Supermond

Weiter geht die Reise
Was für ein schöner, bunter, sonniger Herbsttag! Ich räume die Terrasse um. Ziehe das Holz, den Teppich, alle Pflanzen, bis auf das Pfläumchen und die Beerensträucher, die sollen jetzt mehr Sonne bekommen, wenn sie tiefer steht und die große Box, in der ich alle Liegestühle, Kissen, Schaffelle und Sommerdecken verstaue, so weit nach vorn auf dem hinteren Teil der Terrasse, dass ich da direkt von der Treppenhaustüre schneller ran komme. Und so die ganze beziehungsweise zwei Drittel der Fläche auch im Herbst und Winter mitbenutzen kann, so noch ein kleines windstilles Eckchen abseitig von Straße und Baustelle der Grundschule schaffe.

Der Super-Vollmond
Foto: Neven Krcmarek

Klar kommen die Nachbarn, die Einzigen die mir hinten oben seitlich ein bisschen auf die Terrasse schauen können, um Punkt Drei vermutlich nach der Mittagsruhe mit dem kleinen Sohn auch raus. Gott, was bin ich menschenscheu. Ich bleibe sitzen in meinem Versteck, bis die wieder drinnen sind. Dann ziehe ich wieder nach vorne um. Freue mich, dass ich die nächsten Wochen nun vier gemütliche Sitzplätze draußen habe. So viel Kaffee kann ich gar nicht trinken oder Bücher lesen oder Tagebuch schreiben, dass ich das ausreichend Tag und Nacht be-sitzen kann, im wahrsten Sinne des Wortes.

Das Dach des Gymnasiums, auf das ich von hier schaue, wird langsam von grün zu rot und etliche Bäume unten goldgelb schimmernd. Wusste gar nicht, dass der Herbst so schön sein kann. Bisher war das für mich immer die Jahreszeit, in der man nicht weiß, was man anziehen soll. In der Sonne ist's schweinewarm. Ist sie weg, zieht dir eiskalter Wind in die Schweißschicht unter dem Pullover. Ich hasse das. Schwitzen und Frieren gleichzeitig. Das ist ein ganz unangenehmes Gefühl und kommt für mich gleich hinter PMS. Das habe ich ja nun nicht mehr, Menopause sei dank. Dafür das Andere umso mehr. Ja, auch in den anderen Jahreszeiten. Aber jetzt fällt es am Meisten auf, weil man immer entweder die zu dicke Jacke oder die zu dünne oder zuwenige Schichten darunter oder eben zuviele anhat.

Die Schwester schaut heute bei dem Bombenwetter ihr neues Grundstück an. Eine Stunde von Tür zu Tür, fernab vom Trubel der Großstadt gelegen, hat sie ein kleines Stück Garten gefunden, am Hang gelegen mit dem Blick auf eine Pferdekoppel und den Waldrand. Fußläufig ein See. Sie geht ja wie ich auch wann immer möglich, jeden Morgen halb Acht schwimmen. Ein alter Bungalow komplett neu gedämmt mit modernem Duschbad wartet förmlich darauf, von ihr bezogen zu werden. Ein kleines Gartenhäuschen an der Grundstücksgrenze, sichtlich neu und mit eigener Terrasse zur Koppel bietet sich an für Gäste oder die präpubertierende Tochter und ihre Freundinnen. Bekommen die noch eine kleine Außenküche und in die schon vorhandene kleine Werkstatt eine Trockentrenntoilette. Dann müssen sie der Mutti nicht durch die Stube...

Bloß gut, dass die Idioten vom angeblichen Naturcampingplatz ihr vor zwei Jahren das sogenannte Vereinsheim vor die Nase gebaut und sie dann folgerichtig, weil es mit den lauten Säufern und stinkenden Kettenrauchern gefühlt mit auf ihrer Hollywoodschaukel sitzend sowieso nicht mehr sehr erholsam war, dieses Jahr vom Platz gemobbt hatten. Der Schreck war riesengroß. Führte aber dazu, dass sie endlich die Zügel in die Hand und die Suche nach einem geeigneten, kleinen eigenen Stück Land (keine Pacht mehr!) wieder aufnahm. Der Sohn sagt treffend: „Glück ist, wenn man die Gelegenheit beim Schopfe packt.“ Passt ganz wunderbar, finde ich.

Dazu muss man die Gelegenheiten aber auch wahrnehmen. Also sehen! Manche Menschen sind ja so blind und jammern unendlich über all das, was sie nicht haben oder was sie haben, das aber nicht perfekt funktioniert. Ich nehme mich da nicht aus. Nachdem ich mich nun ein halbes Jahr fast täglich bald schwarz geärgert habe über all die Kleinigkeiten, die an meiner schönen, neuen, eigenen Dachgeschoss-Tiny-Penthouse-Wohnung noch nicht funktionieren, habe ich vor ein paar Tagen im vollen Schein des Supermondes beschlossen, damit ist jetzt Schluss!

Ich kenne doch die Wirkung. Fokussiere ich mich nur lange genug auf lauter kaputte Dinge, dann bekomme ich die auch vom Universum. Nennt es Placebo, ist mir egal. Hauptsache, es klappt! Also drehe ich den Spieß jetzt um, repariere die undichten Stellen an den Fenstern selbst und freue mich, dass die Sonne scheint und mein Räumchen schön erwärmt, solange die Heizung noch kaputt ist. (Wie kann eine neue Heizung kaputt gehen?, frage ich mich ernsthaft.)

Das Angebot, mich bei der nächsten Versammlung in den Eigentümer-Beirat wählen zu lassen, habe ich zurück gezogen. Warum soll ich euch helfen, wenn ihr mich bei den Heizungswärmelieferanten nicht unterstützt? Ich dachte, dafür wäre ein Beirat da. Aber eure Heizung geht ja. Toll! Schmerzhafte Erkenntnis. Aber ich kämpfe nicht mehr, weder mit Euch noch gegen den Bauträger. Handwerkern gehe ich ja nun schon eine Weile aus dem Weg. Jetzt ist Ende, Gelände. Jetzt mache ich das wieder alleine. Denn das konnte ich schon mal. Richtig gut sogar, besser als mit Anderen zusammen. Schade eigentlich, denn im Wort Eigentümergemeinschaft steckt irgendwo auch der Begriff Gemeinschaft. Oder habe ich da was falsch verstanden?

Die Schwester kommt von ihrem Ausflug zurück. Der Bungalow ist nass, es hat wo rein geregnet. Die neue Dämmung haben sie über die alte Elektrik geklatscht. Die nimmt so niemand ab. Die Grube muss erneuert werden, das kostet Tausende Euros. Im Dorf gibt es eine superduper-schickimicki Gaststätte. Da ist jedes zweite Wochenende große Hochzeitsfeier! Umpfumpfumpf und Schlagerhitparade. Weißte wie das schallt im Wald am See? Da nützt der Blick auf die Pferde auch nichts. Und weiter geht die Reise. Wäre ja auch zu schön gewesen.


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