Zwei schöne Geschichten

Ein fast vergessener Beitrag mit Vignetten aus der letzten Maulbeerblatt-Ausgabe #116.

Erste Geschichte

Es war einmal ein dunkler, verlassener Kellerraum. An der Wand ein leeres Regal, durch das kleine Kellerfenster fiel ein blasser Lichtstrahl auf den staubigen Boden. Hier und da lagen ein paar Sachen rum, nutzlose kleine Dinge, die der Vorbesitzer vergessen oder einfach liegen gelassen hatte: eine Scherbe, ein Kronkorken, ein zerknülltes Blatt Papier. Und ganz hinten in der Ecke lag ein kurzes, krummes Stückchen Draht.

Mehrere Jahre hatte es sich hier schon gelangweilt, heimlich gehofft, neue Mieter würden es finden und irgendwo anders hinbringen. Doch machen wir uns nichts vor: Wer braucht schon ein Stück alten Draht? Ein Künstler, der es an eine abstrakte Skulptur schweißt, damit es fortan im Stadtzentrum von Millionen Besuchern bestaunt wird? Unwahrscheinlich. Bestenfalls würde es im Müll landen.

Aber selbst das erschien ihm attraktiver, als ewig hier herumliegen zu müssen. Immerhin wird ja manch ein Müllsack in die Dritte Welt verschifft! Ein kleines Stückchen Draht macht eine große Reise in die Tropen! Palmen! Elefanten! Schimpansen!

Doch nichts dergleichen war geschehen. Also musste es einen Plan schmieden, selbst aus diesem Loch zu entkommen. Gab es hier irgendetwas, das ihm dabei behilflich sein könnte? Ein paar Zentimeter entfernt lag ein abgebrochenes Stück Kohle. Wenig hilfreich, oder?

Ein Stück Draht sattelt auf.

Augenblick mal! Wenn man genau hinsah, ähnelte es ganz leicht einem Pferd! Ein beliebtes Transportmittel! Also nahm das Stück Draht all seine Kraft zusammen und kroch wie eine Raupe auf das Stück Kohle zu. Dann kletterte es rauf, setzte sich in Position und … naja … das Stück Kohle rührte sich nicht. War ja klar. Nur weil etwas so aussieht, wie ein Pferd, muss es sich noch lange nicht so verhalten.

Moment mal! Da war doch was! Bevor ein Pferd sich in Bewegung setzt, braucht es ein Kommando! Natürlich! Also holte der Draht ganz tief Luft und rief so laut er konnte: „Hü!“ Und siehe da: Das Stück Kohle bäumte sich auf und galoppierte in Windeseile den Kellerboden entlang, die Wand empor und durch ein kleines Loch in der Scheibe in die Freiheit!

Die beiden blieben noch eine lange Zeit zusammen und erlebten die schärfsten Abenteuer. Und seitdem nennt man ein kleines, unscheinbares Stück Materie, das aber unter den richtigen Umständen große Energien freisetzen kann: Kohlenhüdraht.

Der Kohlenhüdraht

Eine andere Geschichte gefällig?

Los geht’s: Es war einmal vor vielen tausend Jahren eine inzwischen ausgestorbene menschliche Rasse, deren besonderes Merkmal darin bestand, dass ihre Vertreter sich bei allem irgendwas dachten. Man kennt sie noch heute unter dem Begriff „Dachterasse“.

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