Wo soll ich denn hin?

Nichts bleibt
Ich fahre nach Bali. Sechs Wochen! - Wie das kommt, wollt Ihr wissen? - Keine Ahnung, ich weiß es nicht. Ehrlich gesagt, wollte ich schon immer mal ein ganzes Jahr woanders leben und arbeiten. „Nur“ reisen, nee, das hatte ich bereits vielfach. Und Asien, komisch, das hat mich noch nie interessiert.

Landidyll mit Jurte und Hühnern
Foto von Annie Spratt via Unsplash

Eigentlich war es immer eher Spanien, wo mich meine Sehnsucht hinzog. Und Istanbul! Da war ich schon 'zig Mal, kenne die Stadt wie meine Westentasche und liebe sie wie verrückt. Tatsächlich hatte ich schon begonnen, mich dort nach Arbeit umzusehen. Das war aber damals mit Erdogans Antritt passè. In solch einem politischen Umfeld möchte ich nicht leben, auch nicht nur als Gast und vorübergehend.

Außerdem war das ja so, dass ich vor Jahren meine Arbeit gewechselt hatte. Und als Sprachtherapeutin kann man wirklich nicht mehr so ohne Weiteres einfach abroad arbeiten. Nicht, dass ich das sprachlich zumindest auf Englisch nicht gut hinbekommen würde. Es ist nur einfach nicht erlaubt, in mittleren medizinischen Berufen im Ausland tätig zu werden. - Muss ich trotzdem nochmal prüfen, diesen Glaubenssatz, hah!

So, nun passierte letzten Sommer, was schon lange passieren musste und was ich tatsächlich auch schon dreimal angestoßen hatte. Ich habe meinen Vater raus geworfen. Raus aus unserem Projekt Familienhof und raus aus meinem Leben. Letzteres ist natürlich Quatsch, er gehört ja trotzdem dazu, so schwierig es auch ist.

Aber der schöne, alte Hof auf dem Dorf war damit nur noch von mir alleine bewohnt. Von vielen besucht, ja. Aber niemand mehr da, der bauen konnte oder reparieren oder gar das nötige Kleingeld dafür gehabt hätte. Es brauchte nur noch einen Kaufinteressenten und zwei, drei der neuerdings schon lang nicht mehr so banalen Winterstürme, dass ich mich auf die Suche machte nach einer alternativen Wohnform für mich. Die Angst, dass das alte Dach runter kommt, sitzt mir heute noch bei jedem kräftigeren Wind in den Knochen.


Tinyhose oder Penthouse?

Tinyhouse war das Thema, mit dem ich mich schon lange beschäftigt hatte. Tatsächlich stand sogar mal eine Zeit lang im Raum, ob wir noch mehr Familienmitglieder auf den Hof holen und ich mir eine Jurte, ein Cottage oder einen Container in den hinteren Garten stellen würde. Mir hätte das gereicht. Zum Glück hat sich schon in der Planungsphase gezeigt, dass mit entsprechenden Kandidaten gar nicht gut Kirschenessen ist. Wie würde dann das Zusammenleben erst werden? Nein. Das musste ich leider abwählen! Keine Chance. Sehr schade.

Bei der Gelegenheit allerdings habe ich mich in das minimalistische Leben, was ein Tinyhouse wohl aber sicher mit sich gebracht hätte, über beide Ohren verliebt. Und so kam es, dass ich eines Tages aus reiner Neugier mal im Umkreis von 50 km nach Eigentumswohnungen Ausschau hielt.

Ich sehe ein klitzekleines Projekt, nur sechs Wohnungen auf drei Etagen, allesamt noch bezahlbar. Ich schaue mir zwei Zimmer an, die Wohnung von vorne nach hinten durchgehend. Nach Süden die Stube mit offener Küche und bodentiefen Fenstern, hinten nach Norden ein Schlafzimmer, an der Küche ein Balkon. Ein Traumgrundriss!

Rundherum grün, ruhig, Einfamilienhäuser. S-Bahnstation und hübscher, alter Dorfkern. Aber halt, was ist das?! In der Illustration des Gebäudes gibt es eine Dachterasse. Häh? Soll die für alle sein oder was ist das da oben auf dem Haus? Das ist eine Wohnung? Ein Studio! Knapp 40 Quadratmeter mit einer 60qm Dachterasse!!! - Das gibts ja gar nicht. Keine Nachbarn auf der Etage! Das ist ja wie Wohnen im Turm, sagt mein Bruder, als ich Weihnachten freudestrahlend mit meinen Kaufabsichten um die Ecke komme. Die Schwester nennt es Tiny(pent)house.

 


Alles muss raus!

Es hat nicht lange gedauert, bis sich jemand fand, der den großen Hof, das Haus, den Garten und die Scheune am Kanal kaufen wollte. Das Geld reichte grad, um die Schulden zu bezahlen und die kleine Wohnung zu kaufen. Zauberhaft. Was bin ich doch für ein Glückspilz! Es bleibt sogar noch etwas Taschengeld übrig. Und davon mache ich die Reise. Die brauche ich jetzt auch. Denn der Abschied von einem Lebensprojekt und der damit verbundenen jahrelangen Identifikation tut schon echt weh!

Die Freundin sagt, „Ach, ich dachte, damit wären wir jetzt durch?“, als ich wieder einmal mit Tränen in den Augen das Thema Hausverkauf aufbringe. Der Sohn meint, das wäre irgendwie kein gesunder Umgang mit der Trauer. Da stimmt was nicht. Das ist mir auch schon aufgefallen. Warum freue ich mich nicht auf die neue Etappe, über all die Dinge, die ich in den letzten Monaten organisiert, durchgezogen und erreicht habe? Das war viel! Das hab ich richtig gut hinbekommen.


Ex-Landbesitzerin goes Bali

Aber ich vermisse meinen Garten, ich vermisse meinen Kanal. Ich vermisse das viele Draußen, was ich jetzt nicht mehr habe! Gerade jetzt, wenn in der Stadt alle Parks und Anlagen aufplatzen und blühen, wenn die Sonne wieder scheint und die Menschen raus kommen, die Straßencafés die Tische raus stellen... Ich denke, das wird eine Weile dauern, bis ich in dem neuen Hier und Jetzt angekommen sein werde. Und bis dahin und deshalb fahre ich jetzt nach Bali und versuche in dem Ashram dort wieder runterzukommen von dem Landbesitzer-Ego und mich wieder mit mir und dem Leben selbst zu connecten.

Still, I do not know, why Bali. Wie kam es denn dazu? Ich kann mich nicht erinnern. Aber es wird seine Gründe haben... So, wie alles, was passiert! Akzeptiers halt!

Namaste.


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