Direktkandidat Gregor Gysi zur Bundestagswahl 2017

Im Exklusivinterview mit Premiumblick auf den Müggelsee

Gregor Gysi im Interview mit dm Maulbeerblatt am Müggelsee

Das Wetter war ganz prächtig, der Müggelsee leuchtete blau und im Hintergrund der süße Klang ein bis zehn motorbetriebener Fortbewegungsmittel zu See und zu Luft. Gregor Gysi war bester Sommer-Wahlkampf-Laune und fragte sogleich nach dem hiesigen FKK-Strand. Wir waren kurz irritiert, da ursprünglich ein Interview mit seriösen Themen geplant war. FKK-Theorie und Westmännererotik überließen wir den anderen Gazetten und sprachen mit Gregor Gysi über essenzielle Themen wie das Badengehen. Außerdem verriet er uns, warum er lieber doch nicht Kardinal werden möchte, Frauen mit Statistiken nicht zu kriegen sind, was gegen Mieterhöhungen in Treptow-Köpenick wirklich hilft und warum er nicht an das bedingungslose Grundeinkommen glaubt, aber trotzdem gewählt werden möchte.

Trotzdem baden

Im Dezemberinterview haben wir Sie gefragt, mit welchen Prominenten Sie sich gerne mal auf ein Feierabendgetränk Ihrer Wahl am Müggelsee getroffen hätten. Jetzt sitzen Sie mit uns hier. Wir fühlen uns sehr geehrt.
Hatte ich mir das gewünscht?

Nein, es war eigentlich Bud Spencer. Wo gehen Sie denn in Köpenick am liebsten baden?
Als ich ein Kind war, bin ich immer in das Strandbad Oberspree gegangen. Da sind wir mit der Straßenbahn von Johannisthal hingefahren. Das war sehr schön. Und dann natürlich der Müggelsee als größter See Berlins. Den müssen wir in jeder Hinsicht erhalten. Den Naturschutz muss es geben, ganz klar, aber auch der Sport muss möglich bleiben. Mir kann auch keiner überzogene Forderungen erklären, wer nichts gegen die Flüge über den Müggelsee unternimmt.

Herr Trefzer hat in einem Punkt recht: Er gehört nicht in Talkshows.

Und wer, glauben Sie, wird bei der Bundestagswahl baden gehen?
Wir gehen alle baden, weil ich fürchte, dass die AFD in den Bundestag einziehen wird. Aber was ich dagegen tun kann, versuche ich dagegen zu tun. Auf der anderen Seite sieht es im Augenblick so aus, aber es muss nicht so bleiben, als ob wir eine indirekte Fortsetzung der Regierung bekämen, bestehend aus Union und FDP. Es wäre deshalb verhängnisvoll, weil sich an der prekären Beschäftigung nichts ändern wird. Es wird keinen sozialen Schub geben. Dadurch, dass es keinen sozialen Schub gibt, wird das Interesse an der AFD eher stärker. Auch wird sich ohne Personalwechsel der verheerend falsche Kurs der führenden Macht in Europa, diese ganze Austeritätspolitik gegen den Süden Europas nicht ändern. Das macht die EU kaputt. Und das bedaure ich ungemein.

Ich bin jetzt viel durch EU-Länder gereist und ich sage Ihnen, so gefährdet war die EU noch nie und wir brauchen sie. Es gab noch nie einen Krieg zwischen zwei Mitgliedsländern der EU. Ich weiß nicht, was passiert, wenn die EU zerstört ist. Und das würde ich als schweres Badengehen bezeichnen, aber dann nicht im Müggelsee, sondern in einem anderen Gewässer.

Herr Trefzer von der AFD hat feste Vorstellungen von Ihrer und seiner Berufsgestaltung. Kürzlich sagte er dem Maulbeerblatt: „Gysi in die Talkshow, Trefzer in den Bundestag“. Sie dagegen streben derzeit ja beides an: Sie moderieren Ihre eigenen Talkshows und möchten das Direktmandat für den Bundestag: Wie gehen sie mit dieser Doppelbelastung um?
Ich habe keine Doppelbelastung, ich habe eine Vierfachbelastung. Ich bin Politiker, Moderator, Rechtsanwalt und ich bin Autor. Ich habe gerade meine Autobiografie geschrieben. Wenn Sie so was in 40 Jahren vorhaben sollten, lassen Sie es bleiben. Es ist wahnsinnig anstrengend. Und jetzt hat ein Zisterzienserkloster angefragt. Das ist mit 69 mein Start. Also bevor ich jetzt Kardinal werde, muss ich mal ein Stoppzeichen setzen (lacht). Nein, ich muss das terminlich anders machen. Es ist eine zeitliche Belastung. Als Moderator in meinen Talkshows bin ich ganz anders, als Sie mich sonst kennen. Ich spreche dann nur 10 Prozent der Zeit und 90 Prozent der Gast, weil mich ja sein Leben, seine Sicht auf die Dinge interessiert. Da haben meine Gäste plötzlich Zeit und können in Ruhe darüber sprechen.

