Nachts, wenn der Teufel kam

Die Geschichte eines Mörders, der keiner war
Spielende Kinder fanden die Tote im Strandschloßweg im Köpenicker Stadtwald, 400 Meter hinter dem dortigen Krankenhaus. Von Kratzern und Hämatomen übersäht, wurde in den Mittagsstunden des 29. Januar 1943 die nackte Leiche der damals 51-jährigen Frieda Rösner entdeckt. Die Frau war brutal vergewaltigt und anschließend mit einem Halstuch erdrosselt worden. Die Geschichte, die hier ihren Anfang nahm, wurde zu einem der spektakulärsten Kriminalfälle: die Geschichte vom „doofen Bruno“, dem „größten Massenmörder aller Zeiten“. 
Bruno Lüdke
Bild: ullstein bild
Bruno Lüdke war im April 1908 in Köpenick geboren worden. Seine Eltern betrieben einen kleinen Wäschereibetrieb in der Grünen Trift. Es war wohl ein Unfall, in seiner Kindheit, ein Sturz auf den Kopf, der ihn sein weiteres Leben lang geistig behinderte. Er galt als gutmütig und harmlos und wurde von Kindern als der „doofe Bruno“ gehänselt. Bruno wurde Kutscher und nun mochten ihn die Kinder, weil er sie auf dem Kutschbock mitfahren ließ. Aber Bruno hatte auch andere Seiten: Gerne zog es den Sonderling in die Wälder und an die Seen rund um Köpenick. Aus dem Unterholz beobachtete er Liebespaare. So erzählten die Leute. Wegen kleinerer Diebstähle war er vorbestraft. Harmlose Gaunereien. „Er besuchte mit seinem verstorbenen Vater Vereinsvergnügungen. Dabei kam es vor, dass er das Bierglas des neben ihm sitzenden Vereinskameraden ergriff und es austrank. Zur Rede gestellt hatte er für seine Handlung keinerlei Entschuldigung. Es gibt offenbar Zeiten, in denen er sich der Strafbarkeit seiner Handlungsweise nicht bewusst ist.“ Das Erbgesundheitsgericht in Berlin erklärte Bruno auf Grundlage des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ 1939 für unzurechnungsfähig und verurteilte ihn zur Unfruchtbarmachung. So geschah es.

Falsche Geständnisse

Den Mord an Frieda Rösner aufzuklären, arbeiteten im Frühjahr 1943 die Ermittler mit Hochdruck. Heinrich Franz, ein junger, ehrgeiziger Kommissar, der im Polizeidienst und bei der SS Karriere machen wollte, verhaftete am 18. März 1943 den „doofen Bruno“ und verhörte den Verdächtigen. Ungeklärte Mordfälle aus dem gesamten Reichsgebiet, die bis in die 1920er Jahre zurückgingen, wurden Lüdke vorhalten. Der hatte zu SS-Obersturmführer Franz wohl Vertrauen gewonnen, kumpelhaft und redselig erzählte Lüdke von Ausflügen über Land und in andere Städte, nach Hamburg oder nach Thüringen.  

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  Und nun gestand dieser „doofe Bruno“ bereits in den ersten Stunden der Vernehmung. Und zwar einen Mord um den anderen. Den Mord an Frieda Rösner gab er zu. Und den Mord an der Möbelhändlerin Ida Curth gestand er dem Kommissar. Und die Reinemachfrau Bertha Holdschuh ermordet zu haben, gab er zu. Innerhalb kurzer Zeit wurden es 84 Frauenmorde, die das „Monster in Menschengestalt“ dem Polizisten verriet. Von 1924 bis 1943 soll Bruno Lüdke an mindestens 40 verschiedenen Tatorten gemordet haben. Lustmordend soll der Mann, der weder lesen noch schreiben konnte, durch Deutschland gezogen sein. Ende Mai 1944 schrieb der Kriminalkommissar Heinrich Franz, Lüdke sei für 53 Fälle als Mörder eindeutig überführt.

