Ein Hauch von Revolte zieht gerade nach Müggelheim. In jenen dörflichen Ortsteil im Osten von Treptow-Köpenick, der vor 270 Jahren für Pfälzer Protestantenfamilien angelegt wurde und heute vor allem als wasser- und waldreiches Ausflugsziel für stadtmüde Besucher gilt.
Die größte Sorge im Ortsteil mit den gut 6.500 Einwohnern, dem die Statistik kaum soziale Problem, dafür einen hohen Sozialstatus sowie stabile Dynamik bescheinigt, galt bisher dem Fluglärm, der aus Richtung Schönefeld dröhnt.
Doch Müggelheim kann auch anders: Die Jugend vom Müggeclub am Alsenzer Weg, dem einzigen Jugendklub am Ort, übt sich in Widerstand. Es geht – natürlich – um Verdrängung, gegen Investoren. Die wollen auf dem Areal der ehemaligen Konsum-Kaufhalle, deren Getränkemarkt als Jugendklub dient, Wohnungen bauen.
Finger weg vom Müggeclub!
„Wir haben nach 28 Jahren die Kündigung erhalten und sollen geldgierigen Investoren weichen, die hier ihr Kapital vermehren wollen“, sagt John Kühnel vom Müggeclub. Auf dem Gelände um Alsenzer Weg und Müggelheimer Damm sollen mehrere Zwei- und Dreigeschosser mit insgesamt 58 Wohnungen gebaut werden. Demnächst soll der Edeka-Markt, der zuletzt dort war, abgerissen werden.
Der Müggeclub soll Ende Februar raus sein. Doch im Klub ist man im Kampfmodus. Man wolle Widerstand leisten, wenn nötig „bis aufs Letzte“, heißt es. In großen Lettern ist schon mal die Devise an die Mauer des Klubs, der früher die Getränkehalle des DDR-Konsums beherbergte, gesprüht worden: „Finger weg vom Müggeclub!“ steht da zu lesen.
Als Vorbild dient offensichtlich der Mellowpark. Der wurde einst auch von Investoren verdrängt, hat sich aber mit Aktionen, Protest und viel Hartnäckigkeit sowie mit Unterstützung von Bezirkspolitikern ein größeres Filetstück am Wasser erkämpft. Ob der Müggeclub ähnlich erfolgreich sein kann?
Anders als der Mellowpark, der sich zum BMX-Olympiastützpunkt entwickeln will und jährlich von Tausenden besucht wird, ist der Müggeclub vergleichsweise winzig. Rund 20 Jugendliche kommen regelmäßig, um Dart, Tischtennis oder Fußball zu spielen, wie John Kühnel sagt.
Das sei nicht viel, räumt er ein, aber:
„Wir wollen jetzt auch die Jugendlichen ansprechen, die nachmittags nur im Park rumsitzen, und müssen auch Kinder, die mit immer mehr Familien herziehen, zu uns holen.“
Der 33-jährige Tischler gehört zum Vorstand des Vereins, der den Klub seit 2005 in Eigenregie betreibt.
Viel Arbeit und wenig Geld
Nach dem Mauerfall wurde der Jugend die alte Getränkehalle zugesprochen. Es wurden Wände eingezogen und Toiletten eingebaut. Es gibt eine Werkstatt für Textildruck, einen Billardtisch, Tischtennisplatten und einen Kickertisch. Auf einer Videoleinwand werden Filme gezeigt, draußen wird Fußball gespielt oder am Lagerfeuer gesessen.
Viel Arbeit für die Vereinsmitglieder, die neben der täglichen Organisation berufstätig sind und auch die Verwaltung, alle Förderanträge und die Finanzen eigenständig stemmen müssen. Vom Bezirk kommen jedes Jahr rund 8.000 Euro, für Miete, Betriebskosten und kleinere Reparaturen. Der Linken-Politiker Gregor Gysi spendet monatlich 150 Euro.