Aber die Talkshows im Fernsehen habe ich nie gemocht. Das heißt nicht, dass ich da nicht hingehe, habe aber auch sehr oft im letzten Jahr abgesagt. Und ich finde auch, Herr Trefzer hat in einem Punkt recht: Er gehört nicht in Talkshows. Aber er hat in einem Punkt unrecht: Er gehört auch nicht in den Bundestag (lacht).

Welche drei Worte fallen Ihnen zu Treptow-Köpenick ein?
Schönster Bezirk Berlins

Welche Projekte, für die Sie sich in den letzten Jahren hier in Treptow-Köpenick eingesetzt haben, liegen Ihnen besonders am Herzen?
Ein bisschen, ehrlich gesagt, war es der Einsatz für den Erhalt der Ruderfähre in Rahnsdorf. Das war für mich eine Herzensangelegenheit. Ich kannte ja auch den Fährmann Ronald Kebelmann, seine Arme so dick wie Oberschenkel. Er sollte seinen Job verlieren mit der fadenscheinigen Begründung, dass sein Ruderboot nicht behindertengerecht sei. Dass er wieder an Sonn- und Feiertagen bezahlt wird, das hat mich wirklich gefreut.
Und das zweite, was zu gelingen beginnt: das Theater Adlershof zu retten. Da ist die Schwierigkeit der Denkmalschutz, aber rechnen soll es sich ja auch. Es gibt einen kultur- und kunstfreundlichen Investor. Alles mit der unteren Denkmalschutzbehörde und den Betreibern in Übereinstimmung zu bringen, ist ein schwieriger Vorgang. Das ist mir auch sehr wichtig.

Treptow-Köpenick erfährt zur Zeit enormen Zuzug. Es wird gebaut und die Kieze verändern sich stark. Das wirkt sich auch auf die Mietspiegel aus, die für Vermieter inzwischen als willkommenes Instrument genutzt werden, die Mieten regelmäßig legal zu erhöhen ohne investieren zu müssen. Was möchte die Linke gegen die steigenden Mieten unternehmen?
Berlin war bisher immer durchmischt. Jetzt beginnt das, was Sie beschreiben, eine Verdrängung von Mietern hin in bestimmte Gegenden. Das muss gestoppt werden. Es gibt nur folgende Möglichkeiten in Berlin: Wir müssen erstens den Wohnungsbau fördern, zweitens den Mietspiegel über die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und über Wohnungsbaugenossenschaften versuchen zu senken. Da vertrau ich der Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen in Berlin Katrin Lompscher. Sie hat jetzt zumindest mit den Wohnungsbaugesellschaften eine Vereinbarung geschlossen, um die Mietsteigerungen zu bremsen. Das wird dann irgendwann auch den Mietspiegel zumindest nicht mehr erhöhen. Zweitens brauchen wir den sozialen Wohnungsbau. Anders geht es überhaupt nicht. Und dann muss Druck auf den Bund gemacht werden. Was ich überhaupt nicht billige, wenn jemand auszieht und Sie einziehen, die Vermieter machen zwischendurch nichts und erhöhen die Miete. Wieso denn? So was kann allerdings nur der Bundesgesetzgeber ändern. Und das würde voraussetzen, dass wir in der letzen Woche der Wahl doch noch ein ganz anderes Bild bekommen, damit auch wir als Linke einen entsprechenden Druck ausüben können.

Wenn die Linke nicht für einen sozialen Schub sorgt, kann sie nach Hause gehen. Dann ist sie erledigt.

