Hindernisse überwinden

Das erste Mal fiel mir Janine bei einem Auswärtsspiel in Eberswalde auf. Da stand diese zierliche Person mit ihrem Rollstuhl an der Eckfahne. Kein besonders wegsames Gelände. Geschafft hat sie es trotzdem. Schneeflocken wirbelten mit ihren langen, schwarzen Haaren um die Wette. „Was für' ne schöne Frau“, war mein erster Gedanke. Nicht: „Die Ärmste sitzt ja im Rollstuhl!“

Hindernisse überwindenZu Union kam Janine auf Umwegen. „Früher dachte ich immer: Fußballer sind alle blöd, und die Fans sind das Allerschlimmste“ – dann traf sie Mario. Der war nicht nur in sie verliebt, sondern auch in Union. Er nahm sie mit ins Stadion. Union gegen Unterhaching wurde ihr erstes Heimspiel. Das war im Frühjahr 2002. Sie wohnte zu der Zeit in Wartenberg. Schon die Hinfahrt war ein Erlebnis. Alle in Montur, die Kinder mit den Schals am Gürtel, Union-Lieder und alle singen mit. Union verlor zwar das Spiel, der Begeisterung hat´s aber nicht geschadet. Janine war fasziniert. Ein halbes Jahr später wurde sie selbst Mitglied – aus freien Stücken, wie sie betont. Gemeinschaft liegt ihr. Wer sie beim Fußball trifft, sieht sie nie allein am Rande stehen, sondern immer mitten im Trubel. Ganz unvorstellbar, dass sich ein Temperament wie ihres von einem holprigen Waldweg oder von Treppenstufen aufhalten lässt.

Janine ist heute ehrenamtliche Behindertenbeauftragte beim 1. FC Union Berlin. Eine sperrige Bezeichnung. Qualifiziert man sich dazu, weil man behindert ist, und was soll das überhaupt sein, dieses „behindert“? „Das ist wie ein Stempel. Ich sitze im Rolli, aber ich will nicht darauf reduziert werden“, stellt sie klar. „Die Rollifahrerin“ findet Janine als Beschreibung in Ordnung, denn „der Harleyfahrer sagt man ja auch.“ Durch die Empfehlungen der DFL wurden die Profivereine dazu angehalten, neben dem Fanbeauftragten einen Beauftragen für Fans mit Handicaps zu installieren. Janine hat sich überreden lassen, auch wenn sie anfangs skeptisch war, wozu das überhaupt gut sein soll.

„Ich war der Meinung, ich bin zwar behindert, aber ich habe kein Problem, um mich braucht sich auch keiner kümmern. Ich kann für meine Rechte selbst kämpfen, ich kann das alles alleine machen.“ Außerdem hätten ihr die Unioner immer geholfen, wenn es hieß „Kannst Du mal mit anpacken? “ Vieles an ihrer Tätigkeit hat mit Kommunikation zu tun. Janine sorgt im Vorfeld dafür, dass am Spieltag für behinderte Fans die richtige Menge Freikarten an den richtigen Eingängen bereitliegt und Parkplätze zur Verfügung stehen. Auch wenn das Angebot nicht darauf begrenzt ist, sind es vor allem Leute mit Mobilitätseinschränkungen, die Janines Hilfe in Anspruch nehmen.

Sie betreut Unions Rollifahrer auswärts und pflegt den Kontakt zu den Behindertenbeauftragten der gegnerischen Vereine. Im Stadion achtet sie darauf, dass alle dort sind, wo sie sein sollen. „Wir dürfen nicht in allen Bereichen stehen, nicht nur des Fernsehens wegen, sondern auch wegen den Fluchttoren.“ Auch an den Seiten des Strafraums dürfen sich Rollstuhlfahrer nicht aufhalten, damit sie keine Bälle abbekommen. Alles Kleinigkeiten für jemanden, der sich bewegen kann. Mit dem Nicht-Laufen-Können geht Janine offensiv um. Wenn sie merkt, jemand windet sich und weiß nicht, wie er sich ihr gegenüber verhalten soll, spricht sie ihn an. „Wollen Sie ’was? Kann ich Ihnen ’was sagen? Meine Akkus sind toll, wa? Sind Akkus, die Lichter!“ Da müsse man als Rollifahrer selbst ein bisschen offener sein, glaubt sie. „Wer das nicht ist, will vielleicht auch nicht angesprochen werden.“

Auf der letzten Mitgliederversammlung wurde Janine mit der bronzenen Ehrennadel des Vereins für ihre Arbeit ausgezeichnet. Darüber ist sie immer noch verwundert. „Ich empfinde das nicht als Arbeit. Die Ehrennadel – ich hab' mich total gefreut und war sehr gerührt, fühlte mich auch sehr geehrt, und stolz war ich auch, aber ich habe mich auch gefragt: Wofür denn?“ Zu wissen, dem Verein bedeutet ihre Arbeit etwas, ist trotzdem ein gutes Gefühl. Ein Ansporn, wie sie sagt.


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