Menschenversuche mit vergifteter Munition

Das brachte selbst den Propagandaminister Joseph Goebbels auf den Plan. Und der hegte den Gedanken, Lüdke in einem großangelegten Schauprozess der Öffentlichkeit vorzuführen, wollte ihn nicht nur erhängen oder erschießen lassen: verbrennen, befindet Goebbels, könnte es sein,
„ … dass der bestialische Massenmörder und Frauenschlächter Bruno Lüdke … seine scheußlichen Verbrechen wenigstens mit einem martervollen Tode sühnen … “
sollte. Doch der Chef der deutschen Polizei und Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, machte den Vorgang zur Geheimsache und ließ Lüdke ohne Gerichtsverfahren in das Kriminalmedizinische Zentralinstitut der Sicherheitspolizei nach Wien überstellen. Lüdke sollte als Exempel fungieren für ein in Arbeit befindliches „Gesetz über die Behandlung Gemeinschaftsfremder“. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurden am Institut in Wien Menschenversuche an Gefangenen durchgeführt. Mit vergifteter Pistolenmunition wurde auf Häftlinge geschossen, um die Wirkung der Geschosse zu testen. Am 8. April 1944 starb Bruno Lüdke in Wien.

Das „Monster in Menschengestalt“

All das bot auch in den Nachkriegsjahren reichlich Stoff für Geschichten und Filme. Bereits 1946 titelte eine Zeitschrift „Monster in Menschengestalt“ – und berichtete vom „Fall Bruno Lüdke“. „Der Spiegel“ beschäftigte sich im Jahr 1950 mit Kriminalfällen der NS-Zeit und ließ seinen Autoren, Bernd Wehner, der während des Dritten Reichs SS-Sturmbannführer und „Leiter der Zentrale zur Bekämpfung von Kapitalverbrechen im Reichkriminalpolizeiamt“ gewesen war, über die vermeintlichen Verbrechen des Bruno Lüdke als „Tiermenschen“ und als „großen, starken Menschenaffen“ schwadronieren. Und in der Zeitschrift „Münchner Illustrierte“ veröffentlichte der Autor und Journalist Will Berthold einem „Dokumentarbericht“ in Fortsetzungen nach Original-Polizeiakten und gab dem Text den Titel „Nachts, wenn der Teufel kam“. Und so wurde der Stoff bereits 1957 von dem Remigranten und Regisseur Robert Siodmak verfilmt. Der Kinofilm „Nachts, wenn der Teufel kam“ erhielt 1958 nicht weniger als zehn Bundesfilmpreise und wurde als bester ausländischer Film für den Oscar nominiert. Für Mario Adorf, den die Kritik für seine Darstellung des „Menschenbullen, dem die Leiden der gehetzten Kreatur widerfuhren“, lobte, brillierte als Massenmörder. Für Adorf bedeutete diese Rolle den Durchbruch als Schauspieler – und begründete gleichzeitig seine filmische Karriere als Bösewicht vom Dienst.

Opfer statt Täter

Heute weiß man: Bruno Lüdke hat vermutlich keinen einzigen der ihm zur Last gelegten Morde begangen. Weder an den Tatorten noch bei ihm wurden Beweise für seine Schuld festgestellt. Schlimmer noch: Für viele der Taten konnte er gar nicht verantwortlich sein, da er über zweifelsfreie Alibis verfügte. Dies hatte bereits die damals ermittelnde Polizei festgestellt, aber da es kein Gerichtsverfahren gab, half es Bruno Lüdke nicht. 9000 Stolpersteine gibt es bisher in Berlin, die an die Verbrechen des Faschismus erinnern, 105 Stolpersteine sind es in Treptow-Köpenick. Im August 2021 wurde für Bruno Lüdke in Köpenick ein Stolperstein verlegt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Schauspieler-Legende Mario Adorf kamen zu diesem Anlass in die Grüne Trift. Dort, im Haus mit der Nummer 32, das heute nicht mehr steht, war Lüdke aufgewachsen. Nicht zuletzt durch Mario Adorfs Darstellung des „doofen Bruno“ wurde Bruno Lüdke „jahrzehntelang den Ruf des schlimmsten Massenmörders der deutschen Kriminalgeschichte aufgedrückt“. Nun ist es dem 90-jährigen Mimen ein Anliegen, Bruno Lüdke zu rehabilitieren und „ein großes Unrecht“ wiedergutzumachen. Denn „Bruno Lüdke war kein Täter, er war ein Opfer.“

Portrait

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