Der Treptow-Köpenicker Bürgermeister Oliver Igel sagt, dass eine gute Mischung entsteht, wenn Eigentumswohnungen gebaut werden, die sich auch Normalverdiener leisten können. Als Beispiel nennt er ein Lehrer-Ehepaar mit fester Anstellung, das Anfang 40 ist. In meinem Kiez in Treptow-Köpenick nehme ich das nicht als durchschnittliches Einkommen war.
Herr Igel neigt wie alle Männer immer zu Statistiken, ick ooch. Frauen sind anders. Wenn Du uns Männern sagst, die Sozialhilfe ist um zwei Prozent gestiegen, dann sagen wir: Na, das ist doch nicht schlecht. Eine Frau sagt: Moment, was bedeutet das für eine Alleinerziehende Frau mit zwei Kindern im Hamburg? Und da kommt was raus, was ihr überhaupt nicht hilft. Und das finde ich bei Frauen gut, die sind so konkret. Die sind mit Statistiken nicht zu kriegen.

Ich habe auch noch eine konkrete Frage.
Das hatte ich schon befürchtet.

Ich bin auf dem Weg hierher an Ihren Wahlplakaten vorbeigefahren. Und da steht oben „Trotzdem“ drauf. Ich bin so schnell mit Rad gefahren, ich konnte das Kleingedruckte nicht lesen. Warum „Trotzdem“?
Die Plakate habe ich noch gar nicht gesehen. Also, ich finde, Sie sollten mich trotzdem wählen. Das „Trotzdem“ hat für mich eine vierfache Bedeutung. Das eine ist, ich weiß, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse sind: Ich sage, trotzdem wählen gehen. Das zweite ist: Ich sage denen, die sich überlegen und sagen „Ich bin ja kein richtiger Linker, aber den Gysi finde ich ganz in Ordnung.“ Na, dann macht es doch trotzdem. Das dritte ist: Karl Liebknecht hat kurz vor seiner Ermordung in seinem berühmten Aufsatz gesagt: „Trotzalledem“. Daran wollte ich erinnern. Und viertens: Es ist die richtig Antwort auf unsere Gesellschaft. Ich weiß, was hier funktioniert und ich weiß, was hier nicht funktioniert. Und ich finde, man muss weiterkämpfen, man darf nicht aufhören. Man muss optimistisch sein. Das alles steckt hinter dem Wort „Trotzdem“

In Finnland wird derzeit das bedingungslose Grundeinkommen getestet. Was halten Sie von dem Konzept und glauben Sie, dass es in Deutschland funktionieren kann?
Das ist ein schwere Frage. Mit gewaltigen Kraftanstrengungen vielleicht, aber ich halte nichts davon. Und da unterscheide ich mich von meiner Parteivorsitzenden Katja Kipping, die schwer dafür ist. Und zwar aus mehreren Gründen. Der eine ist, dass es sehr teuer wird. Und ich finde, dass ein Bundestagsabgeordneter nicht noch ein BGE benötigt - Sie vielleicht. Das ist der Unterschied. Also ich bin sehr für die Grundsicherung ohne Sanktionen, für die, die es benötigen. Das bedingungslose Grundeinkommen ist ja nicht bedingungslos. Ist es wirklich bedingungslos, dann müssten wir es auch an 1,3 Mrd. Chinesinnen und Chinesen bezahlen. Also wäre schon die erste Bedingung, dass man hier lebt.

Also wäre die nächste Frage: Ab wann lebt man hier? Also Bedingungen gibt es immer. Das Zweite ist: Das Ganze ist meines Erachtens auf ein FDP-Idee zurückzuführen. Die wollten das Bürgergeld. Und da kommt meine eigentlich Sorge: Warum hat die FDP das Bürgergeld vorgeschlagen? Sie will keine Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung, sie will keine Beiträge in die Arbeitslosenversicherung. Die Idee der FDP ist, dass es nur noch die Krankenversicherung gibt. Für Leute, die gut verdienen, denen das BGE nicht ausreicht, die sagen dann, ich mache noch privat eine Renten- oder Lebensversicherung. Und die soziale Gerechtigkeit würde nicht zunehmen, sondern abnehmen.

Und jetzt sage ich Ihnen, was mein Problem ist: Also am selben Tag werden ein Pförtner und ein Ingenieur arbeitslos und beide bekommen das bedingungslose Grundeinkommen und kein Arbeitslosengeld mehr. Der Ingenieur hat aber jahrelang mehr verdient, hat sich einen anderen Lebensstandard aufgebaut als der Pförtner. Selbst bei einer gerechten Entlohnung würde der mehr verdienen. Das heißt, es würde dem Ingenieur viel schwerer fallen, mit dem BGE das aufrecht zu erhalten, was er sich erarbeitet hat. Wenn er Arbeitslosengeld bekommt, ist das differenziert. Je nach Job, je nachdem wieviel man eingezahlt hat etc. Die Differenzierung fällt weg und die fällt auch bei der gesetzlichen Rente weg. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse aus Finnland. Ich verstehe auch den Wunsch danach, bekomme auch viele Briefe. Also darüber würde ich gerne länger diskutieren.

