälfte heute kalte Kartoffeln vorgesetzt. So ein Party-Muffel. Meine Freunde und ich gehen die letzten Meter eben zu Fuß. Das Gedränge ist noch mäßig, der erste Glühweinstand zum greifen nahe. 5.80 mit Pfand, mit Schuss einen Euro mehr, lass krachen Chef, what a bargain. Am Schießstand ballert Gordon dem Büdner die Pudelmütze vom rasierten Schädel und kriegt für seinen Einsatz einen Satz warme Ohren. Zwei Becher weiter ziehen wir 4 jeder 5 Nieten und Chaleen bekommt beim Entchen angeln einen Luftballon mit Bambi- Aufdruck, den Roman (haben wir beim 8. Becher kennengelernt) mit Hilfe seiner Jin Ling Zigarette zum Zerbersten überredet. Eine Runde saftig-fettiger Reibekuchen, ein kühles Blondes zum Nachspülen und wir betreten das erste Fahrgeschäft. Das Ding dreht sich höllenschnell, mein Reibekuchen in Biersoße ebenfalls, die Leute stehen aber schon Schlange und damit ist die Runde schnell beendet und ich steige unbeschadet aus der Kotzmühle. Noch zwei Becher mit Schuss auf ex und dann Riesenrad. Ist ja harmlos, denke ich mit Hinblick auf meinen empfindlichen Magen. Ich schaue dem Wowi durchs Bürofenster und wäre selbst gern der Bürgermeister, da schallt es von unten: „Und nun wieder unsere berühmten Schnellrunden...“ Auf Zentrifugalkräfte mit bis zu 4G war ich jetzt echt nicht vorbereitet und am Zenit des Riesenrades angelangt drückt der Riesenradler auf den Schnellstop-Knopp, das Riesenrad und mein Magen bleibt stehen, nur sein Inhalt nicht. Da es in der weltbekannten Küstenstadt Berlin wenig Möwen gibt, landet Halbverdautes auf Köpfen und Körpern. Wieder auf dem Boden der Tatsachen angelangt, wartet schon der säuerlich dreinblickende und riechende Feiermob. Kevin, Gordon und Roman zeichnen sich als wahre Freunde aus und wir kämpfen uns - Vier gegen Tausend - zum Ausgang durch. Jeder trägt ein paar Blessuren davon, aber was solls, das gehört doch dazu. An was ich mich erinnern kann, war ein Riesenspaß. Und nun siehste wohl, oh, du Fröhliche, Weihnachten kann auch schön sein. Euer HC

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