Welche Bedeutung hatte der Palast der Republik für Sie als Architekt und als Mensch?
Beim Palast kam ich mit 29 Jahren in den harten Projektierungsalltag und das gleich mit großer Verantwortung. Das gehört zu meiner aufregendsten Zeit. Wer hat als Architekt schon die Chance, einen Palast zu bauen, an einem so exponierten Ort? Und ich hatte nicht nur zu planen, sondern auch eine Abteilung aufzubauen, als jüngster Chef im Baukombinat. Nach meiner Mitarbeit am Gesamtentwurf war ich dann verantwortlich für die Eingangshalle, Foyer und Theater, für den gesamten Mittelteil.
Allein der Name „Palast“! Ein Palast. Für die Republik. Sie waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ein Glück! Wie erklären Sie sich das heute?
Da spielt der zeitliche Zufall eine Rolle. Ich hatte studiert und wollte im gemütlichen Sachsen bleiben. Einen Vertrag hatte ich bereits unterschrieben. Während des Studiums nahm ich an Architekturwettbewerben teil und ein erfolgreicher Beitrag für die Innenstadt Prenzlau ließ mich in den Fokus von Hermann Henselmann geraten. Er suchte junge Leute für seine neu eingerichtete Experimentalwerkstatt bei der Bauakademie und so bestellte er mich 1968, ich blieb drei Jahre in seinem Team und wurde sächsischer Berliner.
Wie kamen Sie als noch recht unerfahrener Architekt in das Entwurfsteam?
Der damalige Chef des Instituts für Wohnungsbau in der Bauakademie Heinz Graffunder bekam den Auftrag, er hatte schon die deutsche Botschaft in Ungarn und das Alfred-Brehm-Haus im Tierpark Friedrichsfelde gebaut, und er brauchte jemanden, der einen geraden Strich ziehen konnte. Ich habe viele Fassaden gezeichnet und saß oft noch spät abends und er lief im Großraumbüro vorbei.
Ich hatte Lust am Zeichnen und Bauen, das spürte er offenbar.
Ein Auftragswerk mit sehr hoher Verantwortung: politisch, gestalterisch, technisch. Architektur ist jedoch auch oft Spiegel der jeweiligen Macht, heute mehr denn je. War Machtgebaren hier ein Thema?
Überhaupt nicht. Es war die große Chance, etwas Großes mitten in der Stadt zu platzieren und das Ensemble des neuen Stadtzentrums zu vollenden, die Leere des Platzes mit einem öffentlichen Gebäude zu füllen. Es war kein Regierungssitz wie heute suggeriert wird. Dennoch: 1973 begann das Bauvorhaben. Da spielte gewiss die damalige Anerkennungswelle der DDR eine Rolle und da wollte man aufwarten mit einem repräsentativen Gebäude für Kongresse und Veranstaltungen mitten im Zentrum.
Der Palast hatte eine Grundfläche von 80 Metern Breite und 180 Metern Länge. Wie plant man so etwas?
Innere Funktion und die Erscheinung im Stadtraum bestimmten das Grundkonzept. Nach innen orientierte und der Konzentration dienende Säle, umschlossen und verbunden mit gläsernen Foyers, die den umgebenden Stadtraum erlebbar machen. Das konnte ja nicht nur der Volkskammersaal für die Politik sein, sondern musste mit Leben gefüllt werden für das Vergnügen des Volkes. Dies umzusetzen in einem Bauwerk, war die große Herausforderung und es war schnell das Raumprogramm klar: es müssen Gaststätten und ein großes Foyer sein.
Wenn 5.000 Leute kommen, muss es Pausenversorgung geben. Da muss eine Hallenbar, eine Galerie mit Ausblicken sein. Und es war von Anfang an der Gedanke, dass dort repräsentative Kunst zu sehen ist. Auch ein Veranstaltungsort für kleinere Veranstaltungen wurde geplant. Sogar ein Postamt, Weinstube, Kegelbahn, Jugendclub, Sprachkabinette und ein Souvenirshop.
Und schließlich, und das war mein spezielles Lieblingsstück: ein Theater, das „Theater im Palast“.
