Zu Besuch im Sauerstoffzelt

Iron Maiden in der O2 World
Irgendwann im Leben eines Mannes überkommt einen das Bedürfnis nach Öffnung. Das Innerste nach außen kehren, sich der Welt mitteilen, „Ja, das bin auch ich!“ zu sagen. Hier ist mein Coming out. Ich - Holger Claaßen, 42 Jahre alt, männlich, hetero - steh auf Iron Maiden. Und das schon seit 30 Jahren. Nun mehr. Pudelfrisur, Knöchelturnschuh und Spandexhose. Das Nietenarmband. Die Kutte mit den Patches. Gott sei Dank bewahrte mich die sozialistische Mangelwirtschaft vor diesen peinlichen Outfits. Sonst könnte ich heut nicht mehr so entspannt aus der Vergangenheit zitieren. Heimlich, in meinem Kinderzimmer, zu dem nur meine besten und verschworensten Freunde Zugang hatten, zierte ein Riesenposter von Monster Eddie die Wand.

Hier lauschten wir konspirativ den Klängen von Bruce, Adrian, Dave, Nicko und Steve – Papas HiFi-Anlage aus dem Intershop schön auf 11. Der Gesang von Dickensen, den man so nur mit knappem Schritt in engen Hosen hinbekommt, Gitarrensoli, die wir liebevoll als Katze quälen bezeichneten, all das war voll mein Ding und mein Hass galt allen Poppern von Depeche Mode und Alphaville. Meine ersten Aufnahmen der Band waren ein übler Mitschnitt von irgendeinem TV-Konzert. Schön mit dem Mikro vom Sternrecorder auf die gute BASF Chrome Maxima 90. Da variierten die Titellängen schon mal ein wenig, so das Gerät eben gerade wollte (leier,leier). Und erst das herrliche Rauschen und der PhasEffekt nach einem kräftigen Bandsalat. Die gute, die alte Zeit.

Das, was mir durch die Mauer und den Osten verwehrt blieb, war, ein Live-Konzert der Band zu besuchen (mein Vadder war nicht bereit, mit mir wegen derartigem Höllenlärm nach Ungarn zu fahren, aber zum Shanty Chor nach Heringsdorf – das Recht des Stärkeren). Mittlerweile sind die Jahre ins Land gezogen, Iron Maiden gibt es immer noch, nur meine Leidenschaft war ein wenig abgekühlt.

An einem Winterabend des vorletzten Jahres, ich googelte mich ein wenig durch die Langeweile, stieß ich auf ein Lebenszeichen meiner alten Heroen. Maiden spielt in Berlin, in der O2 Welt. Doch ehe ich mich zu einer Kartenkaufentscheidung durchringen kann, sind die schon vergriffen. Okay, ich fahre mit dem Taxi zur Arena, hoffe auf ein paar Gleichgesinnte, die ich mit der Taxe für´n Muffig nach Brandenburg fahren kann. Fehlanzeige, einzige Partie ist ein Steppe von 12 Jahren mit seiner Nancy. Die fahre ich ins Ritz. Um ein wenig Kleingeld und Erfahrung reicher, fasse ich einen Entschluss: Nächstes mal bin ich dabei.

Jetzt ist nächstes Mal und mein Sohn hatte sich vom Papa gewünscht, mich zu begleiten. Er hat einen guten Geschmack, ist ein schlaues Kerlchen von 11 Jahren und Heavy Metal ist ja bekanntlich Musik für Schlaue (so jedenfalls steht´s im Lexikon). Mit zwei Karten und reichlich Cash in der Tasche machen wir uns auf den Weg zum Sauerstoffzelt an der Mauer. Nein, das Ticket gilt nicht als Fahrkarte, also doch das Auto. Parken für 7€ oder Premium für 15€. Da massieren se die Karre wohl noch? Auf dem Vorplatz keine Bauernburschen mit Kutte und Spandexhosen. Jede Menge Bierbäuche in aktuellen Tourshirts. Maiden England. Der Junge trägt ein Vintage Maiden Shirt und ich meins von Spinal Tap. Spaß muß sein, sprach Wallenstein...

Mit der Rolltreppe geht es ab in den dritten Oberrang. Mehr ist nicht drin für nen Fuffziger x 2. Genieße die Aussicht. Hätte die O2 Welt kein Dach, vor hier aus sähe man auf den Fernsehturm hinab. Dann Vorband. Gar nicht so schlecht. Auf zum Bierstand. Hier ist ein dichtes Gedränge. Für zwei Cola lege ich lächerliche 11.60 € auf den Tisch des Hauses. Dafür könnste so viel Brot kaufen, wie ein Äthiopier im Jahr nicht fressen kann. Ist mit Pfand? Frage ich die junge Dame, weil ich mit der Algebra gut kann. Ja, Ja. Dann geht es los. Gleich volles Rohr. Die Halle hat jetzt bestimmt nen IQ von 10 hoch 6. Bruce und seine Bande sind mittlerweile weit über die 50, aber noch fit wie ihre Adidas. Der Sound ist unter aller Sau, aber schweinelaut. Hallo Berlin, I don´t speak fuckin`german außer Wo geht’s zum Hauptbahnhof? Und: Obama is in Berlin too but he may prefers the Bon Jovi Concert.

Bruce ist immer noch der alte Clown. Die Band hat tierisch Spaß an ihrer Arbeit und die Show gigantisch. Feuer! Pyros! Riesige Monster, gigantische Totenschädel. Meine Erwartungen werden weit übertroffen. Bruce springt und rennt, Steve Harris, mein absoluter Bass-Hero, die Sau, hat den Fender über´m Sack baumeln und kloppt mit den Fingern auf das Ding ein, den Fuß auf der Monitorbox, jede Zeile mitsingend. Ebenso die Audienz. Run to the Hills, Fear of the Dark, the Trooper. Auch der Sohn kennt die Hymnen und singt mit. Ich bin glücklich. Ich bin stolz. Hat mich ne Stange Geld gekostet, der Abend. Aber Maiden sind fair, sie geben dir was ab von ihrem Gewinn, denn diese Show war bestimmt nicht ganz billig.

Als der Vorhang endgültig gefallen ist, strömen die Massen zum Ausgang, friedlich wie Entschlafene, mit einem milden Lächeln auf den Lippen. Im nächsten Jahr bin ich wieder dabei. In Spandex Hosen.

(Bild von www.ironmaiden.com)


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