Warum hat die FDP das Bürgergeld vorgeschlagen?

Sowohl die gute alte Tante SPD als auch Die Linke besetzen das Thema Soziale Gerechtigkeit. Wie unterscheidet sich die soziale Gerechtigkeit der SPD von der der Linken?
Na gewaltig, die SPD hat ja die Agenda 2010 eingeführt. Sie hat den größtmöglichen Niedriglohnsektor Deutschlands in Europa ermöglicht. Die ganze prekäre Beschäftigung hat sich verdoppelt, die befristeten Verträge, Teilzeit, Leiharbeit. Wir haben jetzt eine Million Leiharbeiter und -arbeiterinnen. Das ist alles Ergebnis der Politik der von SPD und den Grünen.

Und der Höhepunkt ist, dass SPD und Grüne den Spitzensteuersatz der Einkommenssteuer von 53 auf 42 Prozent auf gesenkt haben. Unter Helmut Kohl hatten wir 53 Prozent. Die Sozialdemokratie muss wieder für soziale Demokratie eintreten, damit sie ihrem Namen gerecht wird. Davon kann zur Zeit keine Rede sein. Und Die Linke meint das ernst. Wenn sie die Möglichkeit dazu hat und nicht für einen sozialen Schub sorgt, kann sie nach Hause gehen. Dann ist sie erledigt.

In den Medien kann man lesen, dass Aljoscha Rompe ihr Freund aus Kindertagen gewesen sei. Hat seine Musik oder Musik generell Ihr Handeln beeinflusst, insbesondere Ihr politisches Handeln um die Wendezeit?
Also ich bin ein komischer Typ. Sobald auf Parteitagen die Internationale gespielt wird, kriege ich ein bisschen Gänsehaut. Ich weiß auch nicht, warum. Ein bisschen ärgere ich mich darüber, aber ich werd das nicht los. Das ist Musik, die mich durchaus animiert. Ich höre gerne Klassik, aber ob die mich in meinem politischem Tun motiviert, weiß ich nicht. Wenn ich sehr traurig bin, dann kann ich auch gerne Musik hören, aber das war ich in der Wendezeit deshalb nicht, weil ich keine Zeit dazu hatte. Um traurig zu sein, braucht man Zeit.

Aljoscha Rompe war mein Freund, ja. Ich hatte ihn vertreten, damit er seinen Schweizer Pass bekommt. Er war ja damals erst 14. Einmal sagte zu mir: „Als Schweizer lebt es sich in der DDR hervorragend.“ Das war ne Marke. Er war auch einer der intelligentesten Menschen, die ich kannte. Seine Familie war so großzügig und gleichzeitig so merkwürdig. Also das Großzüge bestand darin, wenn ich Aljoscha jedes Jahr zu seinem Geburtstag in Wendenschloss besucht habe, hatte ich einen eigenen Geburtstagstisch. Ich bekam immer Schokolade, ein Spiel, ein Buch und eine Schallplatte. Also gar nicht schlecht für einen Gast.

Die anderen Geschwister hatten auch einen Geburtstagstisch. Aljoscha hatte einen Riesentisch. Der Höhepunkt war, dass alle seine Geschwister morgens von der Mutter Ihr Geschenk für Aljoscha bekamen und keiner wusste, was es war. Schon absurd irgendwie ...

Was treibt Sie an?
(seufzt) Ich glaube, das ist eine Mischung aus dem, was ich denke und dem, was ich fühle. Wenn man nur durch Gedanken angetrieben wird, ist es viel zu wenig, wenn man nur durch Gefühle angetrieben wird, ist es zu einseitig. Und da die richtig Mischung hinzubekommen, ist die eigentliche Kunst. Aber wenn ich nicht so denken und fühlen würde, wie ich denke und fühle, hätte ich auch keinen Antrieb.

Das Motto der September-Ausgabe ist Wildwechsel. Wen würden Sie gerne auswechseln?
Erdogan.

Herr Gysi, das war es schon. Wir bedanken uns für das Gespräch.
Ich bedanke mich.

(Gregor Gysi eilt weiter zum nächsten Pressetermin an der FKK-Badestelle am Müggelsee, um dem Boulevard seine Theorie des Nacktbadens zu erörtern.)

Foto: Björn Hofmann


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