Es war doch der Senator Matthias Kollatz-Ahnen, der den Plan mit dem Tempohome in Altglienicke ausgeheckt hat.Dennoch hätte ich mehr Fingerspitzengefühl von Ihnen erhofft. Nehmen wir den Ort. Direkt dort die Kundgebung zu veranstalten, wo Heime und Unterkünfte entstehen, ist eine Strategie der Rechten, um Stimmung zu machen und Ängste zu schüren. Aber wollen Sie, Frau Vogel, nicht die Konzentration von Asylbewerberunterkünften stoppen, für eine gleichmäßige Verteilung dieser Menschen im Bezirk eintreten? Hätten Sie da nicht in der Klosterstraße protestieren müssen, vor der Senatsverwaltung für Finanzen? Es war doch der Senator Matthias Kollatz-Ahnen, der den Plan mit dem Tempohome in Altglienicke ausgeheckt hat. Dann die Zeit: Warum gehen Sie am Montag auf die Straße? Das war damals in Leipzig gegen die DDR und die SED eine große Sache. Aber spätestens seit Pegida ist der Montag als Demotag gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsstandorte verbrannt. Hatten die Anwohner nur am Montagabend Zeit? Und haben Sie mal – wie Carsten Schatz, Abgeordneter der Linken in Treptow-Köpenick wissen möchte – schon mal gegen Waffenexporte demonstriert? Sie wissen, Panzer und Raketenwerfer, mit denen die Kieze der Flüchtlinge platt gemacht werden und die Menschen aus ihren eigenen Kiezen vertreiben. Und die jetzt herkommen, um – angeblich – unsere Kieze zu zerstören. Das wäre Widerstand gegen die Flüchtlingspolitik vom anderen Ende. Oder die Anwohner, Bürger, die sich Sorgen machen und Ängste haben. Sie meinen, man müsse deren Sorgen ernst nehmen. Sie sind im Kiez bekannt, die Leute setzen Hoffnung in Sie. Also schließen Sie sich dem Protest der Leute an, das ist völlig in Ordnung. Aber hätten Sie als Vorsitzende der CDU Treptow-Köpenick nicht die Luft rausnehmen sollen? Warum haben Sie auf den Demos nicht gesagt, das Tempohome mit 500 Bewohnern ist ein Container-Dorf, das nach drei Jahren wieder verschwindet, dass es in jedem Berliner Bezirk welche davon geben wird? Denn gegen diese Unterkunft, die bereits im Bau ist und im Juli bezogen werden soll, richtet sich die Bürgerwut. Das „Flüchtlingsdorf“ der Degewo haben Sie ebenfalls als Belastung hingestellt – warum nicht als Chance? Muss hier gleich ein Ghetto entstehen, weil das Kosmosviertel ein Problemgebiet ist und gerade erst im April ein Quartiersmanagement bekommen hat? Außerdem leben die Flüchtlinge nicht bloß in drei Ortsteilen von Treptow- Köpenick. Die Abgeordnete Ellen Haußdörfer von der SPD hat teilweise andere Zahlen als Sie: Es gibt Gemeinschaftsunterkünfte im Allendeviertel in Köpenick, im Baumschulenweg in Treptow, in der Lutherstraße in Rahnsdorf und der Radickstraße in Adlershof – alle mit einer Belegung zwischen 150 und 250 Personen. Altglienicke hat laut Ellen Haußdörfer nur zwei Notunterkünfte, in denen 500 Asylbewerber leben und weitere 70 in einer Turnhalle. Mit dem Bau des Tempohomes und der Wohnungen für Flüchtlinge sollen die Notunterkünfte und Turnhallen gerade leer gezogen werden. Weil – so die Idee – Integration mit festen Wohnsitzen besser klappt. Vielleicht leben am Ende in Altglienicke gar nicht mehr so viele Flüchtlinge, und die sind dann möglicherweise integriert. Lange Rede, kurzer Sinn: Man kann die Sorgen von Menschen ernst nehmen, ohne sie in ihrer Wut zu bestärken. Man könnte sie auch vom Gegenteil überzeugen. Einen Versuch wär es doch wert, oder? Schließlich bestand die Gefahr, dass die Kundgebungen in Altglienicke von Rechten unterlaufen werden. Das ist nach Angaben der Polizei ja sogar geschehen. Auf Fragen der Presse haben Sie erwidert, davon nichts mitbekommen zu haben. Mir haben Sie ganz pragmatisch entgegnet, man könne doch nicht aufhören, seine Meinung im öffentlichen Raum zu äußern, nur weil sich Rechte unter die Leute mischen könnten. Ihnen ist ja auch bewusst, dass in der Venusstraße ein paar von den Typen wohnen. Ich finde es schwer vorstellbar, dass Sie sich des gefährlichen Spiels, auf das Sie sich da eingelassen haben, nicht bewusst gewesen sein wollen. Distanziert haben Sie sich nicht. Stattdessen dieser Post auf Facebook: „Liebe Nachbarn, herzlichen Dank für die vielen positiven Rückmeldungen, die mich seit Montag Abend per Email oder Telefon erreichen und mich in meiner Meinung und meinem Handeln bestärken.“ Ich hab mir mal angesehen, wie die Zustimmung auf Facebook aussieht. Abgesehen von dem Gegenwind, den es auch gibt, findet man häufig die verblüffend ehrliche Aussage, man möchte neben seinem Garten kein Flüchtlingsheim haben. Andere klatschen Beifall, und finden es „gut das es noch Politiker gibt, die einen Standpunkt haben.“ (Als wäre ein entschiedenes Ja zu Flüchtlingsheimen kein klarer Standpunkt). Ein weiterer schwadroniert über christliche Nächstenliebe: „Dazu gehört auch die schwachen und ängstlichen Bürger zu hören und zu vertreten, die mit den Entscheidungen der Bundes- und Landespolitik nicht einverstanden sind und sich nicht zu helfen wissen.“ Es mag anderen Zuspruch gegeben haben, aber bei soviel mit Egoismus gepaarter Ignoranz sollte man überlegen, Frau Vogel, wen man da vertritt. Die Flüchtlinge sind zumeist Menschen aus Bürgerkriegsgegenden, die auf unvorstellbar grausame Weise um ihr ganzes bisheriges Leben gebracht wurden – und die jetzt unsere Hilfe brauchen. Mit vielen Grüßen Ihr Dietrich von Schell
Bitte etwas mehr Fingerspitzengefühl, Frau Vogel
Ein Brief an die CDU-Vorsitzende von Treptow-Köpenick
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