Klo-Krise im Cubix

Tag 7 der 73. Berlinale 2023
Die Hälfte der Toiletten sind dicht. In Saal 8 flackert das Deckenlicht. Leute wechseln hektisch die Stockwerke. Was ist hier los?
Ich hatte mich gefreut auf diesen Kino-Tag. Meine heutigen vier Filme laufen alle im Cubix. Kein Gerenne zwischen den Orten, Zeit für Pausen zum essen, zum arbeiten. Das Cubix am Alex ist ein Cinestar-Kino, sonst eher Nebenschauplatz der Berlinale, dieses Jahr im Fokus. Andere Locations sind dicht, das Cubix springt ein, Weltpremieren, von morgens bis nachts volles Haus. Doch dann dieser Mittwoch, mitten in der Berlinale. Es ist 12:30 Uhr, ich komme zu meinem ersten Film. Bevor ich in den Saal gehe, 2. Stock, Kino 8, ein schneller Gang zur Toilette. Gleich neben den Kinos 7 und 8 ist das WC mit den Pissoirs. Doch es stoppt mich ein Schild: WC geschlossen. Eine Mitarbeiterin sieht mich, leider zu, du musst gegenüber gehen.
Geschlossene rote Klo-Tür im Cubix-Kino
Foto: Nico Schmolke
Kein Problem, denke ich, die Trennung nach Geschlecht wurde für die Cubix-Klos aufgehoben, gehe ich halt zum ehemaligen Frauen-WC, wo nun „alle Geschlechter“ steht. Doch ich bin nicht der einzige, die Schlange ist lang, und mein Film startet in fünf Minuten. Ich kenne mich aus, denke ich siegesgewiss, nehme schnell die Treppen zum obersten Stockwerk. Da liegen weitere Toiletten, hinter Saal 9. Doch auch dort: WC geschlossen. Also wieder runter. Das einzige, was mir bleibt, ist der Keller, bei den Sälen 1 bis 4, vier Stockwerke unter mir. Auf dem Weg dorthin eine Mitarbeiterin, sie hetzt die Treppen herauf. Was ist los, frage ich sie. Wasserschaden, sagt sie, das absolute Chaos. Sie habe Angst um die Technik im Haus, dass bald nichts mehr geht. Ich bekomme ein schlechtes Gewissen, weil ich sie aufhalte. Doch sie ist ruhig, merkt wohl, dass alles Hetzen nichts bringt. Die Klo-Krise ist in vollem Gang, und nichts kann sie aufhalten. Sie empfiehlt mir den Keller, wir verabschieden uns. Auf dem Weg ziehe ich meine Winterjacke aus, ich schwitze, noch drei Minuten bis Filmbeginn. Unten angekommen, natürlich, eine Schlange. Doch die Pissoirs funktionieren, zwei sind es immerhin, es läuft, die Frauen hingegen müssen warten. Es ist Filmbeginn, ich renne die Stockwerke wieder hoch, Saal 8. Als ich sitze, wird es dunkel, geschafft. s läuft „Mutt“, auch hier ist das Klo ein wichtiger Ort. Der Hauptprotagonist Feña ist trans, er betrachtet die Veränderungen seines Körpers gerne im Badspiegel. Außerdem wird im Bad erbrochen, und dann hat die kleine Schwester auch noch ihre erste Periode. Ein wichtiger, großartiger Film, der vielen Transmenschen im und außerhalb des Film-Geschäfts den Weg ebnen wird, jetzt mal ganz unabhängig von der Klo-Sache. Das Toiletten-Thema aber geht mir nicht aus dem Kopf. Meine Wasserflasche lasse ich im Rucksack, mitdenken, nicht so viel trinken. Ohne Pinkel-Pause hinein in den zweiten Film, wieder Saal 8. Dort flackert jetzt das Deckenlicht. Der Wasserschaden, schlägt er zu? Ganz oben sei ein Rohr gebrochen, hatte die Mitarbeiterin mir gesagt. Dringt es jetzt in das gesamte Gebäude vor? Doch die Technik hält. 18:00 Uhr ist es, jetzt muss ich aber mal. Also rein in die Schlange. Zwei Pissoirs und vier Kabinen im Keller, sechs Kabinen im 2. Stock. Für weit über Tausend Menschen, die zeitgleich aus und in die Säle strömen. Eine Dame drängelt sich vor. Das ist das Frauen-WC, sagt sie empört zu mir. Das andere WC ist kaputt, antworte ich, und hier ist für alle Geschlechter. Sie winkt ab, bleibt vor mir stehen, trinkt hektisch Wasser, als müsse sich der Toiletten-Gang so richtig lohnen. Ich habe drei Kinder, sagt sie zu mir, um ihr Vordrängeln zu rechtfertigen, so als handle es sich um eine Essensausgabe im Kriegsgebiet. Als ich fertig bin, am Waschbecken, höre ich sie noch immer schimpfen. Warum sind so viele Männer hier? Bis es so weit ist, mit der Akzeptanz von gender-neutralen Toiletten, generell mit dem Respekt für alle Geschlechter, fürchte ich, fließt noch viel Wasser die Spree hinunter, fließt noch viel Wasser durch die maroden Gebäude Berlins, platzt noch so manches Rohr. Es wird Abend, die Filme laufen, das Licht flackert, und die Menschen stehen geduldig in Reih und Glied vor der Toilette. Eine Mitarbeiterin sagt mir, die nächsten Tage werde das so weitergehen. Die Leute bleiben ruhig. Wir haben so viel durchgemacht, und es wird noch so viel kommen, denken sich wohl die Leute, da werden wir diese Klo-Krise auch noch überstehen.

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