Fahr mit, im Maulbeermobil!

Es hat keinen Taxameter
Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern, so sagt meine Frau / Freundin. Dem will ich gern zustimmen, mir als fleißigem Internet-User gilt auch die von heute überholt.

Doch der Weisheit letzter Schluss ist auch diese Erkenntnis nicht, mahnt mich der werte Herr Chefredakteur gelegentlich an, aktuelle Themen kämen im Maulbeerblatt immer so ungefähr einen ganzen Monat zu spät. Trump, Erdogan, FC Bayern und Uli Hoeneß, für mich nicht der Stoff, aus dem Artikel gemacht werden. Also verlege ich mich auf das Plaudern über Erinnerungen, diese mit dem Leser zu teilen, das ist meine Sache.

 

 

Und ebenso wie meine Erinnerungen teile ich gern die meiner Fahrgäste im Taxi. Gerade die Älteren sind es, die viel von den vergangenen Tagen erzählen können. Erst neulich war da eine redebedürftige, ältere Dame. Von Karlshorst ging es in den Prenzlauer Berg. Schönhauser Ecke Milastraße.

Genau, dort befand sich einst die scheinbar einzige PKW-Fahrschule von Ost- Berlin. Ein jeder der Generation Grau und Haarlos kennt die Milastraße. Seit weit über 70 Jahren wohnt die Dame dort, die Geschichte ihrer Familie an diesem Ort so alt wie die Schönhauser Allee selbst. Ihre Wohnung ist noch in dem Zustand wie vor dem Mauerfall, mit Außenwandheizern der Firma Gamat, die Selbstmördertherme im Badezimmer bereitet aus kaltem warmes Wasser.

Es fällt schwer, den Einkauf die Treppen hinaufzuschleppen, aber die Alten sind Schlimmeres gewohnt und jammern nicht. Ich bin erstaunt, das es überhaupt noch Berliner gibt im Prenzlauer Berg. Wenn die letzten verbliebenen Altberliner Familien alle so alt sind wie besagte Dame, dann ist das auch nicht von Dauer und die Schwaben haben, was sie wollen. Kehrwoche, die Mutter der Reinlichkeit.

Die Alten sind aber nicht die einzigen, die Geschichten zu erzählen haben, auch in meinem Alter erinnert man man sich mittlerweile gern an vergangene Zeit. Gar nicht mehr so weit der Tag, an dem ich dem Aufruf Zeitzeuge gesucht´ folgen werde müssen. Genug gejammert. Noch geht’s mir gut. Noch reicht es, wenn ich mich alle fünf Jahre der Tauglichkeitsuntersuchung für den geliebten Beruf unterziehe.

Brandneu und topaktuell

Zurück zu den Erinnerungen, die sind ja nur die Hälfte wert, wenn man sie mit niemandem teilen kann und gleich doppelt und dreimal soviel, wenn man sich in Erinnerungen austauscht, da frischt einer das Gedächtnis des Anderen auf. So geschehen neulich, im Maulbeermobil. Damit das Maulbeerblatt nämlich nicht vom Zeitgeist überholt wird, teilen wir jetzt unseren alten Mist dem interessierten Internet-User auch topmodern auf unserem eigenen YouTube-Kanal mit. Die Fahrten in eben diesem Maulbeermobil, das im Rest seines Lebens das Privat-Automobil unseres leidgeprüften Herrn Chefredakteurs ist, sind sehr begehrt.

Platz genommen in diesem Format haben bisher der allseits bekannte und geschätzte Toni Mahoni, der großartige Sascha Bachmann, nebst seiner charmanten Lebensgefährtin. Die Liste der Anmeldungen für kommende Fahrten ist lang. Brandneu und topaktuell an Bord waren zwei der bedeutendsten Kulturschaffendendes Köpenicker Establishments: Die Herren Friedrich und Wiesenhütter, die Gitarre spielenden Barden, deren Auftrag die Verbreitung Köpenicker Alltagspoesie im gesamten deutschen Sprachraum von Ahlbeck bis ins Zillertal ist.

Und auch in der Schweiz wollte man sie schon haben. Und hat sie bekommen, denn die beiden sind käuflich. Und so wurde mir das Vergnügen zuteil, mit diesen beiden nicht auf den Mund gefallenen Herren eine Runde zu den Plätzen ihrer Jugend und ihrer Kindheit zudrehen.

Wer Interesse hat, sich die Highlights dieser Tour de Jour reinzuziehen, der kann das gern tun. Und wen es nicht interessiert, der lässt es eben bleiben und sitzt weiter in der ersten Reihe bei den tollen Programmen der äußerst spannenden Öffi-TV-Anstalten. Ist ja schließlich unser Geld, was die Herr- und Damschaften da verbraten.

Guten Abend.

 


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