Nichts ist die Hölle

Die Rummelsburger Landstraße
Neulich abends, so gegen Viertel vor 2 verspürte ich starken Drang nach Abwechselung vom besinnlichen, drögen Köpenick, entsicherte mein Fahrrad und auf ging es gen Norden, wo der Herr Kultur und Amsement in Hülle und Fülle versprach. Ich peitschte den Drahtigen auf heißen Reifen die Rummelsburger Landstraße hinauf, die Ampel am Blockdammweg zeigte rot und schenkte mir eine kurze Atempause. Mir fiel an dieser Stelle die mir oft selbst gestellte, nie weiterverfolgte Frage ein: Wer wohnt eigentlich in diesen herrlich anmutenden rot verklinkerten 3 Geschossern, die trotz Renovierung vor kurzer Zeit schon wieder wie vom Grauschleier der klingenbergschen Ausdünstungen befallen wirken?

kraftwerk

Vereinzelt mit Vorgärten versehen, in denen Graupflanzen ein tristes Dasein führen und deren Häufigkeit in Richtung Kraftwerk sich heftig mildert, stehen sie zur Bewunderung freigegeben und ich wundere mich, das ich in fast jeder Ecke von Berlin einige Bekannte habe, nicht so aber in der Köpenicker Chaussee in Rummelsburg.

Sehr oft führt mein Weg mich an dieser Häuserzeile vorbei, noch nie sah ich dort ein Lebewesen ein oder aus gehen, doch zeigt sich oft hinter Gardinen, Jalousien und anderen Verdunklungsanlagen ein Hauch von elektrischem Licht, wahrscheinlich ein Werbegag von Vattenfall.

Man erwartet, das sich eine der vielen Türen öffnet und heraus tritt eine Schar schwindsüchtiger Kinder, die rechtzeitig zur Maloche in einer unmenschlichen Fabrik zu erscheinen haben. Genau, ich meine das Bild, das veranlasste, das sich ein gutmütiger Graubart mit dem Namen Karl Marx (wohnte in Alt Stralau 25 von April bis Sept. 1837) Zeit seines Lebens damit beschäftigte, Bücher ohne Unterlass zu schreiben, die alle nur dem Zweck dienten, den Herren Kapitalisten das Leben zur Sau zu machen.

Weiter gehts und vorbei an der imposanten Silhouette des schon erwähnten Energiespender. Rote Wolken, die ihre Färbung dem Höllenfeuer des Herrn Beelzebul persönlich verdanken, werden aus gigantischen Schornsteinen in den Berliner Nachthimmel gepresst.

Für einen Augenblick stellen sich dem Passierenden die Nackenhaare auf, beeindruckend ist das Kraftwerk Klingenberg und Respekt einflössend, wer Zeit hat zu lauschen, der hört das Knistern eines Millionenheeres von Kilowatt, das sich in vielfacher Windeseile nicht nach heut und jetzt fragend den Weg brutal durch das Netz verrotteter Stromleitungen freikämpft.

Schaudernd führte mein Weg weiter hinauf, bog ich an der Karlshorster Straße mitten ins Getümmel am Viktoria-Kiez. Hier fließt wieder Blut in den Adern unserer Stadt. In der Pfarrstraße feierte ich schon zur Zeit der Mauer wilde Parties in verlassenen Altbauwohnungen, junge Menschen mit Sinn für alternative Lebensformen hatten sich hier zum Zwecke eines Lebens mit Spaß und ohne Privatfernsehkultur niedergelassen. Besetzen hieß das erst, als die Mauer endlich gefallen war und mit den Besetzern kam wahrscheinlich auch das Privatfernsehen in die Haushalte rund um Erlöserkirche und co.

Rummelsburg ist ein unterschätzter Kiez, ursprünglich in seiner Architektur und Berlinerisch von seinen Bewohnern, dass jetzt Yuppies wohnen, wo einst Freunde von mir wegen politischer Vergehen hinter Gardinen saßen, die zwar aus Schweden kamen, aber nicht wie heute aus dem Ikea- Möbelhaus, das nervt, aber das läßt sich ja ändern. Wattn Fall für sich ist.


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