Fußball ist immer ein Wir

Stefanie Fiebrig vom Blog Textilvergehen im Gespräch mit Steffen Baumgart, Trainer des SC Paderborn
Er war der Typ mit dem angriffslustig hochgestellten Kragen. Nur zwei Jahre hat Steffen Baumgart für den 1. FC Union Berlin Fußball gespielt. Er wurde dennoch mit einem donnernden Fußballgott! begrüßt, als er in der vergangenen Saison als Trainer des SC Paderborn an die Alte Försterei kam. Sein Weg dahin war alles andere als ein Spaziergang auf dem roten Teppich. Eher ein Lauf durch steiniges Gelände mit lauter Schlaglöchern. Aufgehalten hat ihn das zum Glück nicht.
Foto: Matze Koch

Wer neben Steffen Baumgart durch Köpenick geht, lernt sehr viele Köpenickerinnen und Köpenicker kennen. Freunde, Nachbarn, ganz normale Menschen. Die freuen sich alle, ihn zu sehen. Und obwohl sie Union-Fans sind, gratulieren sie ihm zu Paderborn und erzählen von ihren Auswärtsfahrten dorthin. Dann verabschieden sie sich höflich und wollen auch gar nicht weiter stören. Den meisten ist Paderborn nicht so wichtig, aber Steffen Baumgart - den mögen sie.

Der radelt durch seinen Kiez wie alle anderen auch, trägt häufiger einen Kapuzenpullover als einen Anzug, und die paar Minuten für ein Gespräch nimmt er sich immer. Denn warum sollte man unfreundlich sein, wenn man freundlich angesprochen wird? Nur wenn ihm Freizeitbundestrainer seinen Beruf erläutern wollen, reagiert er womöglich ein winziges bisschen ungehalten – also genau wie jeder andere Mensch in jedem anderen Beruf auch.

Wer sich an die Gebote der Höflichkeit hält, trifft dagegen auf einen Fußballlehrer mit viel Weitblick, der geduldig und sehr anschaulich erklärt, worauf es ihm im Fußball ankommt und für den die Regionalliga, die Oberliga oder der kleine Dorfverein essentielle Bestandteile von Fußballdeutschland sind.


Steffen Baumgart ohne Fußball ist unvorstellbar

Dass Steffen Baumgart Norddeutscher ist, wird vermutlich sein Leben lang herauszuhören sein. Er hat eine Weile gebraucht für Berlin. Aber Köpenick ist ihm und seiner Familie inzwischen ein Zuhause geworden. Ein Zuhause allerdings, in dem er gar nicht so oft ist. Denn ihm ist als Trainer endlich das gelungen, was ihn schon als Spieler ausgezeichnet hat: Er ist erfolgreich mit einem Fußball, der mutig, offensiv und kampfbetont ist.

Mit dem SC Paderborn hat er eine sensationelle Zweitligasaison hingelegt, unmittelbar nach dem Zweitligaaufstieg den Schritt in die Bundesliga geschafft und damit ein viel größeres Publikum erreicht als nur die Paderborn-Fans. Denn was zu Saisonbeginn niemand ahnen konnte: Es macht ganz einfach Spaß, seinem Team beim Fußballspielen zuzusehen. Gleichzeitig ist es eine große Genugtuung, Steffen Baumgart dort angekommen zu wissen, wo er hingehört: An der Seitenlinie eines Vereins, der seine Arbeit zu schätzen weiß. Daran arbeitet er seit fast zehn Jahren.

Steffen Baumgart hat lange professionell Fußball gespielt. 34 war er, als ihm mit Cottbus noch einmal der Aufstieg gelang.

„Und wenn nicht Bojan Prasnikar als Trainer gekommen wäre, hätte ich auch mit 38 oder 39 noch gespielt.“

Wahrscheinlich hätte das sogar funktioniert. Steffen Baumgart hatte das Glück, dass ihn sein Körper selten im Stich gelassen hat. Zwei größere Verletzungen sind nicht viel für eine Fußballerkarriere. Er hat kaum Verschleißerscheinungen, und das Bedürfnis, gegen den Ball zu treten, wird er wohl ohnehin nie verlieren.

Neulich erst hat er ein Pokalspiel für den SSV Köpenick Oberspree absolviert. Weil er gerade da war und der Mannschaft ein Mitspieler fehlte. „Was man als Fußballer nach der Karriere vermisst, ist nicht der Fußball selbst. Was man verliert, ist die Mannschaft.“ Es entspricht seinem Selbstverständnis, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Das lebt er, seit er 7 Jahre alt ist. Das prägt sich ein.