Auch städtebaulich war die gestalterische Hürde hoch in unmittelbarer Nachbarschaft zum Berliner Dom, der Museumsinsel und dem Staatsratsgebäude. Verfechter der historischen Mitte monieren das Monströse. Wie sehen Sie das?
Der Entwurf zielte auf eine moderne, zeitgemäße Gestaltung unter Respektierung der vorhandenen Bauten. Der erhabene Kuppelbau des Berliner Domes, die Säulenhalle des Schinkelschen Alten Museums, aber auch Marstall und Staatsratsgebäude bestimmten den Raum, in den sich der Palast mit bewusst begrenzter Höhe parallel zur Spree als ein neuer Teil des Ensembles eingefügt hatte. Monströs ist eher das stadtraumbeherrschende Schloss-Imitat mit seiner Schlosskuppel, die urspünglich zur Machtdemonstration des Deutschen Kaiserreichs diente. Nun nimmt eine Kopie dem Berliner Dom die Dominanz.
Der Parteitag fand nur alle vier Jahre statt. Dazu kamen pro Jahr zwei bis vier Volkskammer-Sitzungen. Und dazwischen - und das war die meiste Zeit - passierte jede Menge Kultur: Konzerte von Katja Ebstein, Harry Belafonte, Hermann van Veen, Mikis Theodorakis...
Nicht nur das. Auch klassische Konzerte, Kongresse und wissenschaftliche Tagungen gab es. Unvergessen sind die großen Palastbälle in allen Räumen mit 5.000 Besuchern. Auch der berühmte Karel Gott aus Prag kam, um aufzutreten. Leider stürzte er im Bachstage-Bereich. Keiner hob ihn auf. Weil man Gott nicht anfassen durfte...Und Udo durfte erst später dort singen, nachdem er mit dem Sonderzug nach Pankow gefahren war...und das Theater bereicherte die Kulturszene mit anspruchsvollen Inszenierungen. An vielen habe ich übrigens als Bühnenbildner mitgewirkt.
Zur feierlichen Eröffnung 1976, dem „Ball der Erbauer“, wurden Sie auch befragt…
Das Ganze fand im großen Saal statt. Alle Funktionäre waren anwesend. Hans-Peter Minetti rezitierte proletarische Verse. Man war an Sechser-Tischen gruppiert, immer ein Planer, ein Bauarbeiter, ein Westjournalist mit Frau. Honecker saß mit dem Bauleiter Gießke zusammen. An unserem Tisch kam kein Gespräch zustande außer der immer wiederkehrenden Frage von Lothar Löwe, einem Korrespondenten des Westfernsehens: Was hat das denn gekostet?
Und Sie haben nicht geantwortet?
Also da war ich schon verbissen. Nicht aus Staatsräson, sondern weil ich das einfach als unpassend und unhöflich empfand. Ich frage ja auch bei Freunden nicht, was der kredenzte Wein gekostet hat.
Zwischen 2006 und 2008 kam die Demontage des Palastes der Republik. Es war vor allem die politisch motivierte Entkernung. Am Ende fand jeder das Bauwerk hässlich. Wie haben Sie diese Zeit empfunden?
Das war sehr betrüblich. Keineswegs fand jeder das Bauwerk hässlich, die Schlossbefürworter aber schon. Der Abriss war ja schon 1990 beschlossene Sache. Das wissen Viele heute nicht. Die übliche Methode der Entsorgung baulicher Zeugnisse der ungeliebten Gesellschaft wurde auch hier angewendet:
Erst Leerstand erzeugen, dann vergammeln lassen.
Selbst bei der Galerie M (Berlin-Marzahn) ist das so gemacht worden. Dieser Prozess geht über Jahrzehnte, bis auch der letzte Ossi sagt: also schön ist es nun nicht mehr.
Die äußere Hülle wurde abgenommen, beim Palast war es ja das schädliche Asbest (aus dem Westen). Hermann Kant sagte dazu: es wird immer noch unterschieden zwischen „Asbost oder Aswest“.
Sehr gutes Zitat!
