Vergangenes mit ohne Zukunft

Kiezspaziergang durch Adlershof
Was, zur Hölle, könnte einem Spaziergänger als Anlass dienen, einen Nachmittag in Adlershof zu verbringen? Die Bummelmeile? Die großzügigen Parkanlagen, die gut erschlossenen Wanderwege oder vielleicht die Sehenswürdigkeiten in Hülle und Fülle. Nein, damit trotzt dieser Kiez einem wahrlich keinen Respekt ab.
Die Erinnerung vielleicht; einst saß ich auf einer Parkbank im Schatten des Testbildes, das dort großspurig an einer Häuserwand prangte und wartete auf eine Jugendliebe. Dass ich mich daran erinnere, ich war es doch, der wartete. Mal sehen, da wäre noch die Dörpfeldstraße. Eine Million mal mindestens habe ich sie genommen, rauf und auch wieder runter gefahren, mit dem Auto, mit dem Fahrrad und auch auf des Schusters Rappen habe ich diese Meile erfahren, auf Ihr umfahre ich sich stauenden Verkehr auf dem Weg zur Mucki-Bude, aber alles, was mir hier in Erinnerung blieb, war der mal Besuch beim Notfall- Zahnarzt und der Baum, der bis ehedem aus dem Kino Capitol wuchs. Es gibt eine Vielzahl von Geschäften, ein tolles Einkaufscenter mit nichts, was das Herz begehrt und so weiter, Mietshäuser, Reisebüros usw, ich wiederhole mich ungern. Nun raus mit der Sprache, was mich lockt, ist Empörung darüber, das es Bestrebungen gibt, die Geschichte neu zu schreiben. Wie alledem bekannt ist, befindet sich das historische Adlershof östlich des Adlergestells, westlich der Görlitzer Bahn lief man nach Johannisthal oder besser gar nicht, denn da war ja die Stasi, das Fernsehen, das eh keiner sehen wollte und später das Arbeitsamt, zu dem in unseren Gefilden niemand wirklich Bezug hat. Interimsmäßig erfrischte mal das „Come In“ das Areal.
Doch Widerstand formiert sich, eine kleine Gruppe von Einzelhändlern, die Resistance der Gemüsefrauen, stemmt sich mit der ihr gegebenen Macht gegen diesen Verfall der Sitten und der Tradition.
An diesem geschichtsträchtigen Ort erlebte ich den Abschied von der Ostmark, wo ehemals die Stasi feierte, triumphierten wir Sorglosen einer besseren Zeit entgegen. Das Come In zog mit preiswertem Kino, Musikveranstaltungen im Abseits des Mainstreams und kreativen Jugendprojekten Besucher aus der ganzen Stadt an. Und Klappe, die letzte Regie führte der Abrissunternehmer. Abgeschirmt vom Rest der Welt durch eine um Jahre herausgezögerte Barriere in Form einer unnötigen Baustelle wuchs aus dem Skelett des ehemaligen Stasigeländes ein neues, mächtiges Adlershof heran. Wie einst Dr. Frankenstein einzig der Zukunft und der Wissenschaft verpflichtet, begnügt es sich nicht damit, ein Stück von diesem oder von Johannisthal zu sein und beansprucht nun den Titel „Adlershof“ allein für sich. Auch das Fernsehen für Doofe gibt es jetzt wieder. Zurück im wahren Adlershof. Ich parke also den Wagen und bequeme mich zu Fuß weiter. Gerade habe ich das ehemalige Kino Capitol erreicht und erfrische mich mit einer Schale Frischobst von Freund Schramm, da fallen mir die vielen Baulücken zwischen all den vertrauten Gebäuden auf, die wirken wie ausgeschlagene Zähne in einem tadellosen Gebiss. Es scheint mir nur allzu wahrscheinlich, dass der alte Ortskern Stein um Stein abgetragen wird, um Platz zu schaffen für noch mehr immobilen Reichtum. Plänen zu folge, in die ich Einsicht hatte, ist beabsichtigt, Adlershof am Rand von Schönefeld unter dem Namen Geierwalde eins zu eins wieder aufzubauen. Das ist aber eine nette Geste. Wie weit kann man sinken. Erst verdrängt man die alten Berliner aus ihren angestammten Quartieren und weil Neubau billiger ist als Sanierung, verschiebt man einfach die Relationen und klaut sich den Namen von alten Ortsteilen. Peinlich, peinlich. Doch Widerstand formiert sich, eine kleine Gruppe von Einzelhändlern, die Resistance der Gemüsefrauen, stemmt sich mit der ihr gegebenen Macht gegen diesen Verfall der Sitten und der Tradition. Ich unterstütze diesen Kampf, Adlershof ist auch ein Stück meiner Vergangenheit. Zu diesem Zweck werde ich mein Gemüse wieder häufiger bei Herrn Schramm kaufen, sehe mir die guten Filme auch mit ein, zwei Wochen Verspätung im Kino Casablanca an und lass mir die Augengläser bei Hidde und Mietke anfertigen, auch wenn sie nicht billiger arbeiten können als der filiale Riese im Brillengeschäft. Mehr muss man gar nicht tun.

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