 

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Steffen Baumgart zu denken, ohne gleichzeitig Fußball zu denken, ist unvorstellbar. Dabei hätte er tatsächlich auch Ringer werden können. „In der dritten Klasse. Weil ich dreimal die Rostocker Meisterschaft im Ringen gewonnen habe.“

Fußball hat ihm aber mehr Spaß gemacht. Das, obwohl er sich weder für ein ausgemachtes Talent hielt, noch dem Fußball einen allzu großen Stellenwert beigemessen hat.

„Wenn man sieht, in welchen Sportarten Olympiasiege möglich waren, Weltmeistertitel – das hatten wir im Fußball nicht. Weil wir auch diese internationalen Wettkämpfe nicht hatten“, sagt er rückblickend. Nein, die Geschichte des ostdeutschen Fußballs ist in dieser Hinsicht tatsächlich nicht unbedingt eine Erfolgsgeschichte.

Trotzdem steht für ihn schon sehr früh fest, wohin es gehen soll.

„Mein Opa war lange Trainer, mein Vater war Trainer. Ich hatte immer die Vorstellung, irgendwann mal Trainer zu werden.“

Noch während seiner ersten Saison in Rostock, als Siebzehnjähriger, macht er den ersten Trainerschein und übt einmal in der Woche mit dem Nachwuchs. Den B- und den A-Schein macht er, während er Spieler in Cottbus ist, gemeinsam mit dem Co-Trainer. Die Ausbildung zum Fußballlehrer findet er bis heute enorm wichtig.

„Da wird dir kein Fußball beigebracht. Du lernst Gemeinschaft. Du lernst unterschiedliche Ansichten kennen. Du lernst, strukturiert und organisiert zu arbeiten. Deshalb hat sich mein Fußball nicht verändert, oder meine Gedanken zum Fußball. Aber viele Facetten werden noch einmal in Betracht gezogen. Das war sehr lehrreich.“


Ein Kind zweier Systeme

Eine unsichtbare erste Hürde auf dem Weg vom Spieler zum Trainer ist die banale Tatsache, dass Steffen Baumgart ein Kind zweier Systeme ist. Geboren in Rostock, ist er durch das komplette System des DDR-Leistungssports gegangen, bevor er Bundesliga-Profi wurde.

Den Fußball-Osten hat er dabei nur kurz verlassen, seine wichtigste Zeit war die bei Hansa Rostock. Für manche Vereine ein Ausschlusskriterium:

„Ich wurde abgelehnt, weil ich aus dem Osten komme.“

Gelöst hat sich das erst später über die Ergebnisse. Als die stimmen, gilt er plötzlich als fähig. Den ersten Cheftrainerposten bietet ihm Magdeburg an, und öfter als einmal ist Steffen Baumgart seitdem gefragt worden, ob das vielleicht zu früh war. „Wann hätte ich anfangen sollen?“, fragt er zurück. „Ich habe ein Angebot von einem richtig guten Verein, der zu dem Zeitpunkt um den Aufstieg in die dritte Liga mitspielen wollte. Ich hatte meine Scheine. Ich habe da bestimmt nicht alles richtig gemacht, aber irgendwo musst du ja mal anfangen. Für mich war es nicht zu früh.“

Ein Jahr und einen Landespokal später ist Schluss in Magdeburg. Dass er Fehler gemacht hat, räumt er ohne zu Zögern ein. Aber den Posten in Magdeburg zu übernehmen, war keiner. „Den Weg dahin würde ich immer wieder gehen. Ich bin dankbar, dass ich das machen durfte.“

Bei Hansa Rostock wird er anschließend noch einmal Co-Trainer, vor allem aus Verbundenheit zu Wolfgang Wolf, bevor er 2015 den Berliner AK übernimmt. Wieder ist er erfolgreich, und wieder nützt es ihm nichts.

„Beim BAK habe ich aus einer Mannschaft, die keiner kannte, einen Aufstiegskandidaten gemacht, mit richtig gutem Fußball“.

Der BAK beendet die Saison auf Platz 2 und trennt sich von Steffen Baumgart. Der zählt die Erfahrungen der letzten Jahre zusammen und kommt ins Grübeln. Viele gute Menschen hat er unterwegs kennengelernt, verschiedene Mentalitäten, aber auch eine Reihe von Auseinandersetzungen geführt, die alles andere als fruchtbar waren. „Es gab Zeiten, da habe ich überlegt: Ist es das Richtige?“


Was macht einen guten Trainer aus?

