Schwarz und Rot

Der eine sagt so, der andere so
Wenn Fahrgäste vom Schöneweider S-Bahnhof nach Rudow wollen, dann bleibt die Qual der Wahl oft an mir hängen. Links oder rechts, Johannisthal oder Baumschulenweg, Kiss oder ACDC, Maiden oder Priest, immer die selben Fragen, ein ganzes Leben.
Taxischild
Foto: Peter Kasprzyk
Den Fahrgast zu Rate zu ziehen fällt schon flach, weil die Antwort zu oft lautet: Sie sind doch der Taxifahrer! Ok, entscheide selbst. Fährst Du nach rechts, fragen die Leute: Warum? Fährst Du gleich links, sagen die Leute: Rechts ist aber kürzer! Murphy und sein dämliches Gesetz, wer zur Hölle ist eigentlich dieser beknackte Murphy und warum macht der mir täglich das Leben zur Hölle, der Arsch. Könnte doch auch mal anders herum entscheiden, der feine Herr Murphy, das Falsche into the right drehen, aber nee, lass mal, immer ins offene Messer.
Ick hab so ‘nen Hals.
Fakt ist: Beide Wege führen nach Rom, wenn auch auf Umwegen. Genau weiß ich nicht, ob es links oder rechts kürzer ist, man muss halt einmal um die Königsheide, um in die Johannisthaler Chaussee zu kommen. Ist mir auch egal, lass die Leute meckern. Und dann liegt sie vor mir, von Ost nach West im sonnigen Süden Berlins. An der Ecke zum Königsheideweg grüßt das Südtiroler Stübl, sieht schon mal ganz gut aus, muss neu sein und fällt mir gerade heute das erste Mal auf. Ok, fahren wir mal links in die Johannisthaler Chaussee, die hier trotz relativ starken Verkehrs noch an einen asphaltierten Gartenweg erinnert, Klasse Eigenheime an einer Hauptverkehrsader, oh ihr Glückspilze. Wenigstens sieht es nach gewachsener Struktur aus und ohne Verkehr läuft nun mal nichts, in keiner Beziehung. Immer weiter führt der Weg nach Westen rein, die Knie werden weich, die Augen feucht, gelobtes Land, wir kommen … Vorbei am legendären Ligusterweg, unter dessen Nummer 44 schwindende Konjunktur herrscht, die ganze Nacht. Einst chauffierte ich eine erregte Gesellschaft feiner Herren in dieses vornehme Etablissement, von anderen Gästen der „le Bar“ hörte ich, dass man erst ein paar Damen herbei telefonieren musste, um die gewünschte Entspannung zu erfahren. Personalleasing als doppelte Prostitution. Zurück zur Johannisthaler. Die Häuser werden immer attraktiver. Hier, im Niemandsland zwischen altem und neuem Westen, gibt es keine Bauvorschrift, alles ist erlaubt und so trägt die dorische Säule die spanische Hazienda und steht Palme neben Eiche, neben Schwedenkiefer, traumhaft. So ähnlich, wie das aussieht, schmeckt bestimmt Cross Kitchen, der Döner in der Chinapfanne. Wir passieren nun die Anschlussstelle der A103 und sind im Westen.
Alles sieht aus wie im Osten, postsozialistische Gleichmacherei.
Linker Hand das Blumenviertel, Beifußweg Salbeistraße, Kressekehre und Petersilienpfad, watt hier nicht alles unter dem Namen Blume verkauft wird, da fällt mir doch glatt wieder Zonengabis erste Banane ein. Von oben sieht das Viertel wahrscheinlich aus wie Jahwes Kräutergarten, von unten lädt nichts zum Verweilen ein. Also, weg hier und weiter im Text. Passiere die Rudower Straße. Zur Rechten befindet sich das Krankenhaus Neukölln. Hier kommen täglich mehr Muslime zur Welt als in anderen Krankenhäusern Berlins. Wahrscheinlich. Rubrik: Gefährliches Halbwissen der AfD. Und weiter nach Gropiusstadt. Klasse Architektur, an der Ecke Fritz-Erler-Allee bietet eine Imbissbude griechische Spezialitäten feil. Hier gäbe es den leckersten Gyros Pita in der ganzen Stadt, erklärte mir unlängst mein Freund Andreas, der Erklärbär. Er muss es wissen, de rheinische Jong mit den griechischen Wurzeln.
Er ernährt sich anscheinend ausschließlich von Gyros Pita.
Linkerhand, die Gropius-Passagen, klingt toll, das Wort: Passage, Schiffspassage … auch Landenge oder hier: Durchgang, das könnte es treffen, zugiges, scheiß langweiliges Shoppingcenter. Und immer weiter, weiter nach Westen, nichts Neues, es kommt mehr Langeweile auf. Noch 500 Meter, da ist Alt Buckow. Geschafft. Nachdem ich die Fuhre los bin und keiner mehr zuhört, gestehe ich an dieser Stelle dem geneigten Leser: Ich habe Vorurteile. Und derer viele. Deswegen verlasse ich Buckow, Rudow und die Gropiusstadt und so weiter gern auch wieder auf dem selben Weg, den ich gekommen bin, mit der selben Fragestellung, ob nun links oder rechts herum um die Königsheide. Ein neuer Funkauftrag zerstreut meine Grübelei und zerstört meine neuesten Pläne. Wurzelstübchen, Johannisthaler Chaussee 261. Ein Herr steht wartend und winkend, nüchtern sieht anders aus. Er lallt mir entgegen, Imbuschweg, das ist so weit wie von vor dem Auto bis hinters Auto, so weit wie eine ausgewachsene Katze lang ist ohne Schwanz. Der feine Herr bevorzugt die Zahlung per EC-Karte und zückt die Sonderedition der Berliner Volksbank mit dem Logo des Traditionsvereins Hertha BSC.
Tut mir leid, ist doch die falsche Karte, versuche ich zu ulken.
Na, dann … schüttelt der Herr ungläubig das stolze Haupt und gibt mir die 4,90€ in bar und passend.

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