Sie glauben nicht, wie viele Palast-Publikationen es gibt: Kunststreitschriften, Ausstellungskataloge, Fotodokumentationen. Die letzte ist 2019 vom Humboldt-Forum herausgegeben über den Umgang mit dem „geretteten“ Interieur. Die gläserne Blume bspw. wird ja in Spandau gelagert und ist stark beschädigt. Ist das eine Gewissensbereinigung?
Und: um dem Ossi noch ein bisschen Freude zu machen. Die trophäenartige Vorführung von Artefakten, um vom Verlust des Hauses abzulenken, ist eher peinlich. Am schlimmsten ist es mit der Blume. Die ist ja nun kaputt. Man wollte eine Replik machen, im kleineren Maßstab eine kleinere Blume, die dann im Pseudoschloss steht.
Aber die Blume ist nicht der Palast. Eine gefälschte Blume in einem gefälschten Schloss, ist das nun eine doppelte Negation oder einfach nur lächerlich?
Warum war der Abriss ein Fehler?
Es war eindeutig ein Fehler. Das Museum „Humboldt-Forum“ ersetzt nicht die an diesem Ort ehemals erfolgreiche Nutzungsvielfalt. Übrigens hatte ich im Jahre 2001 der „Schlossplatzkommission“ einen Entwurf vorgelegt, der den Palast erhalten hätte und mit einem davor errichteten Museums- und Ausstellungsbau sowie einem Turm für Schloss und Schlüter in ein völlig neues städtebauliches Ensemble eingebunden hätte.
Damit wäre der damalige Demonstrationsplatz ausgefüllt worden und hätte einen neuen Stadtraum visavis des Lustgartens erzeugt. Als Inhalt hätte da auch das Humboldt-Forum großzügig und angemessen Raum finden können, ohne es in die nun teuer nachgebaute Hülle zwängen zu müssen. Aber das Ziel der Kommission unter der Leitung von Hannes Swoboda war ein anderes.
Mit dem verbreiteten Wissen, dass Abriss und Entsorgung 119 Millionen Euro und der historisierende Neubau mehr als 682 Millionen gekostet haben, mit dem Blick zurück auf Erfahrungen aus 31 Jahren Deutscher Einheit, Einigkeit? sowie dem Blick nach vorn auf das globale Thema ressourcenschonendes Bauen: Welche Chance hätte der Palast im Jahr 2021?
Die genannten Kosten dürften nach meiner Erfahrung höher liegen. Erst Gesamtkosten ergeben das wahre Bild. Aber darauf kommt es hier offensichtlich nicht an. Gesamtbetrachtungen werden vermieden. Und dazu doppelte Umweltbelastung durch Abriss und Neubau. Ich setze mich schon immer für Nachhaltigkeit und die Nutzung vorhandener Substanz ein, so u.a. bei meinen Projekten in Sachsen.
Da habe ich Sechs- zu Dreigeschossern umgebaut, anstelle abzureißen oder die vergegenständlichte Energie zu vernichten. Der Palast wäre, hätte man ihn nicht mit hohem Aufwand zerstört, ein weiteres attraktives Kongress-und lebendiges Kulturzentrum in der Mitte der deutschen Hauptstadt gewesen. Und angesichts zunehmender Wertschätzung der Ostmoderne wäre heute die Abrissdiskussion möglicherweise etwas anders verlaufen. Oder ist das blauäugig?
Prof. Dr. Wolf R. Eisentraut
Eisentraut Studium an der TU Dresden, dort in den Achtziger und Neunzigern Professur für Gesellschaftsbau, Entwurf und Bau des Palastes der Republik (1973 bis 1976), später Wohngebietszentren, Gaststätten und Kaufhäuser sowie gesamtverantwortlich für das Wohngebiet Marzahner Promenade mit Freizeitforum Marzahn (heute vielfältig genutzt), Galerie M (Abriss), Rathaus Marzahn (Denkmal), nach der Wende bundesweit tätig, insbesondere Umbau von Plattenbauten von Saßnitz bis Plauen sowie publizistische Tätigkeit