Steffen Baumgart ist aber keiner, der auf halbem Weg stehen bleibt. Drei Ausbildungen hat er gemacht, und jede davon mit Abschluss. Dinge wollen zu Ende gebracht werden. Er ist überzeugt, dass Fußball die eine Sache ist, von der er wirklich etwas versteht. Und Trainer ist der Beruf, den er will. Trotz alledem und immer noch. Also fängt er noch einmal von vorne an.

Seit 2017 arbeitet er nun als Cheftrainer des SC Paderborn, der seitdem eine erstaunliche Entwicklung vollzogen hat. Und dabei wird zum ersten Mal sichtbar, was Steffen Baumgart kann, wenn man ihn lässt. Zum einen ist er ein Trainer, bei dem es keinen Stillstand gibt, auch nicht für ihn selbst.

„Wichtig ist, dass man sich selbst treu bleibt, sich hinterfragt und immer wieder überprüft.“ Er ist aufmerksam und lernbereit geblieben. „Du lernst immer dazu. Auch Übungen. Ich trainiere jetzt Sachen, die habe ich beim BAK nicht mal annähernd trainiert.“

Dazu kommt ein berechtigtes Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten. Auch das ist über lange Zeit erarbeitet.

„Ich weiß, wie ich mit meinen Spielern umgehen muss. Und ich bin sicher, dass ich vielen Jungs etwas mitgeben konnte.“

Darüber, was einen guten Trainer ausmacht, muss er nicht lange nachdenken: „Klarheit und Geradlinigkeit. Denn Trainerarbeit“, sagt Steffen Baumgart, „ist nicht nur Systeme erklären. Erziehung gehört dazu, die Fähigkeit, eine Mannschaft zu führen und zu begeistern, aber auch die eigenen Entscheidungen zu vermitteln.“

Das fällt denen leichter, die als Spieler eher durchschnittlich waren, glaubt er. „Es gibt viele gute Trainer, die als Spieler keine herausragende Karriere gemacht haben.“ Ablehnung sensibilisiert in stärkerem Maße als Erfolg.

Wer selbst Niederlagen einstecken musste, nicht aufgestellt wurde, Durststrecken überwinden musste, findet eher die richtigen Worte für einen Spieler, der gut trainiert hat und trotzdem nicht in der Startelf steht.

Wenn man genau hinhört, ist die geheime Zutat des Paderborner Erfolges aber noch eine andere. Der feste Punkt, den Steffen Baumgart braucht, um die Welt aus den Angeln zu heben, ist ein funktionierendes Team. Das meint auch die Spieler, aber nicht nur.

Ein Fußballverein ist viel mehr als seine erste Herrenmannschaft. Da gehört ein Busfahrer genauso dazu wie ein Athletiktrainer. Niemand kann alles alleine machen, jeder hat Grenzen. Umgekehrt sind die Fähigkeiten und Talente jedes Einzelnen wichtig. Ganz offensiv lobt Steffen Baumgart das Fußballverständnis von Markus Krösche, der gerade als Sportdirektor nach Leipzig gewechselt ist. Auch auf die reibungslose Zusammenarbeit mit dem Funktionsteam konnte er sich bisher verlassen.

„Du musst als Trainer wissen, was du kannst und was du nicht kannst. Ich hab zu allem eine Meinung, und wir können uns über alles unterhalten. Aber ich habe einen Torwarttrainer, dem ich nicht erklären muss, was er machen soll. Und das mache ich mit meinem Co-Trainer auch nicht.“

Steffen Baumgart kann auch und vor allem das: Den Menschen, mit denen er zusammen arbeitet, Vertrauen schenken. Er kann glaubhaft vermitteln, dass ihre Arbeit wertvoll ist. Denn das ist sie. Es ist nicht der Trainer als Vorturner, der den Erfolg ausmacht. „Fußball ist nicht der eine. Fußball ist immer ein Wir.“

Und er selbst ist eben ein Teil dieses Ganzen. Ein Trainer, der sein Team von der Seitenlinie aus anfeuert, der mitläuft, der nie still sitzen kann.

„Stell dir mal vor, bei dem Angriffsfußball, den wir spielen lassen, sitzt da ein Trainer, der auf der Bank einschläft. Oder beobachtend in die Position geht. Wie würde das denn funktionieren?“

Und deshalb rennt er eben mit. Zu emotional, finden manche. Aber wenn irgendwas auf der Welt emotional sein sollte, dann ja wohl Fußball.


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