Der Müggeclub ist einer von rund 40 Jugendfreizeiteinrichtungen im Bezirk. Berlinweit gibt es etwa 400 solcher geförderter Klubs, die von geschätzt 60.000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen besucht werden. Die meisten sind, wie in Müggelheim, zwischen 14 und 27 Jahre alt.
Es sind Orte, die nicht nur wichtig sind für die Besucher, sondern auch für die Stadt. Denn die Jugendlichen haben nicht nur einen Ort, wo sie chillen können, wo Eltern und Lehrer nicht nerven und der Streit mit Geschwistern weit weg ist.
Sie lernen dort auch, Verantwortung zu übernehmen, Toleranz und Kompromisse zu üben. Viele junge Menschen bekommen dort auch erste Kontakte zur Politik. Wenn beispielsweise Verdrängung durch Investoren droht, erfahren sie unmittelbar, wie sie sich wehren können. Und ob und wie sich Politiker für sie einsetzen – oder auch nicht.
Neues Grundstück mit Bauwagen als Alternative
So ist es auch im Müggelheimer Jugendklub, wo bislang nur wenige Berührungspunkte mit der Bezirkspolitik bestehen. Was diese aber tut, überrascht und gefällt. Denn das Jugendamt unter Stadtrat Gernot Klemm (Linke) hat nach Bekanntgabe der Kündigung eine Alternative für die Müggelheimer Jugend gefunden: „Gemeinsam mit den Bereichen Stadtplanung haben wir eine Fläche an Anweiler Weg 26 für den Neubau einer Jugendeinrichtung gesichert“, sagt Klemm.
Es soll dort aber nicht nur der Müggeclub einziehen, sondern es soll auch ein Treffpunkt für sogenannte Lückekinder werden, also für Kinder, die dem Hortalter entwachsen sind, aber nachmittags Betreuung brauchen. Weil man dieses Projekt aber erst mal entwickeln müsse, was bis zu sieben Jahre in Anspruch nehmen könne, werde derzeit nach kurzfristigen Lösungen gesucht. Klemm:
„Das können auch ein, zwei Bauwagen sein, die wir für die Jugendlichen auf das Gelände stellen, damit sie für den Übergang etwas haben.“
John Kühnel ist überrascht: „Es gefällt mir sehr, dass sich die Verantwortlichen im Bezirk wirklich Gedanken um uns machen“, sagt er. Auch wenn es noch viele Fragen gibt: Ob der neue Standort, der nur wenige hundert Meter vom jetzigen entfernt liegt, geeignet ist. Ob er ausreichend groß ist für Klub und Lückekinder.
Ob es dort Nachbarn gibt, die es stört, wenn in der Nachbarschaft Fußball gespielt wird und wenn es auch mal laut wird... Alles sei machbar, hießt es, aber am liebsten wolle man bleiben.
Mit Beistand gegen die Kündigung
Deshalb wird jetzt gegen die Kündigung vorgegangen. Aus Prinzip, wie Kühnel sagt. Denn er und die anderen Vereinsmitglieder argwöhnen, dass die Kündigung, wie sie ihnen gerade persönlich überreicht wurde, ungültig ist: „In dem Schreiben steht, das Grundstück wurde an einen Investor verkauft“, sagt Kühnel.
Vom Boten des Konsums, der ihnen das Papier übergeben habe, sei ihnen aber mitgeteilt worden, dass der Kaufvertrag erst ab 1. Dezember gelte. Und: Wieso schicke der Konsum das Schreiben, wenn er denn gar nicht mehr Eigentümer sei?
Der Müggeclub will sich jetzt juristischen Beistand holen, um solche und weitere Fragen zu klären. Kampflos will man nicht weichen, dafür aber das Maximum für den Klub herausholen. Ob dies mehr Zeit oder Geld in Form einer Abfindung ist, ist erst mal egal: Revolte muss sein. Auch am Stadtrand.