Das Geld kriegt also Junge, wenn man es auf die Bank bringt. Mir kam das damals absurd und unlogisch vor. Und eine unheimliche Idee war es auch – dass sich das Geld ohne eigenes Zutun vermehrt und am Ende den Planeten unter sich begräbt, das klingt ja wie ein grusliger Horrorfilm-Plot.
Aber da unsere Wirtschaft diesem Aberglauben seit Jahrtausenden frönt, ist der Horrorfilm Realität. „Der Zins ist ein großes Ungeheuer, ähnlich einem Werwolf, der alles verwüstet, ärger als irgendein Schurke“, wetterte Martin Luther, und John Maynard Keynes nannte ihn ein „Heilmittel, welches die Krankheit heilt, indem es den Patienten tötet“.
Der Occupy-Aktivist Marius Godelet, 28, aus dem Sauerland sieht den Zins als eins der drei Hauptprobleme der Wirtschaft. „Der Zins bedingt bekanntermaßen den Zinseszins, und dieser führt zu einer zwangsläufig exponentiellen Entwicklung von Guthaben und Schulden, da beide zinsbelastet sind. Dies kann maximal so 80 Jahre lang gutgehen, dann muss aus mathematischer Sicht ein sogenannter Reset stattfinden, bei dem alle Schulden, und somit auch alle Guthaben, gelöscht werden. Meist geschieht dies als Crash in einer Hyperinflation und anschließender ‚Währungsreform’“, sagt Godelet, der bei der Bewegung „Echte Demokratie Jetzt!“ als Währungsexperte gilt. Der Crash ist also kein Unglücksfall, sondern fest in unserem Wirtschaftssystem integriert.
Zur Veranschaulichung der Absurdität des Zinses gibt es das Beispiel des Josefspfennigs: Wenn Josef im Jahre 0 seinem Sohn Jesus ein Konto eingerichtet und ihm einen Pfennig zu einem Zinssatz von 2% angelegt hätte, wären das im Jahr 2000 85 Millionen Tonnen Gold gewesen – aber was für ein Wert soll das sein, wo es auf der ganzen Welt nur 46.000 Tonnen Gold gibt? Die Zinsrechnung ist also bloße Zahlenspielerei, bloße Illusion.
Mit dem Negativzins, der sogenannten Demurrage, könne man sowohl dem Problem des unvermeidlichen Crashes als auch den anderen beiden Hauptproblemen entgegentreten, dem des Hortgelds und dem der künstlich erzeugten Geldknappheit. Godelet vertritt dabei die Thesen des Finanztheoretikers Silvio Gesell. „Ich dachte schon viel über das Thema zu wissen, bis mich ein Freund auf das sogenannte Wunder von Wörgl aufmerksam machte. Meine erste Reaktion auf die Theorien Silvio Gesells war Ablehnung, da mir dies nie in meiner langen und intensiven schulischen und universitären Laufbahn begegnet ist. Doch ich habe bis heute keine Gegenargumente gefunden, keinen Fehler in der Theorie.“
Das „Wunder von Wörgl“ war der 1932 erbrachte Beweis, dass der Negativzins und das von Gesell propagierte „Schwundgeld“ funktionieren. 80 Jahre später, in der Eurokrise, diskutiert man erneut über die Idee, umlaufgesichertes Regionalgeld mit eingebautem Haltbarkeitsdatum einzuführen.
Die meinungsführenden Medien tun diese Ideen natürlich verächtlich ab. Eine Geldentwertung nach Gesell‘schem Modell, schrieb der SPIEGEL, sei „völlig sinnlos“: „Das würde ja bedeuten, dass ich mir heute 10 Euro leihe und nächsten Monat nur 9 Euro zurückzahlen muss. Welcher vernünftige Mensch würde da noch Geld verleihen?“ Man fragt sich wirklich, was hier unter „vernünftig“ verstanden wird. Die Gier der Banken, die Kluft zwischen bettelarm und superreich, das traditionelle Finanzsystem, vor allem auch das traditionell abergläubische Zinssystem, sollen also „vernünftig“ sein?
Ein „vernünftiger Mensch“, denke ich, sollte die nötige Einsicht besitzen, Fehler zu erkennen und sie nicht immer wieder neu zu reproduzieren. Und da der Werwolf Zins ein Hauptfehler ist, warum sollten wir ihn dann stur immer weiter perpetuieren?
„Der Negativzins würde erhoben auf alles Geld, welches direkt dem Kreislauf entzogen wird“, sagt Godelet. „Da dies in erster Linie Bargeld ist, greift das Argument des SPIEGEL an dieser Stelle nicht, da er den Negativzins auf Geld auf dem Konto bezieht.“ Man müsse sich bewusst bleiben, dass „nicht nur die Geldmenge, sondern vor allem deren Umlaufgeschwindigkeit für eine gesunde Wirtschaft entscheidend ist. Wirtschaft bedeutet ja letztlich nichts anderes als die Summe aller Tauschbeziehungen in einer Gesellschaft.“ Also nicht der Berg Kies, der da auf der Bank dümpelt und Junge kriegt.
Umlaufgesichertes Regiogeld, mutmaßt Godelet, würde vermutlich noch viel öfter verliehen werden, denn das Einzahlen auf ein Konto ermögliche es der Bank, es weiterzuverleihen und somit zurückzutragen in die Wirtschaft, und man selbst müsste dann auch nicht die Vorhaltegebühr bezahlen, die die „Strafe“ dafür ist, dass man das „Hortgeld“ dem Kreislauf entzieht.
Es gibt bereits viele kleine Regio-Währungen, die wie die Wörgler „Arbeitswertscheine“ funktionieren. Es gibt den Chiemgauer, den Urstromtaler, den Sterntaler, das Coinstatt-Projekt oder den Helmholtztaler, der im Tauschring am Helmholtzplatz benutzt wird. „Ich finde, die Vorteile von umlaufgesicherten Regionalwährungen liegen auf der Hand“, meint Godelet, „da diese zusätzlich zu den oben erwähnten Lösungen noch die Region unterstützen und somit noch einen Beitrag für die jeweilige Kommune leisten, zur Nachhaltigkeit und Ökologie (durch Verkürzung von Transportwegen etc.) und Solidarität innerhalb der Kommune.
Person A gibt Nachhilfe beim Bäcker B, bekommt dafür zehn Solidaritätseinheiten, kauft sich davon zwei Bierchen in der Kneipe, wovon sicher Wirt C dann am nächsten Tag Brötchen von Person B kauft. Ohne dass irgendwo ein Euro im Spiel war.“ So praktizieren es z.B. auch gerade die Griechen, bei denen die Wirtschaftskreisläufe zusammengebrochen sind.
Denn Geld soll ein Tauschmittel sein und kein Wertaufbewahrungsmittel, keine Ressource. Wer viel Geld hat und es nicht rausrückt, sondern es Zinsen werfen lässt, ist daher kein reicher und vernünftiger Mann, sondern ein armer und ungerechter, da er erstens Zeug hamstert, das für sich genommen wertlos ist, und zweitens dem Zeug durch das Hamstern den Wert entzieht, den es draußen haben könnte. Damit ist er für den Crash mitverantwortlich.